Mit Grausen habe ich in t3n gelesen, dass auch heute zwei Drittel der abhängig Beschäftigten ihren Job „hassen“. Diese zwei Drittel bleiben nur deshalb dabei, weil sie sich nicht zu kündigen trauen. Und das in Zeiten, in denen man gerade aus einer ungekündigten Stelle heraus sehr gut etwas Neues findet! Der Umfrage nach haben vor Allem junge Menschen Angst, etwas Neues zu beginnen, weil Selbstzweifel an ihrem Selbstbewusstsein nagen. Mit zunehmendem Alter ändert sich das gewaltig. Bei den 55-Jährigen gibt es kaum noch Jemanden, der wegen Selbstzweifeln vor einer Bewerbung zurückschreckt. Ältere handeln lieber, als dass sie in Druck und unfairen Arbeitsbedingungen ausharren.
Zwei Drittel der Deutschen hassen ihren Job…
Nicht nur die von t3n zitierte LinkedIn-Umfrage bringt so erschreckenden Ergebnisse zu Tage, auch der Gallup Engagement Index zeigt, dass sich nur 15 Prozent der abhängig Beschäftigten mit ihrem Arbeitgeber emotional verbunden fühlen. Zwar wird in den jährlichen Gallup-Studien nicht „Ich hasse meinen Job“ ausgerufen, doch das Ergebnis zielt in die selbe Richtung: Wer täglich acht Stunden in einer Umgebung verbringt, an die er/sie sich nicht emotional gebunden fühlt, leidet – und wenn nur im Unterbewusstsein. Erinnert uns an die Schulzeit von Kinder, die sich jeden Morgen zur Schule schleppen und nur durch die Pausen und Schulfreunde einen Ausgleich zum inneren emotionalen Widerstand finden.
Was macht es mit einem Menschen, der unter seinem Arbeitsplatz leidet?
Wer sich im ständigen „Kampf und Flucht“ Modus befindet, ohne sich dabei körperlich bewegen zu können, muss selbstverständlich krank werden. Da wir heute als Wissensarbeiter ständig sitzend tätig sind, sind die unglücklichen Mitarbeiter Gefesselte ihrer Gefühle.
So führen zum Beispiel folgende Gedanken und Empfindungen dazu, dass der Körper angreifen will – oder alternativ flüchten:
- Widersprechenden Impulsen ausgeliefert sein (zum Beispiel mitmachen anstatt sich einer Gruppe zu entziehen)
- Fremdbestimmt handeln müssen (zum Beispiel Aufträge ausführen, die einem widerstreben)
- Sich verstellen aus Angst und Sorge vor Konsequenzen (wie beim berühmt-berüchtigten „Nach oben buckeln“)
- Häufig Strafen und Belohnungen ausgesetzt sein (man nennt es extrinsiche/ von außen gesteuerte Motivation)
- Dem Druck der Selbstoptimierung Folge leisten (aufhören zu rauchen, joggen, sich gesund ernähren, Gewicht reduzieren, , sich in der Freizeit fortbilden, sich stylen…)
- Demütigungen herunterschlucken (ausgesprochene und unausgesprochene Signale empfangen, dass man ein „Low Performer“ ist)
- Kollegen/ Kolleginnen/ Vorgesetzte um sich haben, die man als bedrohlich empfindet
- Von Kunden angegangen werden, weil diese unzufrieden sind mit der erbrachten Leistung
Natürlich erhebt diese Aufzählung keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Doch wir können uns gut vorstellen, dass gerade junge Menschen, die aus fürsorglichen Familien stammen und die in der Schule keine selbstwertmindernden Erfahrungen machen mussten, durch solche täglichen Erlebnisse eingeschüchtert werden und sich mehr und mehr ängstigen vor jedem neuen Arbeitstag. Ist man von Kindheit ab Gewalt und Ungerechtigkeit gewohnt, lassen sich sicher eher Strategien finden, um mit widrigen Arbeitsplatzbedingungen fertig zu werden. Doch offene, vertrauensvolle, unverbogene Menschen haben oft keine Werkzeuge, um sich zu wehren. Und oft genug wehrt sich dann der Körper und wird krank…
Wenn der gestresste Körper dann krank wird…
Wir sprechen viel von Burnout und auch ich habe beruflich viel mit Menschen (wirklich gerade auch jungen Menschen) zu tun, die als typische Wissensarbeiter aus Überforderung und Unglück erkranken. Kopf- und Rückenschmerzen sind die Klassiker, doch bei vielen zeigen sich die Stressreaktionen des unausgelebten „Kampf und Flucht“ Modus auch im Kreislauf-, Verdauungs- und Immunsystem. Man kann mit noch so viel Freizeitsport und Meditation nicht ausgleichen, was in den direkten Situationen im Job passiert: Körper sagt „nix wie weg“ oder „ich hau ihm eine rein“ – Geist sagt „Wir joggen heute abend, morgen früh meditieren wir vor der Arbeit, das muss reichen“.
