Meine kleine Luzi stirbt, und ich tippe dabei so vor mich hin…

„Wenn ein Mensch kurze Zeit lebt, sagt die Welt, dass er zu früh geht – wenn ein Mensch lange Zeit lebt, sagt die Welt es ist Zeit….“ Während ich diese Buchstaben tippe, liegt mein kleines Hundchen neben mir auf dem Sofa in ihrem Bettchen und stirbt. Erst wollte ich gar nicht darüber schreiben, aber nun habe ich nichts mehr zu tun, warte und warte und lausche auf ihren Atem. Es ist drückend heiß da draußen. Was soll ich da schon anderes tun als schreiben? Nichts tröstet und ordnet besser als Schreiben. Schreiben und Stille heilt.

Vorgestern nachmittag begann es. Wie immer gingen wir nach der Arbeit spazieren – doch sie ließ sich ziehen und bald begann sie ganz unsicher zu werden auf ihren Beinchen (während ich das schreibe hebt sie ihr Köpfchen und scheint den nahenden Donner und Regen zu spüren) die Treppen habe ich sie da schon hochgetragen. Abends konnte sie noch brav draußen ihre Geschäftchen machen, was ihr natürlich sehr wichtig ist, war aber so schlapp, dass sie sich kaum noch bewegte. Die ganze Nacht lauscht ich auf ihren raschen Atem.

Gestern war der erste Morgen in unseren gemeinsamen sechzehn Jahren, an dem Luzi ihr Frühstück nicht aß. Ok, das war ein deutliches Zeichen. Nachmittags nach der Arbeit telefonierte ich lange mit der Frau meines Tierarztes und wir überlegten, ob ich Luzi einen natürlichen Tod gönnen kann. Wir waren uns sehr einig: Auch sterbende Tiere zeigen durch Fiepen oder Zucken bei Berührungen, wenn sie Schmerzen haben. Wenn sie sich hochnehmen lässt ohne Gegenwehr, kann ich ihr dieses natürliche Sterben gönnen.

Dann sagte sie noch: „Eva, sterben ist ein einsamer Prozess. Lass ihr genug Raum dafür. Bedanke Dich bei ihr für die vielen gemeinsamen Jahre, die sie Dir geschenkt hat – aber lass sie los. Für Mensch wie Tier ist es eine Qual, sorgenvoll zu sterben, weil die geliebten Angehörigen unter dem Verlust leiden werden. Weißt Du Eva, sterben ist wie geboren werden – nur anders herum“

Das waren sehr wichtige Worte für mich, um das zu tun, was ich fühlte. Mein Sohn war so lieb, heute früh einen halben Tag Urlaub zu nehmen und hielt „Sterbewache“ – seit 13.30 Uhr bin ich wieder daheim und genieße diese letzten Minuten mit einem Seelchen, das so tapfer ist und so voller Hingabe.

Ich durfte meine Mutter bei ihren letzten Tagen und Atemzügen begleiten, meinen Vater, selbst unsere Katze Lilli hauchte friedlich zu Hause in den Armen meines Sohnes ihren letzten Atem aus – kurz vor ihrem 19. Geburtstag. Nun macht Luzi es ihr zwei Jahre später nach – ebenfalls im gesegnet hohem Alter. Ich weiß nicht, womit ich diesen unfassbaren Segen verdient habe, all meine Liebsten begleiten zu dürfen. Wie sehr sie mir meine eigene Angst vor dem Sterben nehmen in ihrer vertrauensvollen Güte.

Jeder Tod war anders – aber jeder Tod ist heilig in seiner Einzigartigkeit und Vollkommenheit. Willst Du wissen, was „Liebe“ ist, lass Dich ein auf dieses Auflösende in das, was war, was ist, und was sein wird. Ich bin gleichzeitig traurig und dankbar, dass ich das erleben darf. Es ist so selten, dass Hunde ohne Schmerzen in diese letzte Phase kommen. Meist muss man sie einschläfern lassen, weil es einfach nicht anders geht. Ja, Tierarzt ist kein leichter Beruf. Sie wollen doch heilen – und müssen so oft den Tod einleiten.

Es donnert, es blitzt, ein Unwetter zieht herauf. Es ist Abend geworden. Luzi hebt aufmerksam ihr Köpfchen. Zwar ist sie blind und fast taub – doch die Schwingungen der Atmosphäre scheinen sie zu berühren und sie sammelt ihre letzten Kräfte. Sie wittert mit ihrer Nase die wilden Veränderungen des „Großen Wetter-Geistes“. Ich lege ihr kurz meine Hand auf ein Pfötchen, damit sie spürt, dass ich in der Nähe bin. Nein, zu viel Nähe – sie gibt mir zu verstehen, dass sie ins Bad kriechen würde wenn sie noch kriechen könnte – ok, ich gehorche und trage sie in ihr Badezimmer-Körbchen – Nun bin ich allein.

