Ein gewagter Titel, ich weiß. Niemand hat Lust, sich mit dem „Bösen“ auseinanderzusetzen. Die Vorstellung, es gäbe neben dem Guten eine gleichwertige Macht, die das Pervertierte, Zynische, Genussbesessene vertritt, ist gruselig. Allein das Nachdenken darüber ist ein Tabu – und auch bei mir ist das so. Alles im Universum strebt nach Liebe und Erkenntnis, so habe ich es gern. Die Ahnung, Goethe könne recht haben und es gibt eine dualistische Gegenmacht zu diesem Vereinigenden, Schönen und Guten, schaudert mich. Ich will das nicht.
Ich hab heut‘ nach geträumet…
Heute Nacht hatte ich einen Traum, in dem ich auf einem pompösen Landsitz Gast war einer Feier bei einem mächtigen reichen Mann. Einer der Höhepunkte der Feier war, dass der Hausherr vor den Gästen einen jungen Mann lange und quälend sexuell missbrauchte. Ich war gerade woanders, doch nach der stundenlangen Folter traf ich mich mit dem jungen Mann und wir überlegten, was nun zu tun war.
Diese Schwingung, welche die ganze Szenerie durchzog, war nicht an Personen festzumachen. Wir alle waren auf dem Landsitz mit dem Virus des Pervertierten, Zynischen, Genussbesessenen konfrontiert. Opfer, Täter, Zuschauer… oder ich, die sich instinktiv entzogen hatte. Es war eine unpersönliche Schwingung, und sie trat da ein in menschliche Seelen, wo sie Nahrung fand.
Nicht der Gastgeber war böse. Das was durch ihn so grausam wirkte, war böse. Nicht war das Böse das, was Schaden zufügte, das Böse war das, was sich durch die Pervertierung von Liebe und Erkenntnis ernährte!
Lord Voldemort!
Seit vielen Jahrzehnten bemühe ich mich (ähnlich wie in Harry Potter) dem Bösen aus dem Weg zu gehen, indem ich mir sage „Das Böse gibt es gar nicht“. „Wenn ich seinen Namen nicht ausspreche, ist es auch nicht da“. „Sich mit dem Bösen zu beschäftigen, macht böse. Darum Finger weg!“
…einem ansteckenden Virus gleich
Ich habe kein Problem damit, Zerstörerisches zu akzeptieren. Selbstverständlich fügt Lebendiges Lebendigem Schaden zu. Tiere jagen, quälen und töten Tiere. Sie lassen die Hilflosen liegen, quälen die Schwächeren in ihrer Gemeinschaft. Niemand kommt auf die Idee, Tiere als „böse“ zu bezeichnen, wenn sie so handeln. Sie leben fremdbestimmt und instinktgesteuert.
Beim Menschen scheint es aufgrund seines Bewusstseins etwas zu geben, das Tiere nicht erreichen kann. Es gleicht einem ansteckenden Virus. Resilienz schützt wohl – doch verhindert nicht, dass Mitmenschen von dieser grausamen Krankheit befallen werden. Es wütet in Rechtschaffenden und Kriminellen, in Erfolgreichen und Ausgestoßenen, in Tätern, Opfern, Rettern und Zuschauern. Es ist unpersönlich und nicht greifbar.
Ich weiß noch nicht, was ich mit diesem Traum anfangen soll. Doch der junge Mann, der öffentlich vergewaltigt worden war und ich waren schon mal auf einem guten Weg. Sich nicht von Emotionen überwältigen lassen, Mensch und Tat trennen in der Bewertung. Den „Virus“ akzeptieren und nach Wegen fahnden, ihn unschädlicher zu machen. Ausrotten geht genau so wenig wie bei Corona oder Herpes – aber eine Resilienz entwickeln geht durchaus. Ein guter Traum.
Na dann werde ich mal mehr mit Dualismus beschäftigen! Die alten Perser sollen da wenig Angst vor gehabt haben mit dem Zoroastrismus. Ich geh Mal suchen… Leben ist ja soooooooo spannend!