Durch die Digitalisierung sind sämtliche Arbeitsplätze bis auf wenige analoge Klassiker von Schnelligkeit, Aufgabenüberflutung, Kommunikationsflut und Effizienzdruck durchdrungen. Den Straßenkehrer aus dem Kinderbuch „Momo“ gibt es nicht mehr. Selbst Straßenkehrer haben technologisch aufgerüstet und müssen Gas geben. Die Zeitdiebe aus Momo haben auf ganzer Linie gesiegt. Sport, Reisen und Konsum sollen gleich Drogen ausgleichen, was der Arbeitsplatz an Stress und Leid produziert. Leben wir in einer Welt der Süchtigen?
Was können abhängig Beschäftigte tun?
Im Grunde genommen führt nur ein einziger Weg aus der Not: Eigenmarketing und unternehmerisches Denken. Auch abhängig Beschäftigte sind Unternehmer ihres Lebens. Eigentlich ist es doch relativ nebensächlich, ob man vom Auftraggeber als Selbstständiger honoriert wird – oder durch einen Arbeitsvertrag mit Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Urlaubsanspruch. Alles eine Kalkulationsfrage, ob ich mich als Selbstständiger finanziell besser stelle oder als Angestellter.
Von der Freiheit, „nein“ zu sagen
Wirklich entscheidend ist, ob ich in der Lage bin, „Aufträge“ abzulehnen, weil mir die Rahmenbedingungen nicht zusagen. Wie komme ich nun zu der inneren Unabhängigkeit, mich aus zerstörerischen Bedingungen zu befreien, indem ich aktiv handle? Das kann ein klärendes Gespräch mit den Konfliktpartnern sein, dass kann das wöchentliche Forschen nach Job-Alternativen sein. Das kann auch eine Kündigung sein, die ohne doppelten Boden erfolgt. Es kann ein „Es reicht. Ich bin dann mal weg“ sein. Oder wie man gern sagt „Nein ist auch ein Satz“.
Zukunftsangst entsteht aus Selbstzweifeln. Selbstzweifel entstehen durch Zerrspiegel, die von Autoritäten zwischen sich selbst und die Realität geschoben werden. Je jünger man ist, desto mehr Menschen im Job werden als Vorgesetzte bzw. Autoritäten wahrgenommen. Erst durch Abhärtung und Lebenserfahrung gewinnt man an Distanz. Diese Unempfindlichkeit gegenüber zersetzenden Herabwürdigungen kann den Mut stärken, sich sogar wider aller Vernunft aus krankmachenden Verhältnissen zu befreien. Man nennt es Mut!
Als ich mich nach einer entsetzlichen Erfahrung als abhängig Beschäftigte im Jahr 2004 selbstständig machte und aus dem Nichts heraus eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gründete, ließ ich auf meinen Nissan Micra die Schrift anbringen:
„Jetzt reicht’s! Ich mach mich selbstständig!“
Die Arbeitsmarktsituation war damals für viele Menschen dermaßen dramatisch, dass sie sich in die berufliche Unabhängigkeit wagten. Damals gab es gute Fördermittel für die ersten Monate. Heute, fünfzehn Jahre später, werden Gründungen durch den Staat so gut wie nicht mehr gefördert. Die Selbstständigkeit ohne alle Sicherheitsnetze zu schaffen, ist extrem verwegen. Jede Gründung braucht eine Anlaufzeit, um sich zu tragen.
