Früher lebten die schwächer werdenden Senioren weiter in ihren Familien. Sie halfen weiter mit, so gut sie noch konnten, und wenn sie geistig oder körperlich ihre Kräfte verloren, kümmerten sich die Angehörigen darum und beschützen sie vor Gefahren. Das geht heute nicht mehr – zumindest nicht im urbanen Raum. Man wird – spätestens, wenn es keinen Ehepartner mehr gibt – allein älter und schwächer in den eigenen vier Wänden. Neben dem nachlassenden Gedächtnis und der einsamen Sehnsucht, weiterhin geliebt zu werden, baut sich bei vielen Senioren ein kindliches Vertrauen auf in andere Menschen. Man möchte helfen, wo man kann und man glaubt, was erzählt wird.
Ich habe es bei meinem Papa erlebt, der in den letzten Lebensjahren leicht dement geworden war und dank seines Glaubens voller Vertrauen auf die Welt zuging. Drücker-Firmen wussten schnell, dass der alte Mann mit dem Stock alles unterschrieb, was man ihm unter die Nase hielt – vor allem für karitative Zwecke. Man müsste nur an sein Mitgefühl appellieren, und zack, unterschrieb er, oder er öffnete das Küchenschrank-Schließfach und gab das ganze Bargeld heraus.
Ich hatte das Glück, nur wenige Minuten zu Fuß in seiner Nähe zu wohnen. Nach einigen Abo-Haustürverträgen, die ich in den Kontoauszügen fand, gewöhnte ich mir an, die Küchenschränke mehrmals wöchentlich zu durchforsten, um noch rechtzeitig vom 14-tägigen Widerrufsrecht Gebrauch machen zu können. Natürlich hätte er auch in seiner Gutmütigkeit unterschrieben, dass er mich als rechtliche Betreuung wolle – doch das hätte ich nicht übers Herz gebracht. Darum hier ein paar Tipps für Angehörige, wie sie ihre alt werdenden Liebsten vor Haustürgeschäften und Betrügern schützen können:
Tipps für Angehörige mit alt werdenden Liebsten
1. Bringt an der Wohnungstür (oder neben der Klingel) ein Schild an, mit dem Verbot, aufgrund von Vertriebsmotiven an der Tür zu klingeln. Das hat – ähnlich wie das Werbepost-Verbot am Briefkasten zwar (leider) keine strafrechtlichen Konsequenzen, ist jedoch in der Regel ausreichend, um Haustür-Drücker zu verscheuchen. Im Ernstfall könnte und müsste man zivilrechtlich eine Klage einreichen.
2. Ruft einmal täglich bei Euren Liebsten an – am besten abends – und fragt, ob an dem Tag etwas Besonderes vorgefallen ist. Im Idealfall reicht das Gedächtnis noch aus, um Euch zum Beispiel zu erzählen, dass einer der Enkel sich per WhatsApp gemeldet hat, weil er dringend Geld brauchte.
Zehn Minuten Telefonat reichen aus, soviel Zeit darf sein. Und wenn der Einsame dann gaaaaaanz lange erzählen will, was er beim Einkaufen oder Spazierengehen erlebt hat, könnt Ihr eine grundsätzliche Zeitlänge für die Telefonate vereinbaren oder eine andere Abmachung treffen, die akzeptiert wird. Zehn Minuten (am besten mit Kopfhörer, dann könnt Ihr beim Telefonieren kochen, Nägel feilen oder spülen) gehen immer. Und wenn möglich, mit fester zeitlicher Vereinbarung „Morgen rufe ich um 18 Uhr an, ist das ok?“
3. Natürlich wollen wir als die um Leben und Geld Besorgten unsere Angehörigen „erziehen“, niemandem mehr zu trauen. Das hat jedoch einen erheblichen Nachteil: Bei erfolgreicher Erziehung traut sich der alt gewordene Mensch nicht mehr aus dem Haus. Er verkriecht sich daheim in seine Einsamkeit und verkümmert weiter in seiner Erkenntnis, dass niemand ihn braucht und niemand ihn liebt. Wirkt natürlich am Erfolgreichsten gegen Geldverlust durch Betrüger – aber der Schaden an der Seele ist vielleicht doch schlimmer als der Verlust an Vermögen.
Schlechtes Gewissen ist Blödsinn
Es ist, wie es ist. Schlechtes Gewissen ist Blödsinn. Kinder ziehen fort, machen Karriere und gründen in neuer Umgebung ihre eigene Familie. Das ist der Lauf der Welt.
Der Staat ist keine Hilfe – will nicht einmal Haustürgeschäfte verbieten (ich glaube ja, wegen der Parteien-Haustürwerbung vor Wahlen) und ohne „Entmündigung“ kann man alte Menschen rechtlich kaum vor Betrug schützen. Zurzeit sind wieder viele Vertriebler im Auftrag der Telekom unterwegs, um Internetverträge (meist VDSL oder Glasfaser) zu verkaufen – oft mit betrügerischen Methoden.
Ranger – Haustürvertrieb im Auftrag der Telekom
Hier ein ARD-Video über die Geschäftspraktiken des Telekom-Premium-Vertragspartners „Ranger“. Für eine einzige Unterschrift erhält der Vertriebler im gezeigten Beispiel 149 Euro! Behutsam sanft die alten Menschen vor Schaden bewahren – am besten mit einem Schild an der Wohnungstür
„Hausierer: Klingeln verboten“