Viele Menschen – vor allem, wenn sie älter werden – scheuen die Veränderung. Als ich die Gründergenossenschaft Witten eG im Jahr 2004 „erfand“, war eine Zeit, in der weit über 50 Prozent der Existenzgründer in die Selbständigkeit gingen, da sie keine Chance auf dem Arbeitsmarkt für sich sahen – oft ältere Ingenieure, Sozialarbeiter, Bürofachkräfte… Sie mussten sich verändern – oder es drohte die Langzeitarbeitslosigkeit, die ab Januar 2005 auch Hartz IV bedeutete: die Zusammenlegung mit Sozialhilfeempfängern, – die weitgehende Aufgabe von Selbstbestimmung und Selbstverantwortung.
Heute ist der Arbeitsmarkt (noch) entspannt, es gründen vor allem junge Leute, und der Anteil der Gründer aus der Arbeitslosigkeit ist viel geringer als zu Zeiten der „Ich-AG“ und des Überbrückungsgeldes. Und nun haben wir die Finanzkrise, und ich werde in meiner Dienstagssprechstunde manchmal gefragt: „Ist jetzt überhaupt ein guter Zeitpunkt zum Gründen? Soll ich nicht lieber warten, bis sich der Nebel geklärt hat und wir erkennen, was im Moment überhaupt tatsächlich passiert?“
Ich muss ehrlich sagen: ich weiß es nicht. Obwohl ein leidenschaftlicher Verfechter der Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung durch Beruf und Schaffen, kann ich niemandem irgendetwas an Perspektive ausmalen. Habe ich ein Dienstleistungs-Angebot für Gut-Situierte (z.B. Innenarchitektur, Erlebnis-Reisen, Handwerk, Beratung, Wellness), kann ich nicht abschätzen, wie viele Gut-Verdienende sich in den nächsten Monaten, dem nächsten Jahr, in Verzweifelt Verschuldete verwandeln werden. Wenn ich eine Imbiss-Stube oder einen Online-Shop eröffnen will, kann ich nicht sagen, ob sich der Strom der potentiellen Kundschaft in der nächsten Zeit eher vermehren – oder vermindern wird.
Aber eins weiß ich mit Bestimmtheit: es ist immer „Jetzt“. Es gibt kein Entkommen aus der Gegenwart, soviel wir auch die Vergangenheit beschwören bzw. über sie jammern mögen – oder die Zukunft herbeisehnen (oder fürchten). Und solange man keine Schulden machen muss und keine teuren Verbindlichkeiten eingehen (Miete, Leasing, Verträge), ist es vielleicht sogar gerade jetzt ein sehr guter Zeitpunkt, um eine Existenz zu gründen! Denn wie sagte so schön der amerikanische Prognostiker John Naisbitt:
„Die Übergangszeiten zwischen den Wirtschaftsepochen sind es, in denen der Unternehmergeist blüht.
Heute befinden wir uns in einer solchen Periode.“
John Naisbitt (*1930), amerik. Prognostiker