„Incels“: Digitale Bewegung der „unfreiwillig zölibatären Männer“ wird radikaler

Wir kennen das von Rassisten: Im Internet lässt sich der Hass auf Menschen anderer Kulturen fast unkontrollierbar ausleben. Sperrt man die eine Community, entstehen woanders neue, die noch schwerer zu identifizieren sind. Und wir wissen, wie eine Radikalisierung der Rassisten aussehen kann – und fürchten dies zu recht. Doch auch Männer-Communities mit Hass auf Frauen werden größer. Die „involuntary celibates“ – also Männer, die unfreiwillig länger als sechs Monaten keinen Sex mehr hatten, schließen sich nicht nur in den USA zusammen – und ein Teil von ihnen radikalisiert sich zunehmend. Was können wir tun?

Von Besitzverhältnissen und Paarungsverhalten

Heute haben Frauen in den Wohlstandsgesellschaften aus verschiedenen Gründen die Möglichkeit, sich

Bild von Tumisu auf Pixabay

ihre Sexualpartner frei auszuwählen. Berufstätigkeit, Dating-Tools wie Tinder, Morallockerung, Empfängnisverhütung und finanzielle Unabhängigkeit bringen Frauen in eine Machtposition, die für weniger attraktive Männer eine Bedrohung darstellt.

Tinder hat in einer Studie untersucht, wie sich die Attraktivität der Konten und deren Erfolgschancen verteilt: Tatsächlich werben 80 Prozent der unattraktiveren Männer um 22 Prozent der unattraktiveren Frauen. 78 Prozent aller Frauen konkurrieren um 20 Prozent der attraktivsten Männerprofile. Es gilt also mal wieder das 80/20 Pareto-Prinzip.

Unattraktive Männer haben es schwer in der Online-Datingwelt (und wahrscheinlich auch offline). In einer Welt, in der die Ehe nicht mehr das finanzielle und gesellschaftliche Überleben einer Frau sichert, lässt es sich viel leichter „nein“ sagen. Von erzwungenen Eheschließungen ganz zu schweigen – die spielen bei unseren westlichen Wohlstandsgesellschaften so gut wie keine Rolle mehr. Auch Tatsachen schaffen durch das ungeplante Schwängern einer Frau ist selten geworden.

Weiße, unattraktive Männer

Eine Studie mit Auswertungen von Konten zum Thema Mannosphäre mit insgesamt 138.000 Nutzern und 7,5 Millionen Beiträgen aus Foren, Wikis und Subreddits (thematische Sortierungen bei Reddit) zeigen, dass sich die Szene zunehmend aufsplittet und zum Teil radikalisiert. Es gibt für jeden sexuell unausgelasteten Mann die richtige Gruppe: vom Selbsthilfeaustausch bis zur radikalen Gewaltbereitschaft ist alles dabei.
Der Standard im Februar 2020: Frauenhasser werden toxischer

Frauen werden also wählerischer und suchen bei der Partnerwahl gezielt nach Attributen wie Schönheit, Sportlichkeit, Größe, Status, Humor. Männer, die introvertiert, unsportlich, übergewichtig, klein und/ oder gesellschaftlich erfolglos sind, haben das Nachsehen – und das, obwohl der Sexualdrang bei Männern nicht gerade geringer wird – auch dank des leicht verfügbaren pornografischen Materials im Internet.

Die Radikalisierung der Incels

Vor wenigen Monaten hatte ich in einem meiner Lehrgänge eine Buchautorin und YouTuberin, die Singles hilft, einen passenden Liebespartner zu finden. Sie war total schockiert darüber, wie viele Hasskommentare, Drohungen und Beleidigungen sie von Männern erhält, die unfreiwillig enthaltsam leben müssen – obwohl die Flirt-Expertin es ja eigentlich nur gut meint mit den Suchenden und Einsamen.

Nach dieser Erfahrung habe ich mich ein bisschen näher mit dem Phänomen der „Incels“ beschäftigt. Sorge bereiten kann das Ganze schon, wenn man bedenkt, dass schon 2014 der 22-jährige Elliot Rodger in Kalifornien sieben Menschen ermordete, weil er voller Hass auf Frauen war. Dieser Attentäter ist zwischenzeitlich für die radikalsten Incels-Communities zum Vorbild geworden. Auch wenn nicht laufend Anschläge auf Frauen und attraktive Männer ausgeübt werden, sollte man meiner Meinung nach Phänomen ernst nehmen.
FAZ von 2014 über den Amoklauf in Istla Vista, California

Frauen sind es gewohnt, im Netz von Männern beschimpft zu werden, wenn sie polarisierende Aussagen zur Geschlechterungleichheit treffen oder wenn sie sich selbstbewusst in politische Diskussionen einbringen. Natürlich ist der Hass gegen Frauen nicht immer eindeutig zu belegen, doch man braucht als Frau schon Mut, um sich von aggressiven Antworten nicht einschüchtern zu lassen – und um sich nicht verschreckt zurückzuziehen und lieber nur noch über Themen zu posten, die man Frauen „traditionell“ zugesteht.

Der Flirtexpertin aus meinem Kurs riet ich damals, sich bei ihren Videos und Posts immer ein Prozent mehr zu trauen, als sie für ungefährlich hält. Ich riet ihr, konsequent aggressive Aussagen und Accounts zu blockieren, ohne groß darüber nachzudenken – oder sich gar zu rechtfertigen.

Auch riet ich ihr, innerlich den hasserfüllten Männern Gleichmut und Verständnis entgegenzubringen – so wie man als Migrant vielleicht auch Rassisten eine ähnliche Haltung entgegenbringen kann – ohne sich dadurch beschränken zu lassen. Später schrieb sie mir, dass sie tatsächlich nun professioneller mit dem Hass umgehen kann und sich nicht mehr so schnell einschüchtern lässt. Bravo!

Training macht den Meister

Training macht den Meister. In der digitalen Kommunikation lauern zwar viele Gefahren und unerwartete Emotionen, doch je länger man damit umgeht, desto selbstverständlicher wird auch der selbstbewusste Umgang mit Kontakten, die wir ablehnen. Sich verstecken halte ich für die schlechteste Option, verstecken heißt, sich zum Opfer zu erklären. Das ist gefährlicher als „klare Kante“ zeigen.

Ich vermute, dass Incels die Hoffnung auf eine glückliche Partnerschaft nie wirklich aufgeben und dass radikalisierte Frauenhasser sich anders verhalten als Hasser von Menschen anderer Kulturen oder Lebensformen. Ich wünsche mir viele Selbsthilfegruppen und „freie Schulen“ für Männer, die sich zu ihrem Leid bekennen und aus ihrer Isolation herauskommen wollen.

In Japan ist man da schon weiter. Da ist das Problem der „unfreiwillig Enthaltsamen“ bei Männern anscheinend noch viel weiter verbreitet als in Deutschland. Es gibt immer Lösungen für sozial nicht tragbares Verhalten. Man muss sie nur finden und nutzen – dann bekommen wir auch dieses Problem in den Griff.

Seit fast zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Unternehmenden. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

steadynews.de

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