Wie sollen sich demokratische Staaten gegen Verschwörungs-Bewegungen wehren?

Corona ist nicht nur ein sozialer und wirtschaftlicher Supergau – auch politisch stehen demokratische Staaten wie Frankreich und Deutschland vor ernsthaften Herausforderungen. Kann man Fehlinformationen bzw. verunsichernde Informationen zu Ursachen und Auswirkungen der Corona-Pandemie unterbinden? Kann man das Demonstrationsrecht einschränken, wenn Bürger dort zu Widerstand gegen politische Entscheidungen aufrufen? Kann man die Meinungsfreiheit durch aktives Eingreifen der Plattformen Google, Facebook, Twitter und Co steuern, indem man die Digital-Giganten zum unverzüglichen Löschen von Falschinformationen und „Hassposts“ zwingt?

Aktuelles Beispiel: Eine „Verschwörungstheorie geht viral

Gerade geht ein interessantes Beispiel durch die Presse. Die amerikanische Molekular-Biologin Judy Mikovits wurde in einem YouTube-Video mit dem Titel „Plandemic: The Hidden Agenda Behind Covid-19“ interviewt und machte in dem Interview anscheinend viele Aussagen, die unwahr sind und gegenwärtige Verschwörungstheorien zur Corona-Politik unterstützen. Am 4. Mai wurde das Interview bei YouTube veröffentlicht – am 6. Mai verzeichnete es bereits 7,1 Millionen Aufrufe. Der Hashtag #plandemic tat das Seine, um sämtliche öffentlichen Diskussionen und Inhalte im weltweiten Social Web zu finden.

Wie unzählige Video-Kopien entstanden und verbreitet wurden

Da das Video-Interview darum bat, es per Download zu speichern und weiter zu verbreiten, gab es innerhalb kürzester Zeit viele Kopien bei YouTube, Vimeo und Co – und es wurde von Anhängern per Facebook-Gruppen, WhatsApp, Telegram, Twitter, Instagram, Reddit und kleineren sozialen Netzwerken weiter geteilt.
Poynter.org (englisch): Wie das „Plandemic“-Video trotz Löschung sich immer weiter verbreitete

Was passierte, als YouTube, Facebook, Twitter und Co die Inhalte löschten?

Obwohl YouTube sämtliche Videos wegen „medizinisch unbegründeter diagnostischer Hinweise“ sofort löschte, und obwohl zahlreiche Videos unter dem Keyword „Plandemic“ veröffentlicht wurden, die Behauptungen des Originals widerlegten, geht es bis heute immer weiter und das Video gewinnt sogar an Bedeutung. Ganz klar: „Was verboten wird, das macht uns gerade neugierig“.
Bayrischer Rundfunk vom 15.5.20: Wie YouTube gegen das „Plandemic“-Video vorgeht

Bild von panos13121 auf Pixabay

Wie können sich demokratische Staaten gegen Verschwörungs-Bewegungen wehren?

China und andere autokratische Staaten haben es leichter als parlamentarische Demokratien. China verfügt über ein intelligentes System an Algorithmen, die unliebsame Inhalte in sozialen Netzwerken, E-Mails und Messenger’n aufspüren und den richtigen Personen und Kontaktnetzwerken zuordnen können. So können nicht nur in rasender Geschwindigkeit sämtliche oppositionellen Äußerungen gelöscht werden – so können auch die Dissidenten sanktioniert werden. Von gesellschaftlichen Benachteiligungen bis zu Internierung, Sippenhaft und Folter ist alles möglich und wird praktiziert.

Das ist für parlamentarische Demokratien nicht  möglich – und wird wohl auch nur von wenigen Politikern erträumt. Denn selbst wenn man die „ungezogenen, verirrten Bürger“ identifizieren könnte, einschüchtern und deren Inhalte vollständig löschen, hätte das gefährliche Konsequenzen für das komplette System. Wie formulierte Friedrich Schiller so schön in der Glocke? (Ich liebe die Glocke!)

„Weh, wenn sich in dem Schoß der Städte
Der Feuerzunder still gehäuft,
Das Volk, zerreißend seine Kette,
Zur Eigenhilfe schrecklich greift!

Da zerret an der Glocken Strängen
Der Aufruhr, dass sie heulend schallt
Und, nur geweiht zu Friedensklängen,
Die Losung anstimmt zur Gewalt.

Freiheit und Gleichheit! hört man schallen,
Der ruhige Bürger greift zur Wehr,
Die Straßen füllen sich, die Hallen,
Und Würgerbanden ziehn umher,

Da werden Weiber zu Hyänen
Und treiben mit Entsetzen Scherz,
Noch zuckend, mit des Panthers Zähnen,
Zerreißen sie des Feindes Herz“
Friedr. Schiller: Die Glocke (hier der ganze Text)

Lernen aus der Flüchtlingskrise und Pegida?