Doch Arbeitsplätze wechseln und etwas Neues an einem neuen Ort beginnen, das geht! Sich aus Spaß und Interesse bewerben und sich ein bisschen den Wind um die Nase wehen lassen, das funktioniert. Also mein Vorschlag: Xing- und LinkedIn-Profil unauffällig optimieren – im Web ein bisschen nach Stellenangeboten recherchieren, Netzwerke aufbauen und viel zu Business-Veranstaltungen gehen und interessante Leute kennen lernen. So tankt man Unabhängigkeit und gibt dem Schicksal eine Chance, mit dem Traumarbeitgeber zusammenzutreffen. Nur Mut!
Quelle: t3n – Vor allem junge Menschen plagen Selbstzweifel im Job
Ein interessanter Beitrag, liebe Frau Ihnenfeldt. „Hass“ auf einen ergriffenen Beruf tritt oft bereits in der Berufsfindungsphase auf. Eine Wahlentscheidung ist mit dem Berufsfähigkeitskonzept verbunden, eine emotionale, innere Beziehung zur Berufsanforderung. Diese innere Landkarte für den Beruf unterliegt im Prozess des Heranwachsens Wandlungen, die nicht immer zu einem glücklichen Ende führen. Kinder sind wegen ihres Unwissens freier und für alle Berufe offen: Nicht wenige Jungen zum Beispiel wollen Astronaut werden. Viele von ihnen werden schließlich Sozialversicherungsfachangestellte. Manchmal ist es der Beruf ihres Vaters, den sie eigentlich nie wollten. Wertvorstellungen des Elternhauses, der Gesellschaft usw. lenkten den Berufswunsch um. Der umgelenkte, bestimmte äußere Wertstellungen befriedigende „Berufswunsch“ tritt an die Stelle des seelisch leidenschaftlichen. Das kann mitunter psychische Spannung erzeugen, die schließlich die Ursache des Unglücks im Berufsleben sind, im schlimmsten Fall ein dauerndes Leiden erzeugen. Die Spannung bleibt also psychodynamisch latent, produziert Ablehnung. „Wenn ich noch mal könnte, dann…“, hört man von Älteren später. In diesen Momenten wird die wahre Leidenschaft erinnert. Je älter man wird, um so häufig kommt es vor, dass man dem Wahren mehr Rechte einräumt und nach einem Ausweg sucht. Ein falsch gewählter Auswege ist die Flucht in Krankheit zum Beispiel. Warum aber kündigen so wenig und nehmen Leid in Kauf? Das hängt mit der sozialen Unbestimmtheit des Umbruchs zusammen. Umbruch ist angstbesetzt: Je radikaler dieser in Bezug auf das bisher Erreichte ist (Vermögen, Zertifikate, Abschlüsse und Berufserfahrungen usw.), desto wenig möchte man ihn antreten.
[…] Lesen […]
Danke für den Artikel. Aber ich muss doch der Audfassung widersprechen, dass besonders geborgen aufgewachsene Kinder schlechter mit einer solchen Umgebung später klar kommen. Vielmehr konnten diese ein gesundes Selbstbewusstsein, aber auch ein Gespür dafür entwickeln, dass etwas schief läuft und nicht normal ist, während Menschen mit einer traumatischen Kindheit eher akzeptieren, dass es schon so richtig ist und sie nichts besseres verdient haben.
Danke schön liebe Jane! Auf jeden Fall hast Du recht, was die Bewertung des eigenen Werts betrifft. Kinder, die als Kind gelernt haben, dass sie „Nichts wert“ sind, finden das traurigerweise völlig normal. Doch gerade deswegen halten nicht wenige die unmöglichsten Jobs aus, da sie denken, sie haben nicht Besseres verdient! Doch viele versuchen es auch gar nicht erst, weil sie sich so unwert fühlen. Und weißt Du was? Wenn Erwachsene mit einem richtig tollen Selbstbewusstsein durch äußere Umstände in die Hartz-IV-Falle geraten, werden auch die Stärksten unter ihnen nach einiger Zeit den Glauben an sich selbst verlieren. Fast immer. Was wir brauchen ist ein System, dass allen Menschen Möglichkeiten gibt, an sich zu glauben und sich wertvoll zu fühlen. Die Traumatisierten wie die Selbstbewussten. Das wünsche ich mir und dafür möchte ich immer weiter arbeiten. Danke für den wichtigen Hinweis!!!