Vor Kurzem erzählte mir eine erfahrene Trainerin, die gerade mit jungen Menschen arbeitet „Ich habe das Gefühl, häufig in leblose Gesichter zu schauen. Die Jugendlichen sind zwar sehr aufgeschlossen und positiv – doch ihre Gesichter zeigen kaum Mimik“. Wir überlegten, ob das Phänomen überhaupt stimmt – und wenn ja, ob es am starken Medienkonsum liegt. Kommuniziert man mit einem Computer oder konsumiert man Medieninhalte, braucht man keine Mimik – sind ja keine Menschen…. Klingt logisch, doch ist das so? Ist es nicht sogar zunehmend so, dass wir Menschen in den Computer bzw. das Smartphone starren – und der Computer starrt zurück?
Botox-Mimik
Der Gebrauch von Botox, um das Gesicht zu glätten, wird immer selbstverständlicher. Doch bei zu viel Botox besteht die Gefahr, dass die Gesichtsmuskulatur nicht mehr ausreichend funktioniert. Das Gesicht wird glatt, doch unbeweglich. Der Wirtschaftspsychologe Dirk Eilert sagt dazu im hier verlinkten Interview mit der Welt zur Frage, ob die lange Maskenpflicht zur Verarmung unserer Mimik geführt hat: „Masken kann man absetzen. Zu viel Botox aber macht ein Maskengesicht.“ Eilert hält den Trend zu Botox Behandlungen für eine Gefahr, weil schwindende Mimik auch schwindende Empathie bedeutet – zu mir selbst wie zu anderen. Können Gefühle nicht mehr erkannt werden vom Gegenüber, ist die Folge Einsamkeit.
Emotionserkennung durch KI
Zunehmend starren wir in einen Computer – und der Computer starrt zurück. Ob bei Kameras im öffentlichen Raum – oder auch daheim, ob bei der Nutzung des Smartphones oder des Desktops, unsere Emotionen werden immer häufiger erkannt, analysiert, führen zu Reaktionen des Programms.
In Bewerbungsgesprächen wird das Engagement, die Leistungsfähigkeit und die Integrität des Anwärters im Videointerview eingeschätzt, der Kunde am Supermarktregal gibt emotionale Signale, was ihn am meisten positiv anspricht. Die Polizei kann anhand von Videoauswertungen besser einschätzen, ob Verdächtige kriminelle Bereitschaft zeigen oder die Unwahrheit sagen.
vodafone – Emotionale KI: Was möglich ist, wenn Algorithmen Gefühle erkennen
Im Straßenverkehr kann die Gesichtserkennung beurteilen, ob der Fahrer übermüdet ist. In der Schule erkennt der Computer, ob die Schüler sich langweilen oder Abwehrreaktionen gegen den Unterricht empfinden. In Computerspielen lassen sich Spiele schon heute durch mimischen Ausdruck beeinflussen.
Es ist also möglich, dass der Mensch instinktiv seine Mimik verringert, um nicht so schnell emotional entlarvt zu werden. Es ist aber genauso gut möglich, dass wir unsere Mimik verändern, verstärken, einsetzen, um gewünschte Reaktionen hervorzurufen bei unserem Gegenüber oder bei einem KI-Programm. Oder es kann sein, dass wir vertrauensvoll die Technik begrüßen und deren Vorteile für uns erkennen. Mein Auto warnt mich, wenn ich müde werde, mein Bildungsprogramm stimmt sich mit dem ab, was mich beim Lernen begeistert und motiviert, beruflich werden frühzeitig Schritte eingeleitet, wenn ich meinen Antrieb verliere und in einen Burn-out zu rutschen drohe.
Botox spritzen oder Kameras abkleben?
Früher klebte man ja noch die Kamera ab, damit der Computer nicht zurückstarrt – doch bei Smartphones, bei Kameras im Raum und bei beruflichen digitalen Geräten ist das natürlich nicht möglich. Die eigene Mimik lähmen mit Botox? Vielleicht auch nicht gerade förderlich für die Karriere und die soziale Zufriedenheit.
Es bleibt auf jeden Fall spannend. Die Bundesregierung diskutiert ein »Gesetz über Künstliche Intelligenz«, das Auswüchse des Profilings mittels Algorithmen einschränken soll, um die Bürger zu schützen.