Wir wissen ja schon länger, dass Jugendliche ihre Probleme mit Facebook haben. Die Klarnamenpflicht schreckt ab – und Freundschaftsanfragen von Verwandten, Chefs, Nachbarn und Flirt-Suchenden tun ihr Übriges. So betitelte der „Horizont“ einen Beitrag über die jüngsten Nutzerzahlen mit „Facebook wird zum Social Altersheim“. Teenager kehren dem sozialen Netzwerk immer mehr den Rücken zu, während die Fraktion der über Fünfzigjährigen wächst. Doch muss das wirklich so eine Katastrophe sein? Kann es nicht auch eine Chance für unsere Gesellschaft sein, wenn sich Ältere untereinander vernetzen, austauschen, gemeinsam Themen finden und diskutieren?
Allgemein muss man sich heute noch keine Sorgen um Facebook machen. Die Facebook-Community Deutschlands wächst weiter.
Ich verstehe es sehr gut, dass gerade Ältere die Vorzüge von Facebook zu schätzen wissen. Als älterer Mensch verlagern sich die Bedürfnisse. Die äußeren „Abenteuer“ wandern nach innen. Man weiß Ruhe und Entschleunigung zu schätzen. So wie früher ältere Menschen gern Briefe schrieben, können Ältere heute sorgfältig die Kommunikation im sozialen Netzwerk verfolgen und mitgestalten. Was für ein Wunder, dass man mühelos mit Menschen auf der ganzen Welt kommunizieren kann! Was für ein Luxus, sich in Interessensgruppen Gleichgesinnter über Kunst, Kultur, Rezepte, Erinnerungen und viele weitere Themenfelder auszutauschen!
In Regionalgruppen kann man sich verabreden zum Wandern oder zu gemeinsamen Theaterbesuchen. Man kann die Kinder und Enkel erleben, ohne sich aufdringlich in deren Leben einzumischen. Man kann neue Freundschaften schließen und alte Freundschaften aufleben lassen. Man kann sich vom Wohnzimmer aus gesellschaftlich engagieren und sich intellektuell weiterbilden.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass junge Menschen sehr viel Nähe, Zuneigung und Bestätigung durch ihre persönlichen Kontakte brauchen. Zwar gibt es auch bei Teenagern schon die Bühnenbegabten, die sich im digitalen Zeitalter ausprobieren bei YouTube, Instagram und Co – doch das Licht der Öffentlichkeit wird für viele Heranwachsende erst dann erträglich, wenn sie sich in ihrer Persönlichkeit und ihrem Lebensweg gefestigt und sicher fühlen. Das ist ja das Schöne am Älterwerden: Man wird selbstbewusster und die Meinung der „Anderen“ wird immer unwichtiger.
Natürlich sehe auch ich es mit Sorge, wenn die 50+ Generation gesellschaftlich bestimmend ist. Ältere neigen zum Bewahrenden und verklären gern die Vergangenheit. Fortschritt ist nur mit Zukunftsvisionen und Abenteuerlust denkbar – junge Menschen sind wichtig, um uns als Menschheit weiterzuentwickeln und für Freiheit, Menschlichkeit und den Schutz aller fühlenden Wesen zu kämpfen. Doch junge Menschen sind auch leichter zu verführen als Ältere, da man im Alter durch bittere Erfahrung und Ent-Täuschung hoffentlich vorsichtiger wird bei Versprechungen.
Altwerden ist häufig mit zunehmender Einsamkeit verbunden. Solange die Augen mitmachen, können der Computer, Facebook und das Internet vor Isolation und Frustration schützen. Also liebe Kinder, habt Geduld mit Euren Eltern und zeigt ihnen behutsam den Weg zu Facebook. Zwar werden sie Euch viel zu häufig anrufen, weil sie mal wieder irgendetwas nicht verstehen, was passiert ist – doch besser, sie sind lästig wegen der vielen Fragen und Hilfsgesuche, als dass sie Euch die Ohren vorjammern, weil Ihr sie so selten besucht und sie sich so alleingelassen fühlen.
Also ran an Facebook! Und später sind sie vielleicht ganz happy, wenn sie mit dem Sprachassistenten reden können – und noch später fühlen sie sich vielleicht bestens umsorgt von ihrem Pflegeroboter, der nie überfordert ist und nie an ihnen rummeckert. Und das ist keine Ironie – das meine ich wirklich ernst.
HORIZONT vom 15.2.18: Facebook wächst und wird zum „Social Altersheim“
Wenn Senioren Alexa testen… WIRED hat den Versuch gestartet und ältere Herrschaften aus den USA mit dem Sprachassistenten von Amazon sprechen lassen. Ich finde es gut…