In sämtlichen Medien lesen, hören und sehen wird, dass besonders Kinder und Jugendliche unter der sozialen Isolation leiden. Kein Wunder, denn in diesem Lebensabschnitt sind Kontakte zu anderen Menschen besonders wichtig. Wie soll ich mich erkennen und meinen Weg finden, wenn ich mich nicht in meinen Mitmenschen spiegeln kann? Erwachsen werden bedeutet dann auch, sich von dieser Abhängigkeit zu lösen und nach und nach zu verstehen, dass ich selbst mein Leben bestimme und gestalte.
Vielen Menschen gelingt es auch als Erwachsene nicht, sich unabhängig zu machen von Elternhaus, äußeren Ansprüchen, Ereignissen und Bedingungen. Sie leben weiterhin in einer Welt, in der sie der Politik, Familie, Naturkatastrophen, Nachbarschaft, Arbeitsbedingungen und wirtschaftlichen Veränderungen hilflos ausgegliedert sind. Diese Menschen leiden ganz besonders unter der sozialen Isolation, denn ohne den Spiegel ihrer Mitmenschen können sie keine Kontrolle über das bekommen, was gerade mit uns allen geschieht.
Ich habe ja das große Glück, meinen Lebensunterhalt als Freelancer mit dem Coaching von tollen Menschen bestreiten zu dürfen, die durch gesundheitliche Einschränkungen besonderen Herausforderungen gegenüber stehen. So individuell wie die einzelnen Schicksale sind auch die Probleme, die sie haben. Eines vereint sie alle: Eine für mich unfassbare Geldknappheit – eine Klientin von mir hat sogar Ende Dezember heimlich gehungert, damit ihre Kinder genügend zu essen haben.
Ich bewundere, wie gelassen und vernünftig diese Menschen die derzeitigen Zustände hinnehmen. Tiefer als sie kann man kaum fallen, das ist schon einmal ein wichtiger Punkt. So wie es Achim Reichel in dem Lied „Der Spieler“ formuliert hat: „Erst wenn du nichts mehr hast, bist du frei“. Sie haben sich damit arrangiert, sich selbst so zu akzeptieren, wie sie sind – und auch die Umstände, in den sie leben, nicht mehr zu beklagen. Es ist, wie es ist – machen wir das Beste daraus.
Ich selbst bin nun von jeher ein Mensch, der viele Aufs und Abs kennt, für den Stabilität und Sicherheit keine ersehnenswerten Zustände sind. Ich brauche Herausforderungen und Abenteuer, und je älter ich werde, desto mehr verschwinden meine existenziellen Sorgen. Soeben hat mir meine Nachbarin erzählt, dass ihr (junger) Ex-Mann einen schlimmen Schlaganfall mit Hirnschädigungen erlitten hat nach Weihnachten – und dass er wohl ein Pflegefall bleiben wird. Er ist sehr erfolgreich und vermögend – nun nützt ihm das gar nichts mehr. Ich hoffe für ihn, dass er sein neues Leben in Geborgenheit und Freude leben kann. Und dass er seine intellektuelle Einschränkung gelassen akzeptieren kann. Leicht wird es nicht…
Wir können lernen, unser Leben als selbst gestaltet zu verstehen. Auch wenn uns schlimme Schicksalsschläge ereilen, wenn wir alles verlieren, wenn wir einsam und mittellos werden. Der Schlüssel hierfür liegt in der Erkenntnis, dass es unser Leben ist, und unser Leben kann uns niemand nehmen – ich glaube, selbst der Tod nicht.
Es ist so wunderschön, Kontrolle zu empfinden über all das, was passiert. Vertrauen zu haben zu all dem, was uns widerfährt und eigenständig zu überlegen, was wir in der jeweiligen Situation am besten für Schritte unternehmen – im Rahmen unser Möglichkeiten. Und wenn wir dann nicht mehr intellektuell unserem Schicksal folgen können durch eine Erkrankung, durch Alter oder einen Unfall, dann haben wir hoffentlich gelernt, auch dies zu akzeptieren anstatt uns verbittert gegen alles zu wehren, was man mit uns anstellt.
Nichts ist ungerecht und niemand ist davor gefeit, von einer Minute zu nächsten alles zu verlieren. Shit happens. Lasst uns üben, die nicht veränderbaren Tatsachen hinzunehmen und die veränderbaren Herausforderungen anzunehmen: mutig, lernbereit, bescheiden und mitfühlend. Dann können wir auch aus der sozialen Isolation das Beste herausholen – selbst wenn unsere Kinder daran verzweifeln und selbst wenn wir unsere bisherige Existenz verlieren…
Ist der Mensch „Angst“? Der Neurobiologe Gerald Hüther spricht mit Michel Friedman darüber, was die soziale Isolation bei den Menschen bewirkt – und wie entscheidend Vertrauen ist für die Bewältigung der Krise.