Der einzige Grund, arbeiten zu gehen, ist das Geld

„Warum willst Du arbeiten?“ „Ich arbeite nur für Geld“. „Ist das alles? Nicht für Erfüllung, für eine zweite Familie im Betrieb, nicht aus der Sehnsucht heraus, abends zufrieden und müde ins Bett zu fallen? Nicht, um Dich immer weiterzuentwickeln?“ Ungläubiges, etwas mitleidiges Staunen. „Nein, der einzige Grund, arbeiten zu gehen, ist das Geld“.

Bild von Werner Heiber auf Pixabay

In den letzten Wochen habe ich bewusst geforscht, habe Menschen befragt, habe Menschen in Arbeit und Menschen in der Arbeitslosigkeit befragt. Selbst die, die noch bis vor einigen Jahren begeistert von ihrem Beruf und ihren Kollegen schwärmten, scheinen verstummt zu sein. Hat Corona ganze Arbeit geleistet? Ist die ganze Unbefangenheit, die man für echte Kontakte braucht, so stark gewichen, dass offenherzige Kollegialität kaum noch machbar ist? Ist jeder froh, wenn er endlich wieder zu Hause ist und die Tür schließen kann? Und wenn man nur noch für Geld arbeitet, was hat das für Konsequenzen?

Arbeiten für Geld?

Je größer die Stadt, in der man lebt – und je größer die Wohnung (bei zwei Kindern mindestens 80 qm), desto unwahrscheinlicher ist es, dass man ohne staatliche Subventionierung in Form von Wohngeld sorgenfrei leben kann. Ein Single braucht in städtischen Gebieten mindestens 1.200 Euro netto, um an die Höhe des Bürgergelds heranzukommen. Sozialticket, zinslose Darlehen bei Notsituationen und andere Vergünstigungen und Hilfen entfallen. Auch haben Berufstätige höhere Ausgaben – zum Beispiel für die Wege zur Arbeit. Und was ist, wenn das Auto streikt? Was dann? Schnell sind Kfz-Reparaturkosten im vierstelligen Bereich erreicht. Hat man Rücklagen für solche Katastrophen?
Schufa-Umfrage von November 2023: Jeder dritte Deutsche zögert Zahlungen hinaus

Je größer die Familie, desto seltener ist es möglich, dass einer der Partner ganz für die Kinder da sein kann ohne staatliche Alimentierung. Ein Minijob reicht nicht aus, um das Gehalt des Hauptverdieners zu ergänzen. Was für eine Hetze, wenn beide Eltern 20, 30 oder gar 40 Stunden in der Woche arbeiten! Welch zusätzliche Belastung, wenn dann auch noch die Kinderbetreuungsangebote nicht ausreichen!

Arbeiten für Geld

Kein Wunder, dass mehr als 60 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland befürchten, vor lauter Überlastung an Depressionen zu erkranken. Jeder Fünfte vermutet sogar, kurz vor dem Burn-out zu stehen. Was die meisten Betroffenen fürchten, sind Überstunden (34 Prozent), 32 Prozent empfinden dauernden Termindruck. Wer Familie hat und/ oder für pflegebedürftige Eltern verantwortlich ist, hat den größten Stress – wie hält man das nur aus?
Zeit.de: Ein Fünftel der Beschäftigten befürchtet Burn-out

Zurzeit habe ich das Glück, einen Tag in der Woche Menschen unterrichten zu dürfen, die seit Kurzem arbeitslos sind. Am letzten Donnerstag haben wir über das Thema „Arbeit“ gesprochen.

