De Maizière: Müssen wir wirklich länger, mehr und besser arbeiten?

Der Kirchentagspräsident Thomas de Maizière hat zum 38. Evangelischen Kirchentag ein Statement zum Thema Arbeit abgegeben, das auf viel Widerstand gestoßen ist. (Video unten verlinkt). Sinngemäß kritisiert er die Generation Z, wenn junge Menschen nur vier Tage in der Woche arbeiten wollen – und das zu vollem Lohnausgleich und mit möglichst komfortablen Arbeitsbedingungen. De Maizière ist besorgt, dass unsere Gesellschaft immer weiter „nach unten durchgereicht wird“, wenn unsere Bürger vor allem an ihre eigenen Bedürfnisse denken und nicht bereit sind, sich für das Gemeinwohl einzusetzen – sprich, für das Gemeinwohl zu arbeiten. Doch was ist eigentlich „Arbeit“? Wie würdest Du als Leser für Dich „Arbeit“ definieren?

Zwei gegensätzliche Definitionen von Arbeit

  1. „Arbeit im philosophischen Sinn erfasst alle Prozesse der bewussten schöpferischen Auseinandersetzung des Menschen.“
  2. „Arbeit“ ist Mühsal, Fron, eine Strafe Gottes bzw. die fremdbestimmte Schufterei, für die eine privilegierte Minderheit Versklavte, Arme, Abhängige, Frauen und Besitzlose einsetzen kann.
    (vergleiche Wikipedia).

Reich werden und in Muße leben

Noch vor wenigen Jahren ging es vielen Menschen in erster Linie darum, Vermögen aufzubauen, um nie wieder arbeiten zu müssen. Erfolg wurde bei dieser Ideologie gleichgesetzt mit der Vorstellung, dank eines passiven Einkommens in Muße und Luxus irgendwo am Strand bei schönem Wetter zu leben. „Reich und glücklich“ Coaches verdienten viel Geld mit der Sehnsucht nach dieser Befreiung vom Frondienst. StartUps steckten ihre ganze Energie in Geschäftsideen, die irgendwann zu diesem sorgenfreien Luxus-Leben führen sollten. Doch zwischenzeitlich verändert sich der Traum – zumindest bei der ethisch motivierten Generation Z:

Minimalist sein und selbstbestimmt leben

Die Vorstellung, dass wir zurzeit unseren Planeten und die darauf lebenden Wesen zu Tode vergiften mit unserem Profitstreben und Konsum, kann ethisch fühlende Menschen nicht unberührt lassen. Gerade die Jugend ist voller Idealismus, voller Liebesfähigkeit und Sehnsucht nach einer Welt, in der es allen gutgeht.

Minimalistisch leben fällt Studierenden und Menschen mit frischem akademischen Abschuss leicht. Sie sind es gewohnt, in Armut zu leben – in der Regel haben sie Mittelschicht-Eltern im Rücken, die im Notfall einspringen können. Sie fühlen sich der Armut weniger ausgeliefert als jemand, der ohne Sicherungsnetz lebt. Da fühlt sich Armut ganz anders an. Da ist Armut eine permanente Bedrohung, die nicht ruhig schlafen lässt.

Ohne existenzielle Angst kann es durchaus erfüllend sein, CO2 zu sparen, indem man auf Überflüssiges verzichtet. Gesund essen anstatt teures Fastfood, Kleidung, Gadgets und Wohnungseinrichtung gebraucht kaufen oder geschenkt bekommen; mit anderen jungen Menschen in WG’s leben… , das kann schon Spaß machen! Dann noch ein Deutschlandticket als Mobilitätsgarantie und fertig ist ein erfülltes glückliches Leben.

Arbeit als bewusste schöpferische Auseinandersetzung

Vielleicht kommen wir gerade in ein Zeitalter, dass uns zurückführt in die philosophische Definition von Arbeit. Könntest Du Dir vorstellen, freiwillig zu arbeiten? Könntest Du Dir vorstellen, dass Arbeit für das Gemeinwohl glücklich macht – abseits von Reichtum, Besitz und Konsum?

