Arbeitsschutz im Zeitalter des Digitalen Wandels

Wohl niemand kann bestreiten, dass wir weltweit in einer technologischen Revolution leben, die rasend schnell voranschreitet. Verhöhnte man 2013 noch die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrem Ausspruch auf einer Pressekonferenz mit Barack Obama: „Das Internet ist für uns alle Neuland“ als ahnungslose Oma, die von vorgestern ist, weiß heute wohl jeder, was dieses „Neuland“ auch im Jahr 2024 bedeutet: Das ganze Leben der Menschheit ist auf den Kopf gestellt.

Bild von Moondance auf Pixabay

Lebenswelten verändern sich aufgrund der digital gesteuerten Familien-, Bildungs- und Arbeitsbedingungen. Künstliche Intelligenz erobert immer weitere wirtschaftliche, militärische, wissenschaftliche und meinungsprägende Gebiete – und die nähere „Zukunft“ kann man sich zwar in fiktionalen Fantasien ausmalen, doch wirklich wissen können wir kaum, wohin die Reise geht. Durch den rasanten Wandel alles Vertrauten gibt es (zumindest in Deutschland) sogar immer mehr Menschen, die sich wünschen, die Menschheit würde vernichtet. Wir leiden unter Überforderung – und das hat auch Auswirkungen auf die veränderten Ansprüche an den Arbeitsschutz.

Arbeitsschutz im analogen Zeitalter

Deutsche Arbeitsschutzgesetze entstanden laut Wikipedia im Preußen des 19. Jahrhunderts, als die Arbeiterbewegung erstarkte und als die Kinder durch Kinderarbeit in so einem miserablen Zustand waren, dass sie als Rekruten nichts mehr taugten.

Das Arbeitsschutzgesetz verpflichtet den Arbeitgeber, Gesundheitsgefährdungen am Arbeitsplatz zu beurteilen und über notwendige Schutzmaßnahmen zu entscheiden. Ein kleines Beispiel: Nicht nur in der Industrie und auf Baustellen sind Sicherheitsschuhe zur Verhütung von Unfällen und anderen gesundheitlichen Schädigungen Pflicht, sondern auch in Großküchen, bei der Polizei, im Krankenhaus… eigentlich überall, wo menschliche Füße für die zu verrichtende Arbeit benötigt werden.

Doch es geht beim Arbeitsschutz nicht nur um Maßnahmen rund um die Verhütung von Unfällen – es geht ganz allgemein um den Schutz vor arbeitsbedingten Gefahren für die Gesundheit und/oder die Sicherheit der Beschäftigten. Der Arbeitgeber ist dafür verantwortlich, für eine menschengerechte Gestaltung der Arbeit und des Arbeitsplatzes zu sorgen – sowie für den umfassenden Schutz der Gesundheit des Beschäftigten.

Im Unternehmen Beschäftigte sind verpflichtet, sich an die Arbeitsschutzvorgaben zu halten und sich verantwortlich einzubringen, wenn sie gesundheitsgefährdende Risiken wahrnehmen. Auch psychische Belastungen bei der Arbeit sind als Gefährdungen im heutigen Arbeitsschutzgesetz aufgelistet.

Und so kommen wir zurück zum digitalen Neuland: Müssen sich die Anforderungen an Arbeitssicherheit und Arbeitsschutz im Zeitalter der Digitalisierung anpassen? Müssen neue Gefährdungsquellen identifiziert werden, damit die Beschäftigten nicht krank werden? Ergonomische Bürostühle für Computerbeschäftigte reichen ganz gewiss nicht aus. So könnten Burnout-Gefährdungen auch auf die Arbeitsbedingungen der digitalen Arbeitsprozesse zurückzuführen sein. Neuland eben…

Arbeitsschutz im digitalen Zeitalter

Sogenannte Wissensarbeitende (Beschäftigte am Computer) arbeiten häufig unabhängig von Zeit und Raum. Remote bedeutet, zu jeder Zeit und von jedem Ort aus zur Verfügung stehen zu können: E-Mails aus dem Urlaub heraus empfangen, bearbeiten und beantworten, auf dem Spielplatz mit den Kindern kurz Neuigkeiten auf dem Smartphone checken, sonntags bei der Vorbereitung des Mittagsmahls Sprachnachrichten abhören oder schicken… Je mehr technische Systeme die Routinearbeiten übernehmen, desto mehr müssen Menschen bei Störungen und anderen unerwarteten Ereignissen eingreifen, unabhängig von Zeit und Raum. Was für eine unermessliche Belastung für diese Wissensarbeiter aller Berufe und Bereiche!

