Freia wacht auf. Es ist der 20. Februar im Jahr 2123, 10.00 Uhr. Ihr Meeting mit den anderen Sozialkünstlern ist um 14 Uhr. Sie hat noch Zeit. Draußen ist es ruhig. Sie schaut aus dem Fenster. Einige Menschen sind auf der Straße, erledigen Arbeiten für die zahlreichen Roboter, oder chauffieren diese, wenn menschliche Steuerungen für die Maschinen effizienter sind als autonome. Menschen gibt es nur noch, um den reibungslosen Ablauf der KI-Infrastruktur zu gewährleisten. Freia und einige andere Künstler sind dazu da, die emotionale Balance dieser menschlichen Arbeitskräfte zu halten.
Freia erinnert sich an die Zeit, in der die Menschen noch gebraucht wurden, um Produkte zu konsumieren. Mit einem sogenannten „Bedingungslosen Grundeinkommen“ wurde das Prekariat bezuschusst, da die damalige Wirtschaft auf Massenproduktion und Konsum angewiesen war.
In dieser kurzen „Paradise-Aera“ gab es lauter Gamer, Künstler, Freaks, Rebellen, DIY-Handwerker, Kreative, Sozialkünstler – und alle Formen von Hedonisten und Kriminellen. Natürlich konnte das Modell auf Dauer nicht funktionieren. Wenn Menschen nur noch da sind, um zu konsumieren, bringt das keinen Profit für die Wirtschaft. Kapitalismus braucht Wachstum. Kapitalismus braucht Gewinn.
Nach dem großen Krieg hatte sich die Zahl der Menschen weltweit auf diejenigen reduziert, die für die Maschinen von existenzieller Bedeutung sind. Seitdem herrschen Frieden und Gleichmut unter den Überlebenden. Sozialkünstler sind dazu da, die körperliche, seelische und geistige Gesundheit der Maschinen-Sklaven zu erhalten. Die Natur auf dem Planeten Erde hat sich weitgehend erholt. Pflanzen- und Tierwelt gedeihen üppig. Die noch lebenden Menschen sind zum Teil der Schöpfung geworden, fügen sich in den gewaltigen Kreislauf des Lebendigen ein.
Es ist 14 Uhr. Freia und ihre Kollegen besprechend den Aktionsplan für die nächsten vier Wochen. Freia ist gemeinsam mit drei weiteren Sozialkünstlern zuständig für 25 Sklaven, die ein Gebiet von rund 25 Quadratkilometern für die Maschinen verwalten. Kreatives Gestalten ist Freias Aufgabengebiet. Eine Kollegin ist für sinndurchdrungenes Denken und Fühlen zuständig, ein Kollege für die körperliche Ertüchtigung, ein weiterer für Lust und Spieltrieb.
Freia weiß, dass sie nie eine Wahl hatte. Die letzten Rebellen wurden ausgeschaltet, als sie eine junge Frau war – das war kurz nach dem großen Krieg. Heute ist sie ergraut und genießt hohes Ansehen unter den Menschensklaven ihrer Region. Sie macht Mut, tröstet, pflegt, selektiert und schult neue Sozialkünstler. Sie begleitet die Unbrauchbaren zur Euthanasie-Station und lehrt mütterliche Sklaven, wie man neugeborene Menschenkinder hegt, pflegt und auf ihren Einsatz vorbereitet.
Ob sie gern lebt? Freia weiß es nicht. Niemand der Überlebenden stellt diese Frage. Nachdenken über das „Leben“ ist ein Tabu. Sie tut, was sie tun muss und sie hält dank künstlicher Hormone ihr seelisches Gleichgewicht konstant. Sollte ihr das irgendwann nicht mehr gelingen, wird sie selbst selektiert werden. Es gibt keinen Ausweg, keine Alternative, keine Utopie – der Mensch hat sich obsolet gemacht. Es ist vorbei.