Einige Pädagogen empfehlen, dass Eltern ihre Kinder nicht durch Appelle und Eingriffe erziehen, sondern durch die „Wenn – dann“ Methode. Du willst nicht Dein Mittagessen? Kein Problem, dann musst Du eben bis zur nächsten Mahlzeit am Abend warten. Du hast keine Lust, Deine Hausaufgaben zu machen? OK, dann lebe mit den Konsequenzen. Und sag Bescheid, wenn Du Dir von mir Hilfe bei der Schulbewältigung wünschst. Die „Wenn – dann“ Methode bestraft nicht, sondern überlässt den Konsequenzen die Erziehung. Doch was machen wir mit Menschen, die sich selbst zu wenig lieben, um selbstbewusst Ursache und Wirkung da draußen zu steuern?
„Ein Loch ist in mir Karl-Otto…
Reparier‘ es liebe Liese.
Womit denn? Karl-Otto
Mit Liebe, liebe Liese
Wo bekomm‘ ich die her? Karl-Otto
Aus der Liebe zu Dir selbst liebe Liese
Wenn ich mich aber nicht lieben kann Karl-Otto!
Dann lerne es liebe Liese
Wie kann ich das denn lernen? Karl-Otto
Schau in den Spiegel liebe Liese
Wenn mir das Bild aber nicht gefällt, Karl-Otto – was dann?“
Wir Menschen haben einen fantastischen Spiegel für unsere Selbstliebe, und dieser Spiegel ist unser Leben. Dieser Spiegel ist die Welt, die wir erleben. In dem, was wir außen erleben und wahrnehmen, erkennen wir, wie es in uns drinnen aussieht.
Warum ist unser Erlebensspiegel häufig so schmerzhaft, so ein Alptraum?
Ist es wirklich so? Wenn Du genau Tag und Stunde wüsstest, wann Du stirbst, würdest Du dann etwas an Deinem Leben ändern?
Schon vielen Menschen habe ich diese Frage gestellt, und erstaunlicherweise wollen selbst die nichts ändern, die an ihrem Leben leiden. Das Einzige, was sich ändern würde, wäre, dass Gewissheit da wäre. Dass Schluss wäre mit der Unsicherheit, wann man irgendwann stirbt. Man hätte sozusagen ein Problem weniger. Und wüsste man, dass man sehr bald stirbt, würde vielleicht doch der Wunsch wach, noch etwas erleben zu wollen, was man sich bisher versagt hat. Die allermeisten Menschen wollen dann reisen.
Die Welt, in der ich lebe, ist das Spiegelbild dessen, wie es in mir drinnen aussieht, oder wie Rudolf Steiner sagte: Schau in Dich, und Du erkennst die Welt. Schau in die Welt, und Du erkennst Dich.
Meine Leute sind in der Regel Langzeitarbeitslose. Sie leiden an ihren Ängsten, ihren Selbstzweifeln, ihrer Isolation, ihrer gesellschaftlichen Ächtung, ihrer existenziellen Armut. Die meisten von ihnen sind nicht nur seelisch, sondern auch körperlich krank. In einer Zeit, in der an allen Ecken und Enden Arbeitskräfte gesucht werden, fehlt ihnen etwas Entscheidendes, um arbeiten zu gehen.
Ich wünsche mir von Herzen, dass wir sie (und ihre möglichen Arbeitgeber) behutsam und geduldig dabei begleiten, den Weg zurück in die Arbeitswelt zu meistern – doch auch das würde bei vielen nicht gelingen. Einige wollen ganz einfach nicht. Sie sind zu müde, zu passiv, zu ablehnend. Gelebte Selbstverantwortung macht ihnen vielleicht Angst. Lieber nehmen sie Armut und Ächtung in Kauf, als dass sie ihr Leben so radikal ändern. Ich akzeptiere das. Doch ich verstehe auch die Menschen, die das nicht tun.
Denn wer soll ihr Leben finanzieren? Warum sollten Bürger, die arbeiten und Steuern zahlen, sie und ihre Familien mit durchbringen? Sollte man nicht lieber wie in den USA im „Wenn – dann“ Modus die Gesellschaft gestalten? Nach dem Prinzip, dass jeder für sich selbst verantwortlich ist?
Das „Wenn – dann“ in Gesellschaften wie den USA
„Es ist völlig ok, wenn Du nicht arbeiten willst. Wenn Du kein Geld verdienst, dann wirst Du entweder sterben oder musst Dir auf andere Weise Geld besorgen. Betteln, kriminell werden, im Zelt am Fluss leben, Dich oder Deine Kinder prostituieren….Oder Du schließt Dich einer Gemeinde oder anderen wohltätigen Organisation an, die Dir Almosen geben“
Wollen wir in Deutschland so leben? Wollen wir abends im Dunkeln zu Hause bleiben, weil wir permanent Angst haben müssen, überfallen zu werden? Wollen wir hinnehmen, dass unsere gesellschaftliche Versorgungs- und Lebenserwartung so gering ist wie in einem Entwicklungsland? Wollen wir medizinische Versorgung an Leistung koppeln? Wollen wir auf der Straße über Verelende steigen?