Die Allzeitverfügbarkeit, die früher meist dem Management vorbehalten war, rutscht immer weiter herunter bis zur Reinigungskraft, die am Wochenende angefunkt wird, weil irgendjemand unbedingt ganz schnell Zutritt zu einem verschlossenen Server-Raum braucht…

Ist es möglich, durch Arbeitsschutzgesetze die Grenze zwischen Arbeit und Privat wiederherzustellen? Wohl kaum, die Abhängigkeit von technischen Systemen führt dazu, dass man kreative Wege finden muss, um gesundheitsfördernde Arbeitsbedingungen herzustellen.

Remote-Arbeit kann schön sein!

Remote-Arbeit kann ja auch etwas Wunderbares sein, wenn man dadurch die Freiheit hat, mit der Familie und dem Wohnmobil für mehrere Monate zu verreisen und vom Strand aus zu arbeiten – unabhängig von festgesetzten Arbeitszeiten und formellen Rahmenbedingungen.

Digitale Nomaden gibt es immer mehr, und die meisten von ihnen lieben es, auf diese Weise Arbeit und Leben miteinander zu verbinden. Voraussetzung ist, dass vereinbarte Arbeitsstunden nicht überschritten werden und dass man nicht von Menschen oder digitalen Systemen unter Druck gesetzt wird.

Psychische und soziale Gesundheitsgefährdungen

Selbstverständlich gibt es auch im digitalen Zeitalter viele neue Risiken, welche die körperliche Gesundheitsgefährdung betreffen – zum Beispiel bei der Mensch-Maschinen-Kooperation mit Robotern, intelligenten Produktionsvorrichtungen oder autonom gesteuerten Fahrzeugen – doch die eigentlich neue Herausforderung liegt im psychischen und sozialen Bereich.

Fehlender menschlicher Austausch führt zu emotionaler Verkümmerung und Vereinsamung. Zwischenmenschliche Beziehungen waren im analogen Zeitalter das, was sogar unmenschlichste Arbeitsbedingungen erträglich machte.

Bergleute, IndustriearbeiterInnen, HandwerkerInnen, LageristInnen, SoldatInnen im Kriegseinsatz…  der Zusammenhalt unter den KollegInnen war und ist das, was durch Krisen, Ängste, Überforderungen und Verzweiflungen trägt. Die Vereinsamung im digitalen Zeitalter und die ständige Ablenkung durch digitale Medien führen nicht selten zu seelischen Zusammenbrüchen.

Depressionen, Angststörungen, Panik und Burnout-Krisen sind keine Einbildung von verwöhnten jungen Menschen – diese gesundheitlichen Gefährdungen sind der menschlichen Natur geschuldet! Wir sind soziale Wesen, die Geborgenheit brauchen und den lebendigen Austausch in lebendigen Beziehungen!

Wie man soziale, emotionale und psychologische Bedürfnisse in Arbeitsschutzgesetze kleiden kann, ist noch absolutes Neuland. Seit einigen Jahren werden in Deutschland Projekte gegen die Einsamkeit gefördert. Widmete man sich in der ersten Förderperiode den Senioren, die aus dem Erwerbsleben fallen, ist es jetzt die Altersgruppe der Erwerbstätigen (bis 59 Jahre), für die Fördermittel bereitgestellt werden.

Einsamkeit gibt es nicht nur bei Arbeitslosen und Rentnern, sondern auch bei einer immer größeren Gruppe von Erwerbstätigen, die kaum noch stabile Beziehungen zu ihrem kollegialen Team pflegen können. Selbst wenn der Hauptteil der Arbeit im Büro stattfindet und nicht im Homeoffice, gibt es immer seltener gemütliche gemeinsame Mittagessen, gemeinsame Freizeitaktivitäten und gemeinsame Betriebsfeiern, auf denen bis in die Nacht gebechert und gelacht wird.  

Arbeitsschutz für die Seele

Arbeitsschutz muss im digitalen Zeitalter neu gedacht werden. Es geht um die Seele jedes einzelnen Arbeitenden, es geht um Erfüllung, Freude, Auseinandersetzung, Zusammenhalt, Respekt und Akzeptanz unserer Unperfektion. Es geht um Liebe und geliebt werden. In einer Zeit, in der sich immer mehr Menschen herbeisehnen, die Menschheit würde von diesem Planeten getilgt, weil sie ja so „böse“ ist, stimmt was nicht mehr. Vielleicht kann Arbeitsschutz da entgegenwirken – wäre doch schön…

Seit über zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Manager/Innen. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

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