Christoph Kucklick auf der re:publica: Die Neue EU-Datenschutzverordnung – Ende der Meinungsfreiheit?

Unter dem Titel „Die digitale Konterrevolution: Wie Europa seine Bürger entmündigt“ hielt der Soziologe, Autor und Chefredakteur der GEO, Christoph Kucklick, einen Vortrag auf der re:publica 2017, der sehr kontrovers im Publikum aufgenommen wurde. Er stellte darin seine Befürchtung dar, dass die neue EU-Datenschutzverordnung, die im Mai 2018 in Kraft treten wird, eine Art „Konterrevolution der alten Männer“ ist.

Durch die Digitalisierung hat sich im Machtgefüge der Informations- und Meinungshoheit eine Menge bewegt. Durch soziale

Screenshot vom Vortrag von Christoph Kucklick auf der re:publica 2017

Netzwerke, Blogs und Co kann heute jeder zum Publizisten werden, ohne dafür offiziell legitimiert zu sein. Um dieser Bedrohung durch „das Volk“ zu entkommen, wäre es vorteilhaft, die rechtliche Einschränkung der Meinungsfreiheit mit Persönlichkeits- und Datenschutz zu begründen. Kann es sein, dass die EU-Datenschutzverordnung genau dies bewirken wird? Dass unliebsame Blogger und Social Media Aktivisten auf diese Weise mundtot gemacht werden können und die etablierten Leitmedien und politischen Machthaber ihr Terrain neu abstecken können?

Ich gebe zu, dass ich auf der re:publica, auf der ich 2017 zum ersten Mal als Teilnehmer dabei war, ein ungutes Gefühl hatte. Die starke Präsenz von Sendern, Verlagen und Journalisten, die starke Debatte um „Fake News“ gaben mir ganz persönlich das Gefühl, dass sich in den letzten Jahren eine Einheit zwischen Politik, Leitmedien und Web-Creatorn ergeben hat, die der anfänglichen „Graswurzelrevolution“ einen gesellschaftlich akzeptierten Rahmen geschaffen hat. Dieses ungute Gefühl fand dann im Vortrag von Christoph Kucklick seine Bestätigung. Leben wir nun wirklich im Zeitalter der „Konterrevolution der alten, dicken Männer“ so wie es bei jedem revolutionären Wandel probiert wird?

Der Konflikt zwischen Datenschutz und Meinungsfreiheit ist nicht komplett aufzulösen, so viel steht fest. Während es im vollständigen Datenschutz unmöglich wird, Transparenz in Vorgänge zu bringen, ist es bei der kompletten Freiheit der Meinungsäußerung unmöglich, Menschen, Interessen und Vorgänge vor Angriffen zu schützen. Wahrhaftigkeit und konstruktive Motive können schließlich nicht rechtlich verordnet werden. Man kann alle Rechte und Möglichkeiten zum Guten wie zum Schlechten nutzen.

Der autoritäre Charakter wird sicherlich dem Datenschutz zugeneigt sein. Er hat Vertrauen in den Staat und in Autoritäten, die dafür sorgen, dass es keinen Missbrauch von Freiheit geben kann. Freiheit ist die größte Bedrohung für Menschen, die voller Misstrauen sind. Der Staat muss mit seinen Regeln und Strafen die Einzelnen im Zaum halten.

Der idealistische Charakter vertraut darauf, dass der Mensch in sich selbst die Neigung zum Konstruktiven und Guten stärken wird, wenn er nur die Gelegenheit dazu hat, sich frei zu bewegen und sich zu entfalten. Der idealistische Charakter misstraut Autoritäten und Gesetzen und vertraut darauf, dass Meinungsfreiheit ein entscheidender Schritt hin zu einer besseren Gesellschaft ist.

Machthaber und Elite sind per se dem autoritären Lager zugeordnet. Zwar akzeptieren sie zunehmend, dass „flache Hierarchien“ und „Zusammenarbeit auf Augenhöhe“ wichtige Attribute im digitalen Zeitalter sind, da Effizienz. Lernen und schnelle Aktionszeiten mit der rasend schnellen Entwicklung von neuen Standards verbunden sind – doch das heißt nicht, dass sie sich Anarchie und Bewegungsfreiheit jedes Einzelnen wünschen. Sie möchten die kreativen Köpfe in ihren System liebevoll umarmen, um deren Kompetenzen zu nutzen. Doch sie möchten nicht, dass Hinz und Kunz das System an sich in Frage stellen und bedrohen können. Wer sprechen und agieren darf, soll ausgewählt werden. Da sind „Fake News“ eine willkommene Argumentation, um der wild um sich greifenden Laien-Äußerung Einhalt zu gebieten.

