Seit einiger Zeit habe ich die Möglichkeit, innerhalb der Stadt Dortmund mit Menschen zu arbeiten, die langzeitarbeitslos sind und auf Jobsuche. Fast 90 Prozent der Jobcenter-Kunden, die sich im Bereich Stellensuche, Lebenslauferstellung, Bewerbungsanschreiben und Vorbereitung auf Vorstellungsgespräche beraten lassen, sind Migranten. Viele von ihnen haben in ihrer Heimat keinen Schulabschluss erwerben können, mussten schon als Kinder arbeiten – oder ihr Schulabschluss bzw. Berufsabschluss kann hier nicht objektiv überprüft und anerkannt werden.
Jobs für alimentierte Migranten
Langzeitarbeitslose Migranten haben häufig große Probleme mit der deutschen Sprache. Auch nach mehr als fünf Jahren Aufenthalt in Deutschland finden viele von ihnen keine Möglichkeit, mit Deutschen in den Austausch zu gehen – und vergessen das Deutsch, das sie in Sprachkursen erlernt haben.
Rund die Hälfte der Migranten, die aus Kriegs- und Perspektivlosigkeit nach Deutschland gekommen sind, haben sehr schnell ihre beruflichen Erfolgskonzepte in Angriff nehmen können und sind schon nach einigen Jahren mit ihren Familien frei von Alimentierung durch das Jobcenter geworden. Ärzte werden Inhaber von Restaurants oder Imbissläden, Anwälte haben eine Ausbildung zum Versicherungskaufmann oder Physiotherapeuten absolviert, Lehrerinnen werden Jobcoachs oder arbeiten in der Pflege – Facharbeiter und Ingenieure finden befristete Jobs in der Zeitarbeit und fahren Taxi.
Kein leichtes Los, aber es lohnt sich. Wenn die Eltern arbeiten gehen, sind sie Vorbild für die Kinder. Häufig machen die Kinder der ersten Generation hervorragende Schulabschlüsse, studieren, sind beruflich ehrgeizig und spüren eine große Verantwortung dafür, ihre Eltern im Alter unterstützen zu wollen.
Einheimische Langzeitarbeitslose

Bei den einheimischen Langzeitarbeitslosen handelt es sich meistens um Menschen, die biografisch zu den Familien gehören, in denen es eher selten jemand schafft, beruflich aufzusteigen. Die Schicksale gleichen sich: Eltern waren häufig selbst schon in Sozialhilfe, die Kinder haben irgendwann ohne Abschluss die Schule verlassen oder ihren Abschluss in einer Schule für Kinder mit besonderem Förderbedarf erworben, viele Biografien sind durchzogen von Schmerz, Gewalt, Einsamkeit und daraus folgenden seelischen und körperlichen Krankheiten.
Genügend Jobs für Langzeitarbeitslose?
Ein Fünftel der Bürgergeld-Bezieher gehen arbeiten, benötigen jedoch die sogenannte Aufstockung, da ihr Einkommen zu niedrig ist. Besonders bei Familien mit Kindern ist es für Ungelernte sehr schwer geworden, unabhängig vom Jobcenter zu leben. Allein die Wohnkosten sind so hoch geworden, dass auch ein Stundenlohn von 14 Euro nicht hoch genug ist, um eine Familie mit zwei Kindern zu ernähren.
Es besteht zwar der Druck von der Behörde, dass beide Elternteile arbeiten sollen, doch wenn die Kinder nicht in soziale Strukturen eingebunden sind, in denen Großeltern oder andere Angehörige einspringen können, ist es sehr schwer, unentwegt und zuverlässig dem Arbeitgeber zur Verfügung stehen zu können. Die öffentliche Kinderbetreuung und –Förderung in den Bundesländern ist weiterhin sehr schlecht, und Mütter, die ständig wegen Krankheit der Kinder fehlen müssen, sind für viele Jobs nicht tragbar.
Nur 1,4 Prozent aller Stellenangebote sind Helferjobs
Nur etwa 1,4 Prozent der Stellenangebote richten sich an Ungelernte ohne Berufsabschluss. Das bedeutet, dass sich viele der oben beschriebenen Alimentierten um diese Helfertätigkeiten bewerben – einige, weil sie unbedingt arbeiten wollen, andere, weil sie vom Jobcenter dazu gezwungen werden.