In dem Kurs sind sowohl sehr junge Menschen als auch Ü50-Arbeitslose. Während die Älteren sich riesig freuen, wenn sie den neuen Arbeitsvertrag unterschreiben, erscheinen mir meine jüngeren – oft sehr gut ausgebildeten – Teilnehmer resigniert, mutlos, scheu. Sie scheinen sich trotz des mageren Arbeitslosengeldes (kurz nach der Ausbildung oder in einem der unteren Stundenlohn-Bereiche muss man nicht selten sogar ergänzend Bürgergeld beantragen, da das ALG I zu niedrig ist für Wohn- und Lebenskosten) regelrecht zu erholen, weil sie aus Arbeitsbedingungen kommen, die traumatisierende Spuren hinterlassen haben.

Ständig wechselnde Anordnungen, unklare Aufgabenbereiche, ein Hin und Her zwischen Unter- und Überforderung, oberflächliche Kontakte zu den Kollegen, die man nicht als Betriebs-Familienmitglieder empfindet, sondern als lauernde Gefahr. Besonders belastet sind Mitarbeiter aus dem Gesundheitsbereich.

Manchmal kann ich die Erfahrungen aus dem letzten Arbeitsverhältnis kaum glauben! Eine plötzliche Entlassung, die man als Betroffener einfach nicht verstehen kann, immer wieder Mobbing, belastende Prozesse vor dem Arbeitsgericht, Kündigungen in der Probezeit, Zeitarbeitsagenturen – bleibt denn nur noch Arbeit wegen des Geldes?

Arbeit mit Sinn und Leidenschaft?

Studien zufolge hat die gefühlte Sinnlosigkeit seit der Coronakrise 2020 enorm zugenommen. Irgendetwas ist damals bei vielen von uns passiert – auch bei mir. Ich liebe meine Arbeit zwar weiterhin, doch das enge Vertrauensverhältnis zu den damaligen Kollegen und Kolleginnen war fast über Nacht verschwunden. Plötzlich hörten wir auf, zusammen Mittagspause zu machen. Nach den Lockdowns mit Homeoffice hatte anscheinend kaum noch jemand Lust, die gemeinsame halbstündige „Mittagsparty“ zu genießen.

Ich könnte mir vorstellen, dass wir nun wirklich in eine Zeit hineinwachsen, in der immer mehr Menschen mit dem Gefühl zur Arbeit gehen, wie man damals zur Schule ging. Muss eben sein… Schlimm ist das! Richtig schlimm!

Vielleicht erleben wir bald eine zweite große Welle an Gründungen. Ein Kurs-Teilnehmer, der aus einem arabischen Kulturkreis nach Deutschland kam, meint, dass die Lust an der Arbeit einfach deshalb in seiner Heimat höher ist, weil es dort so viele Selbstständige und Unternehmer gibt. Wer selbstständig arbeitet, MUSS sich leidenschaftlich mit seinem Business identifizieren, sonst ist er bald pleite.

Ich wünsche mir, dass es bald wieder Förderprogramme für Gründer aus der Arbeitslosigkeit gibt, die attraktiv genug sind, um den Sprung zu wagen. Arbeit bedeutet in der Definition vom Wirtschaftslexikon Gabler: zielgerichtete, soziale, planmäßige und bewusste körperliche und geistige Tätigkeit. Arbeit bedeutet, die Welt besser machen zu wollen. Arbeit bedeutet, das eigene Potenzial zu nutzen, um Ziele zu erreichen. Arbeit heißt, Verantwortung zu übernehmen.

Bedingungsloses Grundeinkommen

Sollten wir wirklich in eine Zeit rutschen, in der Alimentierung zur Selbstverständlichkeit wird, sehe ich nur schwarz für unsere Versorgungslage. Ich befürchte, dass wir durch die Verweigerung von zielgerichteter, bewusster Anstrengung, von Disziplin und Ehrgeiz, zu einem Heer von Bettlern werden, die nur haben wollen, aber nichts zu geben bereit sind. Das wäre die Hölle auf Erden. Und wahrscheinlich wäre der nächste Schritt die gnadenlose Dezimierung der Menschheit. Weil man nicht Milliarden von Bettlern ernähren und gesundheitlich am Leben erhalten kann.

Seit fast zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Unternehmenden. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

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