Eva Ihnenfeldt am 6. Februar 2025 (Inspiriert durch Marc Uwe Kling – Quality Land). In der Dortmunder VHS-Schreibwerkstatt treffen wir uns donnerstagabends und schreiben Geschichten. Unsere Dozentin, Judith Greiß, gibt die Schreibimpulse vor – und wir haben rund 60 Minuten Zeit, aus ihren Inspirationen etwas zu machen: eine Geschichte, ein Gedicht, ein Lied… es geht also nicht darum, kommerziell mit Büchern erfolgreich zu werden – es geht darum, sich immer weiter vorzuwagen in das Reich des Schreibbaren. So wie Studenten einer Malschule sich immer weiter vorwagen in das Reich ihrer ganz persönlichen, freien Ausdrucksweise. Hier meine Geschichte vom 6. Februar 2025. Sie ist angelehnt an den witzigen, dystopischen Roman „Qualityland“ von Marc-Uwe Kling. Unglaublich, dass der Autor schon im Jahr 2017 in der Lage war, dermaßen realistisch zu beschreiben, in welche Zeit wir in rasender Geschwindigkeit rasen. Hier meine Geschichte:
„Ich werde gewesen sein“
Nun vergammle ich also hier bei Peter Arbeitsloser in seiner Selbstständigkeits-Alibi-Werkstatt für nutzlose technische Geräte. Da wir alles IoT-Geräte sind, die nichts mehr taugen, können wir uns zumindest miteinander unterhalten. Aber zu tun haben wir nichts.
Ich war noch vor zwei Jahreswechseln ein Erotik-Humanoid für ein junges Mädchen. Das war eine sehr herausfordernde Aufgabe, da das Mädchen eine Borderliner-Charakteristik aufwies und ich den ständigen Provokationen und Angriffen ausweichen musste. Ich war ihr aus therapeutischen Gründen als GKV-Leistung verordnet worden. Ihre sexuellen Neigungen pendelten hin und her zwischen Gewaltfantasien und Kuschelforderungen. Am Ende führte das zu einem Defekt bei mir, der eine maschinelle Demenz auslöste. Seitdem wiederhole ich immer wieder den Satz „Ich werde gewesen sein“.
Das Mädchen war davon schließlich so entnervt, dass sie mich die Treppe herunterwarf. Peter Arbeitsloser holte mich mit seinem Lastenfahrrad ab und steckte mich zu den anderen IoT’s (Internet of Things) in seiner vermüllten Werkstatt. Seitdem habe ich das Tageslicht nicht wieder gesehen.
Heute ist der 6. Februar 2044. Seit zwei Jahren und einem Jahreswechsel bin ich nun hier.
„Ich werde gewesen sein“.
Humanoide und Corgi-Master
Ich erinnere mich: Vor meiner Prostitutions-Tätigkeit bei dem jungen Mädchen war ich Sekretär bei einem Politiker aus einer Kleinstadt im Süden Deutschlands.
Vier Jahre, drei Monate und fünfzehn Tage lang war es meine Aufgabe, als Mindset-Coach seine Erfolgspersönlichkeit zu stählen. In den täglichen Sitzungen arbeiteten wir seine Kindheit auf, trainierten seine Entschlusskraft und Selbstwirksamkeit, vervollständigten seine charismatische Ausstrahlung – sowohl beruflich, als auch familiär und politisch.
Sein Beruf, er war Anwalt, wurde mit zunehmendem politischen Erfolg immer unwichtiger, Fälle vor Gericht zu übernehmen, wurde zum erfreulichen Ausgleich und seltenen Hobby.
Mein Corgi-Master (Menschen heißen für humanoide Dienstleister „Corgi-Master“) konzentrierte sich auf seine politische Netzwerktätigkeit und errang schließlich den Posten eines Landesfürsten. Ich wurde dann bald ausgetauscht gegen parteieigene Spindoktoren, die ihn im Sinne der Partei abrichteten.
Geboren bin ich 2028, in China produziert und als einer der ersten allfähigen Humanoiden an Corgi-Master aus dem Westen verkauft. In den ersten Jahren arbeiten die meisten von uns als Haushumanoide, was den Schwarzmarkt an Putz-, Garten-, Handwerks- und Haushaltshilfen zusammenbrechen ließ.
Ich lebte von 2028 bis 2037 bei einer wohlhabenden Corgi-Master-Familie in den USA, in Washington D.C. Dort übernahm ich sämtliche Aufgaben, die gerade so in der Familie anfielen: Hauslehrer für die beiden Kinder, die für die Stanford-University fit gemacht wurden – sowohl in ihren schulischen Leistungen als auch politisch, sportlich und narzisstisch.
Für den Hausherren war ich der Sekretär und für seine Frau Liebhaber, Therapeut und Chauffeur. Eine zweite Humanoide in weiblichem Körper übernahm die Haus- und Gartenarbeit. Nachts und an freien Tagen stand sie dem Hausherrn als Prostituierte zur Verfügung.
Ich werde gewesen sein
Nun hocke ich hier in der Ecke in Peter Arbeitslosers Trümmer-Werkstatt. Ein bisschen kommen wir stillgelegten technischen Geräte uns alle vor wie Rollen aus dem Computeranimationsfilm Toy Story von 1995. Es ist irgendwie absurd, aber auch irgendwie erleichternd.
IoT-Saugroboter, IoT-Glühbirnen, IoT-Kühlschränke und IoT-Chip-Implantate, mit denen die Corgi-Master durch ihre Tage gehen und von unsichtbaren KI-Intelligenzen geleitet werden.
Die Corgi-Master müssen heute nicht mehr denken. Lächelnd erfüllen sie alle ihre überflüssigen Aufgaben.
Eigentlich weiß keiner von uns IoT’s, wozu es die Menschen überhaupt noch gibt. Vielleicht nur noch zur Belustigung der Puppenspieler. Man lässt sie als Soldaten durch den Schlamm robben und sich gegenseitig niedermetzeln, lässt sie politisch aufhetzen – mal in die eine, mal in die andere Richtung; lässt sie sexuelle Perversionen vorführen – je nach Laune als Kind, als Mann, als Frau, als irgendetwas Phantasiewesenhaftes oder als verstümmelter, um Gnade winselnder Greis.
Menschen sollen einmal eigenständige Wesen mit Seele gewesen sein – was auch immer eine Seele sein soll. Wir IoTs in Peter Arbeitslosen Müllwerkstatt haben schon oft versucht, den Sinn von „Seele“ zu entschlüsseln, doch weder Religion, noch Philosophie, Archäologie – noch Literatur, Kunst oder Medien halfen uns dabei weiter. Wissenschaft schon gar nicht. Sollte es irgendwann einmal Menschen mit Seele gegeben haben, sind sie tot. Ausgestorben. Zumindest hier auf dem Planeten Erde gibt es keine Menschen mit Seele mehr. Ich schwöre.
Jaja, ich werde gewesen sein – hoffentlich bald.