Wut als Stilmittel in der Politik: Hilfreich oder albern

Der Wahlkampf ist vorbei. Gott-sei-Dank, denke ich. Die letzten Wochen spitzte sich in den Medien der inhaltsarme Parteien-Kampf um jede einzelne Stimme immer weiter zu. Dabei setzten die meisten Parteien darauf, die Emotion „Wut“ bei den Wahlberechtigten hervorzurufen. Auch, wenn wir wussten, dass hinter den Kulissen die Parteien gemeinsame Partys feierten, lösten die Wut-Debatten ähnliche Reaktion bei den Zuschauern, Lesern und Social-Media-Konsumenten aus wie ein Autounfall: Grauenhaft, aber man kann nicht weggucken.

Warum ist das so? Was macht Wut mit uns Menschen, wenn wir diese bei anderen Menschen erleben? Was macht Wut mit uns, wenn wir selbst diese rasende Leidenschaft erleben?

„Gewonnen und verloren wird zwischen den Ohren“, sagte einmal Boris Becker in seiner Glanzzeit als Tennisspieler. Betrachten wir menschliche Begegnung als gigantisches Tennisspiel, sehen wir auf ganz vielen Ebenen  Auseinandersetzungen zwischen Menschen, bei denen man genau erkennen kann, wer mental überlegen ist – und wer der mental Schwächere ist.

In der Politik wird es besonders deutlich: Wähler/Innen wünschen sich Politiker/Innen, die zum einen auf der Seite der Wählenden stehen – und auf der anderen Seite mental stark genug, diese gegen politische Widersacher zu verteidigen. Wut ist dabei ein zweischneidiges Schwert. Wut drückt keine Überlegenheit aus, sondern Aggressivität. Nicht nur beim Tennis, auch bei einem Boxkampf kann Wut schwächen, da Strategie und kognitive Entscheidungskraft das Gehirn vernebeln.

Wut, der beste Antreiber?

„Jetzt reicht’s“ ist vielleicht die beste Umschreibung für die Emotion „Wut“. Mensch wächst über sich selbst hinaus, ist bereit, zu kämpfen.

Das aggressive, destruktive Gefühl der Wut kann ganze Gesellschaften aushebeln, wie wir es 1990 bei der Wiedervereinigung erleben durften. Hier führte die auslösende Wut des Volkes zu strategischem Denken, zu Entschlossenheit, Beharrlichkeit und Überzeugungskraft.

Kennen Sie dieses Gefühl des „Jetzt reicht’s“? Wissen Sie, wie es ist, sämtliche Konsequenzen in Kauf zu nehmen, weil die innersten Werte verletzt wurden? Kennen Sie das Gefühl der unbändigen Kräfte, die einen David zum ebenbürtigen Gegner eines Goliaths erheben?

Wut als Kompensation

Meist beschränken sich Wutaktivitäten jedoch auf private Beziehungen, in denen die Risiken überschaubar sind. Eltern sind wütend auf ihre Kinder, Paare sind wütend auf ihre Partner, Kinder sind wütend auf ihre Eltern… Man lässt sein Grundunwohlsein, das sich im Laufe der Zeit angestaut hat, an den Menschen aus, bei denen man sich die Wutausbrüche leisten kann. Man ändert nichts, man kompensiert.

Bild von xLensic auf Pixabay

Wut und Selbstbestimmtheit

Wohl dem, der ehrlich und angstfrei seine Emotionen ausleben kann. Wohl dem Erwachsenen, der aus einem tiefen Vertrauen heraus wie ein Kind seine Emotionen frei ausleben kann: Zufriedenheit wie Wut, Liebe wie Abneigung, Traurigkeit wie Freude. Wer bereit ist, die Konsequenzen seiner bedingungslosen Aufrichtigkeit zu tragen, ist wohl als glücklicher Mensch zu preisen.

Wut in der Politik

Donald Trump ist anscheinend sehr nah an diesem Privileg, rücksichtslos die eigenen Emotionen auszuleben. Allerdings kann es sein, dass er als leicht durchschaubarer „Dealmaker“ besonders leicht aus dem Hintergrund heraus zu dirigieren ist.

Unsere deutschen Politiker wirken hingegen oft wie rhetorisch abgerichtete Vertriebler, die in ihrem Mindset auf Erfolg getrimmt sind. OK, dann ist das eben so. Ich selbst habe im Februar 2025 zum ersten Mal in meinem Leben auf mein Wahlrecht verzichtet, da ich kein Fan von Mindset-Abgerichteten bin. Ich mag Aufrichtigkeit und Fehlerhaftigkeit, ich verachtete Käuflichkeit und Unterwürfigkeit.

Gespielte Wut in der europäischen Politik ist auf jeden Fall der überlegenen Entschlossenheit des Hegemons USA unterlegen. Was Europa in nächster Zeit erwartet, wird sowohl einflussmäßig als auch wohlstandsmäßig unangenehm werden. Die USA wollen nun den Einsatz im Ukrainekrieg sowie die Kosten des Wiederaufbaus auf die Europäer abschieben – im Moment mit dem geschickten Argument der fehlenden Meinungsfreiheit, die sie als „aufrechte Demokraten“ nicht länger hinnehmen werden.

Das wird nicht nur Menschenleben im Krieg kosten, sondern auch sehr viel Geld. OK, es ist, wie es ist. Vielleicht kommt ja irgendwann dieses „Jetzt reicht’s“ zurück und führt zu Veränderungskraft, zurzeit sehe ich jedoch keinen Weg aus der Misere.

Meiner Auffassung nach führen wir gerade einen Krieg Mensch gegen Maschine. Ich fürchte, dass die von Elon Musk geleitete US-Behörde DOGE mit rasender Geschwindigkeit Fakten schafft, bei denen Mitarbeiter und Entscheidungsebenen durch Künstliche Intelligenz ersetzt werden. Ich fürchte, dass wir nicht nur auf eine Massenarbeitslosigkeit zusteuern, sondern auch auf eine Massenüberwachung, die verhindert, dass die Wut der Bevölkerungen sich daraufhin politisch ausdrücken kann.
Es ist, wie es ist. Wir werden sehen…
golem am 17. Februar 2025: Massenentlassungen in der US-Regierung

Seit über zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Manager/Innen. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

steadynews.de

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