Meine persönliche Definition von Arbeit:

Für mich persönlich bedeutet Arbeit Erfüllung. Das Erste, woran ich beim Begriff „Arbeit“ denke, ist mein zufriedenes abendliches Ins-Bett-Fallen, wenn alles zufriedenstellend erledigt ist. Wenn ich nach getaner Arbeit stolz auf mich bin und denken kann „Alles erledigt – alles gut“.

Arbeit ist für mich überhaupt kein Fron. Ich bin seit zwanzig Jahren selbstständig. Davor habe ich Ausbildungen gemacht und es genossen, in der Schule mit meinen SchulkameradInnen zu lernen. Davor war ich neben meiner Mutter- und Hausfrauenrolle Gelegenheitsarbeiterin (Flohmarkt, Plakatieren, Putzen…) und nach dem Abitur seit meinem 21. Lebensjahr Mutter – von 1, 2, 3 und schließlich vier Kindern.

Arbeit verdanke ich meine seelische Gesundheit. Anerkennung, schöpferische Lösungssuche, spannende Herausforderungen, Liebe, Stress, Abenteuer und die ständige Angst vor Armut sind meine Wegbegleiter, seit ich kurz nach dem Abitur das elterliche Kinderzimmer verlassen habe.

Ich liebe es, verzweifelt zu sein, weil das Vertraute plötzlich nicht mehr funktioniert. Ich liebe es, dann die „Reise des Helden“ erneut anzutreten und mich in unbekannte Gefilde zu begeben, einfach weil ich es muss. Meine besten Momente hatte ich immer dann, wenn ich aus purer Not mich selbst überwunden habe. Ich liebe es, Geld zu verdienen mit meinen Fähigkeiten und Möglichkeiten. Ich liebe das Auf und Ab der Selbstständigen.

Irgendwann in Rente?

Langsam werde ich älter, gemütlicher, meine Kräfte lassen nach. Ich mag es, genug zu schlafen, ich mag es, mich auch mal einen Tag lang zu erholen. Gerade lerne ich Muße als etwas sehr Angenehmes kennen. Wer weiß, vielleicht werde ich bald verstehen, warum es schön ist, Ruhe zu haben vor dem Weltgetriebe. Klingt nicht schlecht…

Und was ist Arbeit für Dich?

Mein Vorschlag: Nimm Dir mal Zeit, Dir auszumalen, wie Du am allerliebsten leben möchtest. Was wäre, wenn Du eine immer gefüllte Geldbörse hättest, die sich wie durch Zauberhand für den Rest Deines Lebens füllt?

OK, fast alle Menschen wollen dann erst mal gaaaanz lange reisen. Aber was ist danach? Was würdest Du tun, wenn Du genug gereist bist?

Ich bin so jemand, ich fühle mich wie ein Heimgekehrter. Was ich mir wünsche ist, dass ich weiterhin für Menschen gut bin. Ich liebe es, für das Gemeinwohl zu arbeiten. Wobei meine „Arbeit“ nichts weiter ist als freundschaftliche, gemeinsame Lösungssuche – ohne Mühe und ohne Fremdbestimmung.

Zum Konsum brauche ich nicht viel. Habe ich zu viel Geld, fange ich an, mir Handtaschen zu kaufen. Ich habe kein Talent für Geld. Vor allem habe ich kein Talent, Geld anzulegen oder gar zu vermehren. Ich brauche eine Wohnung, Heizung (!), Kleidung für jedes Wetter und gesundes Essen von Aldi. Fire-TV und Streamingdienste (YouTube, Amazon Prime, Netflix und die GEZ-Mediatheken). Und meinen Kindle. Und mein Smartphone brauch’ ich auch. Naja, und die schöpferische Auseinandersetzung, die ich „Arbeit“ nenne. Fertig!

Und jetzt Du: Was brauchst Du? Brauchst Du Arbeit? Brauchst Du einen Platz im „Gemeinwohl“?

Thomas de Maizière vor dem 38. Evangelischen Kirchtentag im Juni 2023

Seit fast zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Unternehmenden. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

steadynews.de

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