Wie wird es sein ohne Luzi? Ich habe keine Ahnung. Sechzehn Jahre sind eine lange Zeit. Werde ich trauern? Werde ich mich verloren fühlen? Werde ich es genießen, frei zu sein und tage- und wochenlang verschwinden zu können? Ich habe wirklich keine Ahnung, wie ich fühlen werde. Auch bei meinen Eltern war es so. Als sie starben, war ich voll konzentriert auf meinen „Job“, sie dabei zu begleiten und ihnen alles Störende aus dem Weg zu räumen. Erst danach wurde ich ergriffen von meinen Emotionen – und die waren heftiger, als ich geahnt hatte.

Im Moment bin ich ganz ruhig. Ich glaube auch nicht, dass meine Students im Unterricht merken, dass etwas anders ist seit gestern. OK, ich habe keinen Appetit und mir ist permanent etwas übel – aber das kann auch daran liegen, dass ich die letzten zwei Tage kaum geschlafen habe und täglich zehn Stunden unterrichte…

„Wenn ein Mensch kurze Zeit lebt, sagt die Welt, dass er zu früh geht – wenn ein Mensch lange Zeit lebt, sagt die Welt es ist Zeit….“ Möge uns allen ein Leben beschert sein, das endet, wenn wir lebenssatt sind. Mögen wir ohne offene Rechnungen aus dem Leben scheiden und ohne das Gefühl, etwas Wichtiges unterlassen zu haben. Mögen unsere Liebsten uns ziehen lassen und uns unser Loslassen gönnen können in den letzten Stunden und Minuten. Amen.

Nachtrag vom 9. Juni 2018: Gestern abend war es dann soweit. Um 20.55 Uhr hat Luzi auf meinen Beinen liegend ihren letzten Atemzug getan. Ich habe Ewigkeiten gebraucht, um zu glauben, dass sie wirklich tot ist. Es war so unglaublich unspektakulär. Keine Schnappatmung, kein Zucken, kein letzter tiefer Atemzug – einfach Stille. Auch heute sieht sie aus, als würde sie schlafen. Nur wenn man sie berührt, spürt man an der feuchten Kühle, dass sie wirklich nicht mehr lebt. Heute nacht werden wir sie begraben. Erde zu Erde. Staub zu Staub. Danke liebe Luzi, Du warst echt eine feine Kollegin. Echt eine feine Kollegin…

 

 

Seit fast zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Unternehmenden. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

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4 thoughts on “Meine kleine Luzi stirbt, und ich tippe dabei so vor mich hin…

  • Reply Sport- und Fitnessblogs am Sonntag, 17.06.2018 – Eigenerweg 17. Juni 2018 at 15:53

    […] Dieser Beitrag von Steady News befasst sich rührend mit dem Thema Tod. Und dieser hier beschreibt eine neue (seltsame) Regelung im EU Raum: Gebührenpflichtige Links. […]

  • Reply Gabi 17. Juni 2018 at 21:11

    Was für ein schöner Artikel….. ich hoffe sehr, das ich meiner Biene irgendwann einen ebenso ruhigen und sanften Abschied ermöglichen kann! Danke, das du das mit uns geteilt hast!!
    Liebe Grüße
    Gabi

    • Reply Eva Ihnenfeldt 21. Juni 2018 at 15:23

      Danke schön liebe Gabi – erst habe ich wirklich überlegt, ob ich so etwas Intimes überhaupt öffentlich machen darf – doch ich denke es ist so wie Du es sagst: Es macht Mut und man verliert hoffentlich die Angst davor, unsere alt gewordenen Belgleiter gehen zu lassen. Es kann sanft und schön sein, Abschied zu nehmen – nur Mut!

  • Reply Wär ich eine Figur im Märchen – würde ich vielleicht eine solche sein... - Steadynews - Onlinemagazin für Unternehmen im digitalen Wandel 19. Juni 2018 at 16:55

    […] in ihren letzten Tagen und Stunden begleiten und habe ein gutes Gewissen. Nun schlief sogar mein kleiner, alter Hund auf meinen Knien einfach ein, der letzte der mich band. Zum ersten Mal im Leben könnte ich den Schlüssel umdrehen […]

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