Das Land Sachsen will dem Arbeits- und Fachkräftemangel entgegenwirken, indem zunächst in fünf Ländern gezielt Menschen angeworben werden, die bereit sind, ihre Heimat für einen Job in Deutschland zu verlassen. Indien, Vietnam, Ägypten, Brasilien und Zentralasien scheinen für Kooperationen geeignet, da es dort einen Jugendüberschuss gibt und man diesen Ländern durch die Anwerbung nicht schadet. Erinnert unser heutiger Fachkräftemangel an die Sechziger Jahre? Damals wurden Kooperationsverträge geschlossen mit Italien, Spanien, Griechenland, Marokko, Portugal, Tunesien und der Türkei. Unvorstellbar, was aus Deutschland geworden wäre ohne diesen „Gastarbeiter“-Zustrom.
Arbeitskräftemangel in den Sechziger Jahren
Deutschland war in den Sechziger Jahren in erster Linie ein Industriestandort. Die angeworbenen Arbeitskräfte brauchten kaum deutsche Sprachkenntnisse, um sich in Fabriken und im Bergbau zurechtzufinden. Sicher war das eine extrem schwere Zeit für die Gastarbeiter, die sich in der Regel danach sehnten, nach einigen Jahren zurück in die Heimat gehen zu können.
Doch auch Pflegekräfte wurden damals dringend gebraucht und im Ausland angeworben. In Deutschland herrschte Pflegenotstand. Ende der Sechziger Jahre waren rund 50.000 Stellen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen unbesetzt. Die Pflegekräfte hatten selbstverständlich aufgrund ihres Berufs einen viel höheren Druck, Deutsch zu lernen.
Planet Wissen: Gastarbeiter in Deutschland
Arbeitskräftemangel heute
Heute liegt der Arbeitskräftemangel vor allem im sozialen Bereich und im Handwerk. Die meisten Fachkräfte fehlen in der Sozialarbeit, der Kinderbetreuung und -Erziehung, der Pflege. Nach dem Handwerk folgt der Fachkräftemangel in der Informatik und bei Berufskraftfahrern.
Wirtschaftswoche: Fachkräftemangel in Deutschland
Es ist wohl eindeutig, dass wir den bedrohlichen Mangel an Fach- und Arbeitskräften nicht aus eigenem Nachwuchs bewältigen können. Nicht nur, weil wir ein „vergreisendes Land“ sind, sondern auch, weil gerade junge Menschen nicht bereit sind, die unzureichenden Arbeits- und Gehaltsbedingungen in den betroffenen Branchen zu akzeptieren.
Zuwachs durch Geflüchtete
Zwar haben wir viele Menschen aus vielen Ländern bei uns, die vor Krieg und Not fliehen mussten, doch viele Faktoren machen es schwer, in Deutschland eine sichere Existenz und eine Familie mit Perspektive aufzubauen. Einschränkende Gesetze, Sprachbarrieren, fehlende Bildung, Kulturunterschiede und Integrationshürden… wie auch in den Sechziger Jahren braucht es manchmal Generationen, bis Zugezogene und Einheimische zusammenwachsen.
Und doch: 55 Prozent der Geflüchteten, die 2015 nach Deutschland gekommen sind, sind heute, acht Jahre später, erwerbstätig – davon 60 Prozent als Fachkräfte. Bei Bundesbürgern liegt die Erwerbstätigenquote bei 75,8 Prozent – also nur um 20 Prozent höher. Chapeau!
Bayrischer Rundfunk: Gut die Hälfte der 2015 Geflüchteten arbeitet
Auch in den Sechziger Jahren gab es in Deutschland viel Fremdenfeindlichkeit – wahrscheinlich sogar mehr als heute. Die sogenannten „Gastarbeiter“ sollten schnell wieder gehen, und sich bloß nicht zu heimisch fühlen in Deutschland. Viele Ehefrauen, die nachzogen, lernten kaum deutsch, man lebte zusammen mit Familien aus der eigenen Kultur in der Hoffnung, irgendwann zurückkehren zu können. Erst die Kinder oder Enkel schafften es, sich selbstverständlich mit den Einheimischen anzufreunden und die spaltenden Grenzen zu überwinden.
Lasst es uns heute besser machen als damals!
Mit Freundlichkeit und Respekt lassen sich auch schwere Hürden überwinden. Wir können mehr als altmodische, ungebildete Fremdenfeindlichkeit. Eindeutig ist an dem Beispiel Sachsen, dass wir zugewanderte Arbeits- und Fachkräfte brauchen. Ebenso eindeutig ist, dass die vielen Menschen und Familien aus aller Welt den Wunsch haben, zur deutschen Gesellschaft dazuzugehören.
Mir imponieren die ungeheuren Leistungen vieler Geflüchtete, in wenigen Jahren deutsch zu lernen, sich weiterzubilden, eine Ausbildung zu machen und die Zukunft der eigenen Familie zu gestalten. Oder ein Business aufzubauen und Arbeitsplätze zu schaffen. Würde ich das auch schaffen in Afrika, Asien oder Südamerika? Ich weiß es nicht. Vielleicht würde ich ganz einfach untergehen.
Zeit: Sachsen will Fach- und Arbeitskräfte in fünf Ländern anwerben