Ist Intelligenz nur ein Synonym für Gewissenhaftigkeit, Neugier, Mut und Optimismus?

Der Journalist Paul Tough meint, dass unsere Vorstellung von Intelligenzförderung häufig in die falsche Richtung gehen. Eltern könnten die Intelligenz ihrer Kinder nicht durch Übungen und frühkindliche Förderung trainieren – sondern was die Kinder brauchen, ist Selbstvertrauen, Liebe zum Leben, Durchhaltevermögen und die Bereitschaft, sich gegen Widerstände zu behaupten. Mut und Optimismus machen den Kopf frei und ein freier Kopf ist intelligent.

Child drawing in a book. [front]

Quelle: Flickr/ Boston Public Library/ CC-BY, Child drawing in a book.

Auf mich persönlich trifft diese Theorie absolut zu. Als Kind war ich sehr schüchtern, Kindergarten und Schule waren mir ein Graus, weil ich mich vor Befehlen, Zurechtweisungen, Ablehnung und Strafen fürchtete. Ich sehe noch mein Gesicht in der Grundschule vor mir, eingeschüchtert, blass, ein viel zu großer Kopf auf viel zu schmalen Schultern. Als dann noch die (hässliche) Brille im dritten Schuljahr hinzukam, war alles aus.

Auch im Gymnasium hielt der denkblockierte Zustand an, bis ich in die Oberstufe kam. Mühsam quälte ich mich durch die Lernfächer und hatte nur Freude an Deutsch und Kunst – alle anderen Fächer waren mehr Überlebenstraining als  alles andere – sogar Sport war furchtbar und ich kam mir durch und durch dämlich vor (bin auch einmal sitzen geblieben und hatte eine Nachprüfung – in Erdkunde).

Dann geschah das Wunder: Die reformierte Oberstufe riss die Klassenverbände mit ihren dörflichen Strukturen auseinander, ich konnte viele MINT-Fächer abwählen und mich ganz auf meine Leidenschaften konzentrieren: Politik, Geschichte, Deutsch, Pädagogik, Kunst, tänzerische Gymnastik, Philosophie, Biologie. Aus dem hässlichen Entlein wurde eine respektable Persönlichkeit, immer bereit, andere hässliche Entlein zu schützen und für die Freiheitsrechte der Schüler zu kämpfen. Ich wurde laut, mutig, fröhlich und sogar Schülersprecherin.

Ich habe nichts vergessen. Nichts von den Demütigungen, den Ängsten, dem Vergleich zu meinen erfolgreichen Klassenkollegen, den Schlafstörungen und dem Gefühl wie es ist, wenn man bei der Rückgabe der Matheklausur als Letztes aufgerufen wird, weil man die schlechteste Arbeit geschrieben hat. Ich habe es geschafft mich aus dieser entsetzlichen Rolle zu befreien und bin gestärkt daraus hervorgegangen. Heute kann ich vom Lernen nicht genug bekommen – allerdings sind mir MINT-Fächer weiterhin fremd (Mathe, Informatik, Naturwissenschaft, Technik). Meine Intelligenz liegt woanders – und ich behaupte auch meine Intelligenzleistungen sind wichtig für die Welt 🙂

Ich wünsche mir eine Welt, in der wir gerade klare Menschen aufwachsen lassen, ohne künstlich an ihnen herum zu er-ziehen. Ich wünsche mit eine Welt mit selbstgesteuertem Lernen, in der Kinder selbst entdecken können, was sie wann, wie und mit welchen Zielen lernen wollen. Ich weiß, dass ich auch eine passable Mathematikerin hätte werden können, wenn Neugier, Mut und Optimismus mich mathematisch begleitet hätten. Logik fasziniert mich und es hätte schon ganz gut zu mir gepasst. Ich hätte auch Fremdsprachen lernen können, wenn ich nicht diese tiefsitzende Angst vor Fehlern antrainiert hätte, die mich bis heute zum Fremdprachen-Legastheniker sein lässt. Ich liebe Menschen über alles, und mich mit fremden Menschen aus fremden Kulturen zu unterhalten hätte mir wirklich gut gefallen.

Ich hätte auch Erdkunde lieben können, wenn ich hätte Fragen hätte stellen dürfen und selbst erforschen, was Nigeria oder Sibirien denn nun wirklich von Deutschland unterscheidet – und unter welchen Arbeitsbedingungen Bodenschätze abgebaut und weiterverarbeitet werden. Doch allein bei dem Gedanken an Bodenschätze wird mir übel, so sehr habe ich mich (vergeblich) durch Erdkunde Schulbücher gequält – es war ein Horror.

Heute haben wir dank des Internets die Möglichkeit, Lernen neu zu definieren. Kinder können dank der vorliegenden unendlichen leicht verfügbaren Quellen und Netzwerke auf die „Schatzsuche“ gehen und sich selbst lehren – natürlich unter einer Führung, die ihnen Beharrlichkeit, Gewissenhaftigkeit, Disziplin und Durchhaltevermögen vermittelt…

Ich weiß, jeder Anfang ist schwer, birgt viele Risiken und fordert seine Opfer. So wie die Hippiebewegung ihre Opfer forderte – in Form von Drogen und gewaltsame Radikalisierungen. Heute sind es auch Gamer, die wir als Opfer der digitalen Zeit empfinden, wenn Kinder und Jugendliche die Schule unwichtig finden im Vergleich zu der faszinierenden Fantasywelt, in die sie täglich eintauchen.

Doch solche Wirrnisse gehören nun mal dazu, wenn sich die Welt weiterbewegt! Also nach vorn schauen und nicht zurück. Wir sind reif für intrinsisch (innerlich) motiviertes Lernen. Schluss mit den belohnenden und bestrafenden Konditionierungen. Lasst die Kinder mutig sein – und seid selbst mutig. Genau darum ist Charakter wichtiger als Intelligenz. 🙂

Paul Tough
„Die Chancen unserer Kinder: Warum Charakter wichtiger ist als Intelligenz“
321 Seiten; geb. Ausgabe 21,95€
Artikel zum Buch in der Welt-Online

 

 

Seit fast zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Unternehmenden. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

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