Arbeitgeber haben ähnliche Vorurteile gegenüber Bürgergeld-Beziehern wie Vermieter: finanziell prekär, sozial auffällig, leistungsschwach. Da Arbeitgeber viele Bewerbungen von Alimentierten erhalten, die sich nicht freiwillig bewerben, haben sie eine verzerrte Wahrnehmung.
Außerdem sind Menschen mit niedrigem Bildungsabschluss überfordert mit digitalen Bewerbungsprozessen. Kaum jemand besitzt einen Desktopcomputer. Per Smartphone Bewerbungsmappen zu bearbeiten und auf Portalen hochzuladen, ist nicht so einfach. Die Bürgergeldempfänger brauchten eigentlich jeden Monat Unterstützung, um sich auf die wenigen geeigneten Stellenausschreibungen zu bewerben.
Das ist sehr schade, denn als Job Coach habe ich immer wieder erlebt, wie sehr ein Mensch aufblüht, wenn er nach vielen Jahren der alimentierten Arbeitslosigkeit wieder eine unbefristete Stelle ergattert und von Tag zu Tag und Woche zu Woche die Bestätigung erhält, dass er gut ist im Job und dass er gebraucht wird und etwas kann!!!
Wo gibt es Helferjobs?
Ungelernte Kräfte finden noch am ehesten Jobs in der Branche Logistik/ Transport/ Lager. Leider werden diese Jobs sehr häufig über Personaldienstleister vergeben. Festanstellungen bei Betrieben sind selten. Das bedeutet, dass man meistens schon nach Monaten entweder die Firma wechseln muss oder erneut von der Zeitarbeitsagentur „freigestellt“ wird. Amazon ist nach meiner Erfahrung in Bezug auf Gehalt und Struktur beliebt – doch jeder, der bei Amazon im Lager arbeitet, weiß, dass er sehr wahrscheinlich nur Verträge über maximal ein Jahr erhalten kann. Ansonsten müsste Amazon sich an deutsche Arbeitnehmerrechte halten und könnte nicht länger nach Bedarf kurzfristige Entscheidungen treffen mit dem US-Prinzip „Hire and Fire“.
Der zweitgrößte Bereich der Jobs für Ungelernte betrifft Vertrieb, Gastronomie und Verkauf. Doch viele der Menschen ohne Berufs- oder Schulabschluss sind nicht souverän genug im professionellen Umgang mit potenziellen Kunden. Vor allem in der Gastronomie werden Fähigkeiten und Eigenschaften erwartet, über die gesellschaftlich „gemobbte Kinder“ ganz einfach nicht verfügen. Auch das häufig relativ hohe Alter vieler Langzeitarbeitslosen ist ein Hindernis bei der Stellensuche für Helfertätigkeiten. Diese sind häufig mit körperlich anstrengenden Tätigkeiten verbunden.
Sanktionen, um Alimentierte zur Arbeit zu zwingen?
Die meisten der Langzeitarbeitslosen leiden unter chronischen Erkrankungen und anderen schwerwiegenden Vermittlungshemmnissen (z.B. Alleinerziehende mit Kindern unter zwölf Jahren). Sollte mit der „Neuen Grundsicherung“, die vielleicht schon im September realisiert wird, der Druck auf die Betroffenen steigen, ist davon auszugehen, dass die Auswirkungen womöglich verheerend sind: Räumungsklagen, da die Wohnkosten mit den gekürzten oder gestrichenen Bezügen nicht mehr getragen werden können, Verschlimmerung von Depressionen und Angststörungen, Zunahme anderer chronischen Erkrankungen.
„Angst essen Seele auf“ heißt es, und das stimmt. Ich würde mich freuen, wenn es diesen Menschen möglich wäre, im beschützten Rahmen zu arbeiten und durch Tätigkeiten wie Straßenreinigung, Betreuung und Begleitung von Hilfsbedürftigen, Garten- oder Parkpflege und andere Tätigkeiten rund um das Gemeinwohl lebendige Struktur, Bestätigung und Würde zu erhalten. Denn eins ist klar: Wer nicht arbeitet, wird auf die Dauer krank. Das Leben als Alimentierter ohne geleisteten Gegenwert ist für die Seele schwer zu ertragen.
Deutsches Ärzteblatt: Arbeitslosigkeit ist mit einem 63 % höheren Sterblichkeitsrisiko verbunden im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung