Reich sein ohne schlechtes Gewissen? Geht das?

Gestern sagte ein älterer Herr aufgebracht zu mir, er würde es nicht einsehen, Menschen mit durchzufüttern, die ihr Leben lang auf der Couch gelegen haben, anstatt arbeiten zu gehen, wie er es getan hat. Vor zwei Wochen sagte ein Student zu mir, er und seine Generation müssten nun Unmengen von Untätigen finanzieren, die als Babyboomer in Rente gingen und sich auf Kosten der Jungen einen schönen Lenz machen. Beide haben recht: Wer durch seine Arbeit keinen Profit einbringt – oder zumindest als Arbeitskraft das System aufrechterhält über Verwaltung, Ausführung und politische Entscheidungen, ist ein unnützer Esser. Beiden habe ich vorgeschlagen, die unnützen Esser zu töten oder zumindest deren Leben nicht noch künstlich in die Läge zu ziehen – zum Beispiel durch aufwändige, medizinische Versorgung oder ein großzügiges Sozialsystem. Der Rentner fand die Lösung gut, der Student war erschrocken.

Lieber reich sein als barmherzig?

Bild von Kirill auf Pixabay 

Auch ich bin skrupellos. Nichts gibt mir das Recht, mich über die Menschen zu stellen, die sich über unnütze Esser ärgern und gegen diese hetzen. Ich esse ohne Schuldgefühle weiterhin Fleisch aus Massentierhaltung und ich kaufe mir Konsumartikel, ohne darauf zu achten, wie diese produziert wurden. Ich spende zwar monatlich an Arme, doch an Bettlern gehe ich vorbei und gebe nichts.

König Mammon

Ich frage mich, was es mit unserem Herzen macht, so eindeutig auf König Mammon ausgerichtet zu sein. Nicht, dass es den Armen, Alten und Kranken in früheren Zeiten besser ging – ich bin voller Dankbarkeit dafür, dass es in Deutschland absolut vorbildliche Rechte und Auffangnetze für Bedürftige gibt – und ein Gesundheitssystem, das auch gesetzlich Versicherte ausreichend versorgt.

Und doch spüre ich (auch bei mir), dass die Ausrichtung auf alles, was mit Geld zu bezahlen ist, das Mitgefühl und die Liebesfähigkeit abtötet. Das Dunkle schluckt das Licht. Das Kalte schluckt die Wärme. Auch ich habe ein gutes Einkommen und kann mir alle materiellen Wünsche erfüllen, die mir in den Sinn kommen. Ich spüre sehr deutlich, wie mein Mammon mein Herz frisst. Ist es möglich, dass ich Reichtum mit Barmherzigkeit vereinigen kann?

Beruflich habe ich das unverschämte Glück, mit armen, kranken und hilflosen Menschen arbeiten zu dürfen. Hätte ich das nicht, würde ich wahrscheinlich depressiv, da mir dann mein Leben so sinnlos vorkommen würde. Ohne Glauben und ohne die Leidenschaft, gerne zu helfen, würde ich mich womöglich fühlen wie eine seelenlose Fress- und Ausscheidungsmaschine. Das stelle ich mir furchtbar vor.

Mein Tipp an alle, denen es geht wie mir:

Vielleicht habt Ihr auch schon als kleines Kind gelernt, dass jedes Stück Brot, das Ihr esst, einem Hungernden entrissen wird. Vielleicht habt Ihr (wie ich) ständig dieses Schuldgefühl, zu den „Versailles-Adeligen“ zu gehören, die hinter ihren Schloss-Mauern über die Armen lachen, sich vor ihnen ekeln, sich dank Bediensteter vor ihnen schützen, oder (wie ich) sich alle möglichen Geschichten ausdenken, die deren Schicksale romantisieren, so wie die Geschichten vom „edlen Wilden“.

Freut Euch über Eure Schuldgefühle, sie sind Euer bestes Werkzeug, um Euch weiterzuentwickeln. Es wird Euch nie gelingen, die Welt in ein Paradies zu verwandeln, wo der Löwe friedlich neben dem Lamm liegt. Gerade diejenigen, die das Böse bekämpfen, sind oft die, die neues Grauen erschaffen durch Krieg und Gewalt. Aber Eure Schuldgefühle setzen da an, wo Ihr etwas verändern könnt: Bei Euch selbst!

Wahrscheinlich werde ich bis zu meinem Tod nicht dahinkommen, dass ich nur so viel für mich behalte, wie ich unbedingt brauche, und alles Andere in Barmherzigkeit investiere. Ok, ok, ich bin wie der Reiche, der so gern Jesus nachfolgen wollte, aber dann an dem einfachen Satz scheiterte: „Geh und verkaufe alles, was Du hast, verteile es unter den Armen und folge mir nach“.

Bild von Nika Akin auf Pixabay

Aber ich kann auch als Reicher, der immerhin Jesus persönlich erlebt hat, ein minibisschen tun mit meinem schlechten Gewissen, weil ich meine Chance vertan habe. Ja, ich liebe Genuss und Luxus, aber mein Schuldgefühl gibt mir immerhin im Kleinen das Bedürfnis, mich mit den Alten, Armen, Kranken und Schwachen zu solidarisieren und nicht über sie zu hetzen oder ihnen den Tod zu wünschen.

Das ist doch schon was! Also pflegt Eure Schuldgefühle, nutzt sie als Kraftstoff, um beständig an Euch zu arbeiten und mit zunehmenden Alter immer gütiger und lieber zu werden. Mein Papa zum Beispiel hat es geschafft. Im Alter (als Beamten-Pensionär) hat er sich gern zu den Obdachlosen auf die Treppe gesetzt, hat ihnen im Rahmen seiner Möglichkeiten geholfen, ohne da ein großes TamTam drum zu machen, hat im Krankenhaus ehrenamtlich Betten geschoben und hat sich in seiner späteren Demenz über alles gefreut, was ihm ein warmes, gemütliches, geborgenes Zuhause gab.

Dankbarkeit und Bescheidenheit sind wunderbare Gaben, die auch ein Reicher erlangen kann, wenn er sein Gewissen pflegt und an etwas glaubt, was göttlich ist. Ich will werden wie mein Papa, möge der liebe Gott mit helfen, es zu schaffen.

Seit über zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Manager/Innen. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

steadynews.de

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