Mich hat der Vortrag von Christoph Kucklick sehr nachdenklich gemacht. Es ist verständlich und logisch, dass die neue EU-Datenschutzverordnung der Macht des Silicon Valley etwas entgegensetzen soll. Es ist wichtig, dass durch die Vorgabe, dass  Datenverarbeiter von jedem Menschen eine Einwilligung einholen müssen, die Menschen und Institutionen endlich vor der Überwachung geschützt werden. Und es ist unabdingbar, dass die informationelle Selbstbestimmung als Grundrecht wirkungsvoll vom Staat geschützt wird.

Doch die Kehrseite könnte tatsächlich sein, dass EU-Regierungen wie in Ungarn unter Viktor Orbán die Opposition ähnlich ausschließen und kaltstellen können wie wir es gerade in der Türkei erleben. Natürlich wird nicht jeder unliebsame Blogger im Gefängnis landen – doch man wird ihm mit Verweis auf fehlende Einwilligungen und das recht auf Löschung persönlicher Daten verbieten können, über andere Personen (wie Viktor Orbán selbst) zu bloggen, twittern, posten, bei Facebook zu teilen etc. Denn nicht nur Privatpersonen sind durch die neue Verordnung geschützt, sondern auch Personen des öffentlichen Lebens.

Empfindliche Geldstrafen werden ganz sicher ausreichen, um die freie Meinungsäußerung im Web zu vernichten. Christoph Kucklick führte als Extrembeispiel an, dass allein schon das Googlen des Begriffs „Jürgen Löw Schnupfen“ streng genommen illegal sei, da man bei Jürgen Löw nicht die Einwilligung eingeholt hat, diese personenbezogenen digitalen Daten zu recherchieren. Man wird schnell automatisch zum Datenverarbeiter, wenn man sich im digitalen Raum bewegt. Waren bisher Laien im digitalen Raum mit ihren recherchierenden und agierenden Aktivitäten geschützt, wird dies nicht mehr der Fall sein, wenn sie alle – also auch als Privatperson – als Datenverarbeiter eingestuft werden. Wie restriktiv ein EU-Mitgliedsland dann diese Bestimmungen auslegt, wird man sehen.

Noch ist der Vortrag von Christoph Kucklick nicht einzeln bei YouTube verfügbar. Er beginnt beim hier eingebetteten YouTube-Livestream von Stage 1 am zweiten Tag der Konferenz nach drei Stunden, 50 Minuten. Ich empfehle sehr, sich diese Stunde anzuhören und auch die (zum Teil wirklich aufgebrachten Reaktionen) zu erleben. Mag sein, dass der Soziologe, Autor und Chefredakteur der GEO nicht alle Behauptungen hieb- und stichfest dargelegt hat, doch die Reaktion eines der an der Formulierung der EU-Datenschutzverordnung Beteiligten nach dem Vortrag „Ich hab noch nie größeren Blödsinn gehört auf einer re:publica…“ zeigt, wie wichtig es ist, sich mit dieser ganzen Problematik auseinanderzusetzen und einen eigenen Standpunkt zu entwickeln.

Denn eins ist klar: Wenn die Menschen sich nicht einschüchtern lassen wollen, werden sie Wege finden, weiter ihre Meinung zu sagen, zu diskutieren und zu verbreiten. Es gibt einen grundlegenden Konflikt zwischen Datenschutz und Meinungsfreiheit, und ob die neue EU-Datenschutzverordnung gut oder schlecht für Demokratie und Selbstentfaltung sein wird, hängt im Wesentlichen davon ab, wie die Bürger und kreativen Geister sich dazu verhalten.

Ein weiterer wichtiger Beitrag zum Thema bei telemedicus:
#NetzDg und #DSGVO: Droht der Meinungsfreiheit in Deutschland ein perfekter Sturm?

 

 

 

 

 

Seit fast zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Unternehmenden. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

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One thought on “Christoph Kucklick auf der re:publica: Die Neue EU-Datenschutzverordnung – Ende der Meinungsfreiheit?

  • Reply SteadyNews-Newsletter vom 16. Mai 2017 23. Mai 2017 at 07:40

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