Zwar ist Influencer-Werbung (also kommerzielle Kanäle von selbstständigen „Online-Verkäufern“ in Social Media Kanälen) am wenigsten beliebt unter allen werbenden Medienangeboten, doch als Traumjob steht der Wunsch weiterhin ganz schön weit oben. Vor allem weibliche Social Media Nutzer sind kritisch, wenn Influencer versuchen, so authentisch wie möglich Produkte zu präsentieren – obwohl man doch weiß, dass für Reichweite, Klicks, Likes und Kommentare von den Marken Vergütungen gezahlt werden. Männer sind da laut einer Studie der Medienanstalten etwas gnädiger mit den Digital-Vertrieblern. Doch während die Social-Media-Nutzer oft von den unzähligen Nano- und Micro-Influencern genervt sind, denken weiterhin mehr als 40 Prozent aller Abiturienten/Innen darüber nach, ihren Lebensunterhalt als Content-Creator zu verdienen – warum bloß?
Der Traum von Beliebtheit, Freiheit und Erfolg
Als ich Kind war, wollten viele Jungen in meiner Klasse Fußballer werden und die Mädchen Schauspielerin oder Sängerin. Die Sehnsucht, in der Klasse die Beliebteste oder der Angesehenste zu sein, war genauso groß wie heute.
Wenn dann in der Pubertät auch noch die Sexualität erwacht, wissen sich die Jugendlichen kaum zu helfen mit ihren überströmenden Gefühlen von Sinnlichkeit, Sehnsucht und Lust. Kein Wunder, dass sie von allen begehrt werden wollen… Ich vermute, das war schon im Mittelalter so.
Und dann kam Social Media

Schon relativ früh entdeckten kreativ begabte Jugendliche die Möglichkeit, sich über YouTube, Instagram und Twitch (in erster Linie der Kanal für E-Sport-Streamer) zu verwirklichen als Content-Creator. Der alte Kindertraum, Popstar, Model, Schauspieler/In, Tänzer/In berühmte/r Sportler/In oder Sektenführer/In und Guru zu werden, scheint in greifbare Nähe gerückt zu sein.
Real verdientes Geld spielt eine weitaus unwichtigere Rolle für die unzähligen Nano- und Micro-Influencer als der Antrieb und Glauben, irgendwann richtig groß rauszukommen wie die berühmten Vorbilder. In der Regel leben die jungen Menschen, die eine Karriere als Influencer starten, bei ihren Eltern und freuen sich auch über kleine selbst verdiente Taschengelder – oder über Produkte, die sie bei Instagram, TikTok oder YouTube präsentiert haben und anschließend behalten dürfen.
indeed – Wie viel verdient ein Influencer
Jagd nach Anerkennung und Selbstbestimmung?
Unsere Welt hier in der westlichen Hemisphäre ist geprägt von der Vorstellung, jeder Mensch ist einzigartig und etwas ganz Besonderes. Die vielen digitalen Möglichkeiten der öffentlichen Selbstpräsentation scheinen für annähernd die Hälfte der jungen Menschen so attraktiv zu sein, dass sie sich lieber mühevoll von ganz unten nach ganz oben arbeiten wollen mit ihren Social-Media-Kanälen, als dass sie sich als Auszubildende oder Studienabsolventen brav in Unternehmen einreihen und sich dort anpassen.
Eine neue Welt der Selbstständigen?
Auch wenn die Illusion, man sei etwas ganz Besonderes und wird irgendwann Erfolg haben, sich nicht ewig aufrechterhalten lässt, kann es sein, dass da eine Generation heranwächst, die bei guten Rahmenbedingungen durch Steuergesetze, Sozialversicherungen und Politik hervorragende Selbstständige sein können. Vielleicht geht die Zeit der abhängig Beschäftigten so langsam ihrem Ende zu.
Sind nicht auch soziale Berufe, Lehrtätigkeiten, Handwerksleistungen, E-Sport-Engagement, IT-Professionen und die Präsentations- und Verkaufsfähigkeiten von Influencern kreative Tätigkeiten, die Freiheit brauchen, um die bestmögliche Leistung zu erbringen?
Angestellte Influencer kann man sich kaum vorstellen. Der Ehrgeiz, sieben Tage die Woche von morgens früh bis spätabends sein Bestes zu geben und für die Community da zu sein, funktioniert nicht bei festen Einkommen mit Urlaubsanspruch und bezahlter Krankschreibung.
Freiheit und Selbstbestimmung
Ich jedenfalls würde mich riesig freuen, wenn wir eine Welt aufbauen könnten, in der die Menschen sich als freiheitsliebende, Selbstverantwortung tragende, unregierbare Selbstständige verstehen. Die in der Schule lernen, was sie interessiert, die im Studium erforschen, was sie mit Neugier und Wissensdrang treibt – und die trotz dieser unternehmerischen Einstellung sich von Herzen wünschen, dass es allen fühlenden Wesen gut geht.
Lauter selbstbewusst Schaffende, die Lust haben, an einer friedlich, fleißigen, freundlichen Menschengemeinschaft mitzuwirken. Wo jeder in Würde arbeiten kann für das, was er zum Leben braucht – und die, die zu schwach sind für sämtliche produktive Tätigkeiten, versorgt und geachtet werden in liebevollen Umgebungen.