Von Ethik, Gewissen und meinem Axolotl-Tierchen

Was bedeutet Dir „Ethik“? Ist Ethik eine gesellschaftliche Konvention, der ich versuche zu folgen, um keinen Ärger mit dem System, in dem ich lebe, zu bekommen? Oder ist Ethik das, was schlichtere Gemüter (wie ich) als „Gewissen“ bezeichnen? Als den in jeder Zelle beheimateten Temperatursensor, der nachmisst, ob etwas richtig oder falsch ist? Der Sensor, der bewertet, was ich denke, spreche, tue? Ist Ethik das, was so sensibel und fragil in mir lebt wie ein scheues Tierchen? Schwächelt dieses zarte Tierchen sofort, wenn es unterdrückt oder vernachlässigt wird ? Kann Ethik nur dann frei leben, wenn der Mensch sich von gesellschaftlichen Konventionen befreit?

Mein kleines Ethik-Tierchen

Ich schaue ab und zu gern Dokusoaps wie „Hartz und Herzlich“ um Einblick zu erhalten in das Leben von Menschen, deren gesellschaftliche Umgebung deutsche Unterschichts-Ghettos sind. Auch wenn die Regie durch Inszenierungen und stilistische Färbungen vor Allem darauf abzielt, die Sensationsgier und Vorurteils-Gier der Zuschauer anzuregen, sind diese Einblicke für mich sehr wertvoll.

Ich mag diese Menschen, die von Moment zu Moment ihren Lebenskampf führen (müssen), deren Biografien und Lebensumstände so viel Traurigkeit und Mangel mit sich bringen. Und vor Allem: Die so selbstverständlich zusammenhalten und sich gegenseitig helfen! Einfach so!

In der letzten Folge aus einem riesigen Plattenbau-Viertel in einer ostdeutschen Großstadt sah ich eine Frau, die schon mehrere Kinder geboren hat, welche ihr alle weggenommen werden mussten (ja, wirklich mussten) und die nun ihre Einsamkeit seit ein paar Tagen mit einem Axolotl teilt. Ein Axolotl kommt eigentlich aus Mexiko, lebt aber vor Allem als Haustier in Aquarien mit kaltem Wasser. Er kann 20 Jahre alt werden!

Bild von Tinwe auf Pixabay

Ich sah also diesen kleinen blassrosa Schwanzlurch in diesem Goldfischglas und ich sah, wie glücklich die Frau jede Regung des wirklich absonderlichen Tierchens interpretierte. „Er beobachtet mich gerade ganz genau“ „Wenn er so unruhig wird, will er rausspringen aus dem Goldfischglas. Einmal hat er es tatsächlich schon geschafft und ich musste ihn wieder einfangen. Das Glas ist einfach zu klein“. Sie kaufte sogar von ihrem spärlichen Geld ein echtes Aquarium mit einer Höhle für 60 (!) Euro, um dem Kleinen einen angemessenen Lebensraum zu bieten.

Und plötzlich traf mich eine Erkenntnis: Mein Gewissen ist ein Axolotl!

Diese Frau und ihre kindliche Empathie für dieses fremdartige Tierchen zeigten mir, was Ethik sein kann, wenn man so völlig unberührt ist von Status und der Hoffnung, gesellschaftlich und persönlich aufsteigen zu können. Bei diesen von RTL II ausgewählten Menschen leuchtet mir eine Art von Ethik und Warmherzigkeit entgegen, die mir in meinem privilegierten Lebensumfeld fremd ist.

Vielleicht wird der kleine Axolotl nicht lange bei ihr überleben, weil sie in ihrem Moment zu Moment Leben dann doch etwas Entscheidendes vergisst. Wie gesagt, als Mutter ist sie mit ihrer mangelnden Selbstdisziplin durchaus auch eine Gefahr… Aber ich glaube, selbst wenn es nur wenige Tage sein sollten, die die Beiden zusammen sind, wird dieser kleine Schwanzlurch mit dem fehlenden „Ich werde Erwachsen“-Schilddrüsenhormon sicher etwas mit in seine Erinnerung nehmen, das ihn weiterbringt in seiner Entwicklung: Er wurde von ganzem Herzen geliebt wie ein verzauberter Prinz.