So können Revolutionen entstehen – wir alle wissen das. Und niemand will die Glut weiter anfachen. Also was können parlamentarische Staaten wie Deutschland tun, um die Wut gegen Löschungen, Sperrungen und anderen Sanktionen zu besänftigen? Ist es wirklich von Vorteil, wenn Soziale Netzwerke wie Facebook, Google und Twitter per Gesetz noch weiter gezwungen werden, von sich aus tätig zu werden und Fake-News und Hass-Posts unverzüglich und umfassend zu löschen?
Heise-Verlag vom 15.5.20: Bundesrat will Netzwerkdurchsetzungsgesetz weiter verschärfen

Der autoritäre Lehrer

Mich erinnert das an die Schule. Die Zahl der autoritären Lehrer, die sich in ihren Klassen durchsetzen, indem sie unerwünschtes Verhalten der Schüler konsequent sanktionieren, nimmt ständig ab. Schlagen darf man nicht, aussperren darf man kaum, aufgrund des Verhaltens schlecht benoten ist schwierig, nachsitzen lassen gibt es auch immer weniger – und zum Mobben aufrufen darf man den Klassenverband auch nicht. Außer einem natürlichen angsteinflößendem Verhalten bleibt den autoritären Lehrern kaum noch Handlungsautonomie.

Der demokratische Lehrer

Demokratische Lehrer finden im Klassenverband gemeinsame Lösungen mit den Schülern, wenn es Probleme gibt. Man begegnet den Kindern und Jugendlichen je nach Altersstufe mit Wertschätzung und Verständnis. Man ist bereit dazuzulernen und sich zu ändern als Lehrperson. Man ist bereit, sich auf inhaltliche und methodische Experimente einzulassen und die Befindlichkeiten des Einzelnen zu respektieren. Könnte das auch der richtige Weg in parlamentarischen Demokratien sein, um mit den Bürgern Lösungen erfolgreich zu verwirklichen?

Meinungsfreiheit und Bürgerbeteiligung

Ich wünschte mir, in den Gemeinden und Regionen würden Diskussionsrunden entstehen, an denen jeder Bürger und jeder Betroffene teilnehmen kann. Ich wünschte mir, es würden nur Inhalte aus dem Web gelöscht, die gegen Gesetze verstoßen und die dann auch von der Staatsanwaltschaft mit Unterstützung der Polizei verfolgt werden. Ich wünschte mir, dass der Staat seine Pflichten und Rechte nicht auf kommerzielle Unternehmen wie Facebook, Google und Twitter überträgt, indem er sie unter Androhung hoher Strafen zwingt, immer mehr Inhalte zu löschen.

Wie wird es nun weitergehen?

Man wird sehen, wie sich das Ganze weiter entwickelt. Ich bin sehr optimistisch, dass sich die einsichtigen Politiker durchsetzen, die skeptische, oppositionelle und verwirrte Bürger nicht als „ungezogene Kinder“ ansieht sondern als wertvolle Mitglieder der Gesellschaft. Ich bin sehr optimistisch, dass unsere Gerichte weiterhin das Recht auf Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit verteidigen werden. Vor Allem unsere Verfassungsgerichte schützen die Verfassungsmäßigkeit des politischen Lebens wirkungsvoll.

Schlägt man einen Kopf ab, wachsen 7 Köpfe nach…

Ja, ich selbst habe auch immer dafür plädiert, rechtsradikale und rassistische Bürger zu „mobben“ – doch ich sehe, dass das nicht funktioniert und habe dazu gelernt. Alles was bei Unterdrückungen passiert ist, dass sich die Kommunikation immer weiter in den Untergrund verlagert. DAS ist gefährlich. Und das lässt sich nicht verhindern. Es ist wie beim Drachen mit den 7 Köpfen. Schlägt man einen Kopf ab, wachsen mehrere Köpfe nach. Das lässt sich nur in Diktaturen und im Polizeistaat eindämmen. Ansonsten hilft nichts weiter als Gespräche, Schutz der Meinungsfreiheit und Respekt.

Würde mich interessieren was meine Leser hier und meine Facebook-Kontakte dazu sagen: Sollen Facebook, Google und Co „verschwörungsorientierte Inhalte“ zu Corona im Web konsequent löschen?

Quelle: t-online vom 16.5.20: Wie der Messengerdienst Telegram zur gefährlichen Propaganda-Plattform wurde

 

Seit fast zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Unternehmenden. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

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