Wär ich eine Figur im Märchen – würde ich vielleicht eine solche sein…

Wärest Du eine Figur in einem Märchen, was wärest Du wohl? König, Kaufmann, Bettelmann? Prinzessin, Aschenbrödel, weise Alte? Heute früh habe ich ein ganz besonderes Geschenk per WhatsApp erhalten: Eine Ex-Student’in von mir schickte mir ihren Blogartikel, in dem sie sich selbst beschrieb in ihrer Lebensrolle. Das war so berührend, dass ich es ihr nun gern nachmache: Wär ich eine Figur im Märchen – würde ich vielleicht eine solche sein…

Der Wanderer

Ich ziehe durch mein Leben wie der lachende Vagabund – von Kneipe zu Kneipe, neugierig auf alles, was um die nächste Ecke lauert. Ich liebe die Menschen sehr – doch auf eine sehr eigentümliche Weise.

Ich suche stets nach neuen Begegnungen, neuen Abenteuern, neuen Wundern. Alles was mich zu binden droht, wittere ich schon in den Anfängen und entziehe mich. Am Liebsten auf freundlich unauffällige Art – doch wenn ich mich in die Ecke getrieben fühle, auch im erbarmungslosen Kampf.

Der Radius meines Vagabunden-Reiches ist winzig. Rund 20 km Umfang hat er. Entferne ich mich über diese Grenzen hinaus, werde ich zunehmend unsicherer. Ferne Reisen – die die allermeisten meiner Weggenossen so lieben – sind mir ein Gräuel. Mein Reich ist groß genug für mich. Ich wandere so gern durch meine Quartiere. So viele unentdeckte Wesen, so viele unbekannte Welten! Und nichts ist größer oder kleiner als ich – alles nur anders.

Habe das wohl von meinem Onkel Hansi geerbt. Er war das schwarze Schaf der Familie. Verließ immer mal wieder überraschend seine Familie, zog tage- und wochenlang von Kneipe zu Kneipe ohne einen Pfennig Geld in der Tasche, sang den Gästen aus Operetten vor und ließ sich einen ausgeben.

Und so singe ich meine Lieder in meinen Lebensphasen-Kneipen und lasse mich dankbar und glücklich von den vielen Begegnungen beschenken – und werde danach vielleicht nie wieder gesehen…

Zum ersten Mal allein

Seit einer Woche bin ich zum ersten Mal in meinem Leben ohne Verantwortung für ein lebendes Wesen. Als (Einzel-)kind war ich schon im winzigsten Alter verantwortlich für meine Mutter, mit 20 zum ersten Mal schwanger – und nun, mit 59, bin ich zum ersten Mal allein.

Die Kinder sind (was für ein Segen!) lebenstüchtig, unabhängig und stark. Alle um mich, für die ich Verantwortung trug, sind nun gestorben, und alle (was für ein Segen!) konnte ich in ihren letzten Tagen und Stunden begleiten und habe ein gutes Gewissen. Nun schlief sogar mein kleiner, alter Hund auf meinen Knien einfach ein, der letzte der mich band. Zum ersten Mal im Leben könnte ich den Schlüssel umdrehen und weggehen, ohne wiederzukommen. Was für ein befreiendes Gefühl für einen Wanderer!

Zwei Seelen schlagen in meiner Brust

Zwei Seelen schlagen in meiner Brust. Der langweilige Provinzler, der sich kaum aus seinem 20 km-Umkreis herausbewegt lebt in guter Eintracht mit dem Wilden, der an seinen Ketten reißt, sobald er sie zu spüren glaubt. Der Eine gibt mir Sicherheit und Halt – der Andere erlaubt es mir, immer wieder alles umzuwerfen, was ich bisher tat und woran ich glaubte. Viele Metamorphosen haben die Beiden miteinander erlebt. Sie haben von Geburt an gerungen um die Vormacht, haben sich lange gestritten und haben sich schließlich versöhnt, als ich 28 Jahre alt war. Das war schön und das ist so geblieben.

Gestern war ich zum ersten Mal in meiner kleinen Heimatstadt auf dem „Tummelmarkt“. Meine direkte Nachbarin, die ich über nebenan.de kennen gelernt habe, hatte mich dazu überredet. Ich meide alles, was im Umkreis meines Refugiums liegt, da ich ja bloß keine Bindungen will! Bloß keine Freundschaften, bloß keine Erinnerungen an früher, bloß keine Klassentreffen! Und so war ich noch nie auf diesem vierteljährlichen Tummelmarkt, der von der Nachhaltigkeits-und Kunst-Szene Wittens organisiert wird, und der direkt vor meiner Haustür liegt. Doch nun, so ohne Hund und so – ok, ich ließ mich gern überreden, es zu versuchen.