Ja, mein Gewissen ist ein Axolotl, der blassrosa und stumm in meinem Inneren schwimmt und mich beobachtet und meine Gewissens-Temperatur misst. Er bleibt ewiges Kind, aber er ist trotzdem (oder deshalb) erstaunlich genügsam und anpassbar. Ich bemerke meinen Axolotl nur, wenn ich mich ihm zuwende. Er fordert nicht meine Aufmerksamkeit, er fordert überhaupt nichts. Wenn ich ihn vergesse mit meiner mangelnden Liebesfähigkeit, wird er schwach und schwächer.

Aber er ist ein eigenes Wesen! Juchuh, es gibt ihn wirklich! Er ist keine gesellschaftliche Konvention, er ist mir nicht durch Erziehung und Ehrgeiz aufgezwungen! Er ist ein lebendiges Wesen, das mich kennt und versteht und liebt. Und sein Name sei Ethik. Ethiko, Etiko, Ekko…

Mein ewiges Kind – mein Axolotl

Ich danke dieser für das Fernsehen eingefangenen Frau, die mich etwas so Wichtiges und Spirituelles lehrte. Ja, nur mit dem Herzen sieht man gut. Ja, gerade Einsamkeit und Traurigkeit führen mich zu innerer Weisheit und zu der Kunst, transformieren zu können wie ein Alchimist. Ja, wenn ich einen kleinen blassrosa Schwanzlurch in seinen Gefühlen und Ängsten verstehen kann, verstehe ich die ganze Welt. Ja, der Spruch „Werdet wie die Kinder, denn nur so könnt Ihr den Himmel verstehen“ stimmt.

Ja, Gefühle sind immer schmerzlich – selbst wenn sie vergnüglich daherkommen. Ja, Glück ist kein Gefühl, Glück ist ein gesundes Umfeld für das zarte Wesen, das wir alle in uns tragen – weil es uns gibt. Glück ist, wenn Wasser, Luft, Erde und Sonne in Harmonie verbunden sind. Ja, Glück ist, wenn wir uns mit unserem Getrennstsein auflösen in dieser Harmonie. Wenn unser inneres Kind schwimmen kann und wenn wir spüren, dass wir richtig sind, ganz so wie wir sind.

Ethik bedeutet, den fragilen Temperatursensor in uns spüren zu können und uns aufzulösen in dem, was uns umgibt. Ethik bedeutet, alles zu lieben, was uns umgibt, einfach so. Ethik verurteilt nicht, Ethik ist warmherzig und großzügig. Ethik ist die Kunst zu lieben.

Mein kleiner Axolotl Ekko, gib mir immer wieder und wieder Chancen, es besser zu machen als zuvor. Ich weiß, Du musst Dich ab und zu in der Kälte meiner Gefühlsarmut abhärten wie in einem Kühlschrank, um weiterschwimmen zu können und wieder die Wärme wahrnehmen zu können, die in mir lebt. Ich weiß, ich mache es Dir oft genug schwer, Vertrauen und Sicherheit zu vereinen. Ich weiß, ich bin oft genug nachlässig und unwirsch und brauche Zeit, um das zu merken und zu bereuen. Ich weiß, nur Reue hilft dabei, Dich besser zu verstehen und für Dich besser zu sorgen. Verlasse mich nicht kleiner kindlicher Kaiser. Ohne Deine Liebe bin ich ein leeres Gehäuse, ein Schneckenhaus ohne Schnecke, ein Mensch ohne Sinn.

Ethik hört sich so akademisch abgehoben an – doch in Wirklichkeit ist Ethik nichts weiter als der Beweis, dass es uns wirklich gibt und dass wir es sind, die diese Welt gestalten. Wir sind echte Menschen und keine abgerichteten Hunde. Wir gestalten diesen Planeten mit unserer Liebesfähigkeit und unserem kindlichen Staunen. Halleluja!

Titelbild von Martin Morelos auf Pixabay

Seit fast zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Unternehmenden. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

steadynews.de

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