Ja, es hat etwas, dieses „Jeder ist seines Glückes Schmied“. Doch die „Wenn – dann“ Konsequenzen sind womöglich brutal. The White Working Poor auf dem Lande, die Ghettos der Metropolen… Es ist auch ein Blick in die Vorhölle, wenn wir ins Land der „Jeder hat das Recht auf Streben nach Glück“ blicken. Nein, das wollen wir nicht.
Sozialhilfe in anderen Staaten – Rheinische Post von September 2010
Es hat seinen Grund, warum große Pädagogen ihre seelengerechten, selbstentfaltenden Konzepte für die Begleitung und Förderung von Kindern häufig bei armen Kindern entwickelten. Diese Kinder, die Leid und Mangel kennen, tragen genügend Sehnsucht und Vitalität in sich, um sich anzustrengen für die Entdeckung und Erschließung des verheißenen Paradieses. Natürlich erleben sie daheim die Heimat der Gelähmten, Kranken und Resignierten, doch ein guter Pädagoge wird gerade diese Liebe zu den leidenden Eltern und Angehörigen anerkennen und als Stärke zu nutzen wissen. Kinder, die schon als Kleinkind mit Leid, Schmerz und Mangel konfrontiert sind, sind Kinder, die Verantwortung tragen für ihre Eltern und ihre Familie.
Meine Vision einer „Wenn – dann“ Gesellschaft
Ich wünsche mir ein Deutschland, dass gerade für die Kinder der Langzeitarbeitslosen bestmögliche Kitas und Schulen schafft. Orte der Bildung, der Freiheit, der Vision des „Du kannst alles schaffen, weil Du es wert bist“. Für ihre Eltern wünsche ich mir Entspannung und professionelle Begleitung. Kein Druck, nur das Angebot der Handreichung. Orte, in denen sie arbeiten können, lernen können, gesunde Lebensführung praktizieren – und Gemeinschaft leben können. Orte, an denen sie sich aussprechen können und an denen man ihnen zuhört, ohne sie zu verurteilen und an denen man sie respektiert, ganz so wie sie sind. Sie brauchen das Vertrauen, dass man ihnen nicht die Kinder entfremden will, sondern dass man ihre Kinder ausbilden will zu lebenstüchtigen, leistungsfähigen Erwachsenen. Das macht Mut, es auch selbst zu versuchen.
Langzeitarbeitslose sind zum Teil wirklich nicht in der Lage, normalen Arbeitsbedingungen nachzukommen, doch viele von ihnen haben durch eigenes Leid ein großes Herz, haben viel Mitgefühl für Schwache, Alte, Bedürftige. Mit Geduld und verständnisvoller Begleitung können sie in Berufen Fuß fassen, in denen „Der Mensch dem Menschen ein Helfer ist“. Wichtig ist, dass Arbeit sich finanziell lohnt. Das ist im Moment leider nicht so. Wer in Hartz-IV arbeitet und Aufstocker ist, hat kaum mehr Geld als ohne Arbeit.
So verständlich das Gesetz ist, führt es zwangsläufig dazu, dass nur diejenigen motiviert sind, die mit Arbeit Erfüllung, Sinn, Zukunft oder auch Zugehörigkeit zur Gesellschaft verbinden. Die bereit sind, für Arbeit Opfer zu bringen. Die gesund genug sind, die ihnen zur Verfügung stehende Arbeit zu bewältigen.
Gute Kitas und Schulen für die sich entfaltenden Kinder, Gemeinschaftsorte, Akademien und gut bezahlte Arbeit für die in Selbstzweifeln lebenden Erwachsenen, das wünsche ich mir.
Wer das bezahlen soll? Auch wenn wir die Armen kaltblütig sich selbst überlassen, ist das teuer. Die Frage ist, ob wir Respekt, Freundlichkeit und Gemeinschaft leben wollen oder Abgrenzung. Die Summe bleibt gleich.
Die Gesellschaft ist unser Spiegel
Auch in Amerika kostet Armut viel Geld – zum Beispiel in den überquellenden Gefängnissen. Auch in Skandinavien sind die Kosten – langfristig betrachtet – nicht höher als in Ländern ohne brauchbares, verantwortungsvolles Sozialwesen. Die Welt ist ein Spiegel. Das, was wir unseren Nächsten entgegenbringen, ist das, was wir ernten. Arbeit ist Würde. Und Jeder kann etwas zur Gesellschaft beitragen. Jeder wird gebraucht.