„Würde ich in der DDR leben, und würde es mir beruflich schaden, nicht zu einer Öffentlichen Kundgebung zu gehen, die von den führenden politischen, kirchlich/ethischen und sozialpolitischen Organisationen veranstaltet wird, würde ich wohl hingehen und versuchen, meine Teilnahme so unengagiert wie möglich zu praktizieren. Ich würde so lange opportunistisch handeln, bis das System so geschwächt ist, dass ich mich hinter der mutigen Widerstandsvorhut verstecken kann.“
Misstraue jeder Obrigkeit – und halte stets zu den Machtlosen
Das war schon als Jugendliche meine politische Grundhaltung. Kein Wunder, schließlich waren meine Eltern Jahrgang 27 und 33 und haben das Grauen der Nazidiktatur hautnah miterlebt. (Ok, mein Papa mochte die pfadfinderähnlichen Jugendsysteme des Systems – was ich verstehen kann). Damals war diese Haltung zu Obrigkeit und Unterdrückung links. Ich war mit Anfang zwanzig aktives Mitglied bei den Grünen (damals noch außerparlamentarische Opposition), und natürlich war ich auf Demos wie gegen Mittelstreckenraketen und gegen die Volkszählung. Ich habe die Anfänge der TAZ-Genossenschaft gefeiert, und ich habe 2004 selbst eine eingetragene Genossenschaft gegründet für Arbeitslose, die sich aus Verzweiflung selbstständig machen mussten.
Bin ich ein Feigling? Ja, das bin ich
Bin ich ein Krieger? Nein, das bin ich nicht. Ich bin ein Flüchtender, kein Gegner. Sobald ein überlegener Gegner mich bedroht, schrumpfe ich zusammen wie eine Pflaume im Backofen. Ich bewundere Krieger, und ein Teil von mir sehnt sich danach, so schmerzbereit und furchtlos zu sein wie die Geschwister Scholl, oder wie verurteilte, gefolterte und inhaftierte Oppositionelle in der DDR – und überall auf der Welt. Aber so bin ich nicht.
Ich bin wie meine Oma, die im 2. Weltkrieg unter der Decke ganz leise Radio London gehört hat mit dem Volksempfänger. Ich vermeide es, Demonstrationen der Machthaber zu unterstützen, aber lieber verstecke ich mich hinter Ausflüchten, als dass ich das Risiko eingehe, Ärger mit der Staatsgewalt zu bekommen.
In der Corona-Zeit war mir relativ schnell klar, dass sich unzählige Interessensgruppen, Unternehmer und Lobbyisten an den neuartigen Virus gehängt hatten, um davon zu profitieren. Geld, Macht, Einflussnahme… t3n vom 15.01.24: Superreiche haben seit 2020 ihr Vermögen verdoppelt. Obwohl die Einschüchterung der Ungeimpften so weit ging, dass sie persönlich geschädigt wurden (zum Beispiel mit Berufsverboten) habe ich nicht protestiert. Ich brav Geimpfte habe im persönlichen Kontakt meine Solidarität mit den Ungeimpften bekundet, habe vorsichtig versucht, die Gläubigen der Öffentlichen Meinung nachdenklich zu machen zu Themen wie „Ungeimpfte sind Mörder“ und anderen üblen Räuberpistolen – doch nicht ein einziges Mal war ich auf einer Demo gegen die Regierungs-Maßnahmen.
In den letzten Tagen wurde ich mehrmals aufgefordert, zu den nun von den gleichen Gruppierungen veranstalteten „Demonstrationen gegen Rechts“ zu kommen. Nein, solange ich keine beruflichen Nachteile dadurch habe, mich diesen Aufmärschen als Gegenwehr zu den Protesten von Bauern und Mittelstand anzuschließen, werde ich das nicht tun.
Die etablierten Parteien, der DGB, die Kirchen, Organisationen des Sozialwesens… Ob wohl alle, die sich dort zeigen, das freiwillig tun, weil sie unser derzeitiges politisches System aus ganzem Herzen unterstützen? Oder fühlen sich so einige Mitarbeiter mehr oder weniger verpflichtet, der Regierungsaufforderung nachzukommen? Auch wenn ich die AfD mit ihrer ausländer- und armenfeindlichen Haltung abscheulich finde, erschreckt es mich, dass seit der Neuregelung des Art. 21 Abs. 3 GG im Jahr 2017 nun die Möglichkeit besteht, Parteien von der staatlichen Finanzierung und steuerlichen Vergünstigung auszuschließen, ohne dass sie das Verbotsverfahren durchlaufen und verloren haben.
Würden Migranten zu einer Demonstration gegen die mangelnde Integrationspolitik, gegen die unverständliche deutsche Bürokratie und gegen die miserablen Zukunftsaussichten ihrer Kinder protestieren, würde ich gern an dieser Demonstration gegen die herrschenden Klassen teilnehmen. Doch FÜR die Regierung die Bauernproteste aus den Medien drängen? Für die heutigen Grünen demonstrieren, die gleichzeitig skrupellos ukrainische Männer und Opas als Soldaten quälen und verheizen lassen und Waffen an Saudi-Arabien verkaufen? Das ist doch alles Irrsinn!
Diesen Beitrag habe ich geschrieben, um den Link an die Freunde von mir schicken zu können, die mich einladen, zu den Regierungsveranstaltungen zu kommen. Ich bin zwar feige – wie meine Oma mit Decke überm Kopf – aber sooooo opportunistisch bin ich dann doch nicht.
Multikulti-Ruhrgebiet
Ich mag unsere Multikultigesellschaft im Ruhrgebiet über alles. Ich grinse nachsichtig, wenn meine Klienten mit Migrationsbiografie auf die Geflüchteten von heute schimpfen; ich liebe die Gottesgläubigkeit meiner moslemischen Vertrauten; ich bin stolz darauf, dass wir in den Ruhrgebiets-Innenstädten mehr Sprachen aus aller Welt hören als unsere eigene.
Aber gerade deswegen verweigere ich mich der bigotten Ausländerfreundlichkeit der Regierenden.
Liebe Freunde, ich weiß, Ihr geht dahin, weil Ihr aus Eurem Herzen heraus Migranten respektiert und schätzt, so wie ich es tue. Es ist völlig ok. Aber die Oma unter der Decke entzieht sich diesem Druck. Ich bin traurig, besorgt – und wenn ich in der nächsten Zeit zu einer Demo gehe, dann zu einer Bauern- und Mittelstandsdemo.