Es war eine Szenerie wie auf der Karte 6 Kelche im Rider-Tarot: Lebensphasen – längst vergessen – zogen an mir vorbei in Form von lebenden Wesen, die mich ansprachen und wiedererkannten! Die älter geworden sind und sich doch nicht verändert haben – nicht einmal im Äußeren. Und das Verrückte war – ich begann mich zu erinnern! Habe ich normalerweise eine feste Mauer um meine Vergangenheit, löste sie sich plötzlich spielerisch auf und es war gar nicht schlimm! Ok, es war anstrengend, nach drei Stunden schleppte ich mich erschöpft die 50 Schritte zurück in meine Höhle – doch es war so federleicht und angenehm!

Sie leben noch und es geht ihnen gut! Sie sind die Spinner geblieben, die wir schon immer waren – aber alles ist noch da! Die Punks Marek und Agnesca sind immer noch zusammen und ihre Kindern sind groß und mit ihnen gemeinsam auf dem Tummelmarkt! Die Nach-APO-Kea hat einen langhaarigen, ergrauten, sehr freundlich dreinblickenden Lebenspartner an ihrer Seite, und sie gehen im Bahnhof Langendreer auch jetzt mit über 60 noch zum „Rudelsingen“ – von Nirwana bis Udo Jürgens….

Und was es alles gibt in Witten direkt um mich herum! Kunst, Kultur, Projekte, Magie, DIY, Politik und Philosophie. Da wohne ich seit Ewigkeiten im Paradies und setzte mich täglich ins Auto, um nur rasch wegzukommen aus meinem Schlaf-Umfeld, das mich ja binden könnte! Wie komisch! Als ob diese ganzen kraftvollen Persönlichkeiten mich binden wollten – wie lächerlich! Tja, Selbstüberschätzung ist auch eine Schätzung – aber manchmal eine schlecht Gerechnete.

Juchuh, niemand braucht mich!

Das Gefühl, dass niemand mich braucht und alle sehr gut auch ohne mich klarkommen, gibt mir wieder ein neues Stück Freiheit. Ich halte diese ganz Welt um mich herum für fähig, allein klarzukommen und mich so zu akzeptieren wie ich bin: Im Kleinen zuverlässig und klug – im Großen wie ein Fisch, der ständig durch die Finger flutscht, nichts dazulernt und sich nicht halten lässt. Sozusagen ein Goldfisch im Glas, der auf regelmäßiges Futter steht und der gern allein herumschwimmt und guckt.

Ich brauche gar keine Angst davor zu haben, dass ich in Verpflichtungen und Verbindlichkeiten gerate, wenn ich die Welt direkt bis zu meinem Schlafplatz lasse! Ich bin alt genug, um Sachen zu beenden, die mir nicht gut tun, ohne dadurch in Streit zu geraten. Ich bin verrückt genug, um freundlich als die „verschrobene Alte“ akzeptiert zu werden, ohne dass man sich über mich das Maul zerreißt. Ich bin lebenserfahren genug, um zu wittern, mit wem ich in meiner „Filterblase“ leben will und mit wem nicht. Ich bin ehrlich genug, um auszusprechen, was ich denke. Himmel Herrgott, bisher ist es immer gut gegangen – die paar Jahre krieg ich auch noch rum. Authentisch zu sein, ist gar nicht gefährlich. Genau das Gegenteil, das ungeschminkte Dasein schützt besser als jedes Geheimnis.

So werde ich nun versuchen, ein nützlicher Teil dieser großartigen Wittener Community zu werden. Mag sein, dass das Vorhaben schon in Kürze ein Rohrkrepierer wird, auch gut. Dann ist es eben so.

Mittwoch geh ich singen, Donnerstag in den Salon zur „sozialen Kunst“, Samstag zur spirituellen Wiesenviertel-Stadtwanderung mit anschließendem WM-Gucken und Bratwurst. Alles zu Fuß fünf Minuten rum um meine Wohnung.

Wie komisch! Ich hab die Welt in mein Leben gezogen. Eine Welt voller verrückter Gestalten, die federleicht plaudern über die neuen kosmischen Schwingungen seit einer Woche und dass ja Freiheit in Echtzeit definitiv eine coole Einstellung sei. Die auf der Bank sitzend in der Sonne darüber mit mir, einer gerade erst Kennengelernten, darüber philosophieren, ob sie kaltherzig sind, wenn sie gern Wesen gehen lassen.

Es ist der Hammer! Was für eine Zeit! Junge, Alte, Reiche, Arme… Ich liebe mein Leben als Vagabund. Aber eins ist klar: An eine einzige Kneipe binden lasse ich mich nicht. Auch nicht im Radius von 100 Metern…

Seit über zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Manager/Innen. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

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