Wie wichtig ist der Social Media Hype für Unternehmen wirklich?

Erst kamen die Geeks uns Nerds, schufen ein „freies Land“ für „Freie Menschen“ mit Foren, Wikipedia, Mozilla, WordPress und Co. Dann kamen die Firmen und hängten sich an die Möglichkeiten. Es entstand ein Hype rund um Social Media – alle wollten mit ihren Kunden reden und sich verbrüdern, wollten Kunden einbinden bei der Produktentwicklung, wollten sie zu Fans und Empfehlern machen, wollten sie besser verstehen – und sie durchaus auch aushorchen. Doch was ist heute, etwa zehn Jahre später, aus den Hoffnungen der Konsumwirtschaft geworden? Wie wichtig ist Social Media? Versuch einer Antwort.

Ist Social Media ein Hype – eine Blase, die platzt?

konsumIn den letzten Wochen erfuhren wir, dass Procter & Gamble und Müller Milch anscheinend enttäuscht sind von Social Media und Facebook. Procter & Gamble will wieder verstärkt zu TV-Werbung umschwenken (Procter & Gambe stellt Facebook in Frage); Christian Meyer von der Theo Müller Gruppe rechnet  in einem offenen Brief gleich mit der ganzen digitalen Medialandschaft ab und zeigt sich grundlegend desillusioniert: w&v: Müller Milch rechnet mit Dmexco ab

Sicher geht es auch vielen anderen Marken und Consumer-Konzernen so: Ganze Teams von Social Media Redakteuren und Social Media Analysten versuchen, über Content-Marketing, Datenanalysen und emotionale Kampagnen ihre Kunden an sich zu binden – doch so recht gelingen scheint das nur selten. Zalando ist da wohl ein typisches Beispiel: Drei Social Media Teams mit jeweils 17 akademischen Mitarbeitern produzieren Content, entwickeln Kampagnen und werten aus, was ihre Fans und Kunden interaktiv preisgeben. Natürlich, um diese zu noch loyaleren Kunden und Empfehlern zu machen. Aber mal ehrlich, lohnt sich der Aufwand?
Zeit/compass vom 17.9.16: In einer Beziehung zu Zalando

Markentreue durch Social Media?

Zuerst merkten die Konzerne, dass ihre eigenen Beiträge im Social Web nicht ganz so gut ankamen, da der misstrauische Leser sofort eigensüchtige Werbestrategien vermutete. In der Zwischenzeit werden über Instagram, Facebook und Co schon extra lauter laienhafte Handy-Bilder und wackelige Handy-Videos ins Netz gegeben, um Authentizität zu imitieren. Die Social Media Mitarbeiter schreiben und kommentieren als erkennbare Person. Doch hilft das alles, um eine emotionale Beziehung zur Marke aufzubauen?

Da frage ich mich doch mal, zu welchen Marken ich selbst loyal bin. Was muss eine Marke tun, damit Eva Ihnenfeldt sich nicht allein vom Preis und einer einzigartigen, konkurrenzfreien Qualität leiten lässt? Ich erinnere mich an eine Situation vor wenigen Woche, als eine Boutique-Besitzerin sich bei mir beklagte, als ich um einen Preisnachlass für eine Jacke bat – schließlich könne sie nicht so preiswert anbieten wie ein Big Player mit Einkaufsmacht. Trieb mich ihr Wehklagen zur Treue? Wohl kaum.

Trinke ich Red Bull, weil der Konzern so viele tolle Konzerte sponsert und bei der Formel Eins mitmischt? Wohl kaum. Trinke ich Krombacher, weil das Unternehmen den Regenwald unterstützt? Kaufe ich bei Hornbach, weil die männerverstehenden, witzigen Werbespots mich dazu bringen, trotz Angebote von der Konkurrenz Hornbach treu zu bleiben? Mag sein, dass es Menschen gibt, die Nutella essen, weil es die deutsche Fußballnationalmannschaft im Werbespot tut – auf mich persönlich hat das keinen Einfluss. Bin ich außergewöhnlich? Oder geht es anderen Menschen ebenso? Wenn ja, was dann?

Von der Aufmerksamkeit bis zur Markentreue – ein schwieriger Weg

TV-Werbung schafft Bekanntheit und Reichweite wie kein anderes Medium. Plakat, Radio, Kino, Printwerbung und Web-Werbeformate tun das Ihrige hinzu. Doch trotzdem ist es heute sehr schwer geworden, Menschen über Werbung und Social Media an sich zu binden – der transparente Markt im digitalen Zeitalter behindert Loyalität und Markentreue.

Genauso, wie wir uns gern von einem umfangreichen Fernsehprogramm und einem umfangreichen Supermarkt-Sortiment inspirieren lassen, lassen wir uns gern inspirieren durch neue Eindrücke, neue Produktvariationen, neue Konsum-Erlebnisse. Das existenzielle Schicksal eines einzelnen Unternehmen – oder einer Marke – ist uns etwa so gleichgültig wie das Schicksal von Flüchtlingen im Mittelmeer.

Doch was kann nun eine Marke tun, um über digitale Medien und Social Media die Markenbindung zu stärken? Hilft es, wie ein „Kumpel“ bei Instagram persönliche Fotos von Mitarbeitern und Testimonials zu posten? Hilft es, Blogger dafür zu bezahlen, dass sie verdeckt für Marken und Produkte werben? Hilft überhaupt irgendwas über Reichweite und den Wiedererkennungswert hinaus? Hilft der Unterhaltungswert und der Kreativitätsbonus dabei, Kunden zu gewinnen und zu binden? Wie können Vertrauen, Sympathie, Verantwortungsbewusstsein und Treue über Social Media entstehen? Welche Macht hat die Kunst der Kommunikation?

Social Media und die Kunst der gewinnorientierten Kommunikation

Wenn Social Media Redaktionen Social Media Kanäle bedienen, sind den Erfolgsfaktoren Vertrauen, Sympathie und Treue schon von Anfang an Grenzen gesetzt. Es sei denn, ich folge einem Social Media Manager als „Freund“ durch dick und dünn – von einem Job zu nächsten – von einer Marke zur nächsten. Dann hat sich persönliche Bindung ergeben wie bei einem Blogger oder YouTube-Star. Doch das dürfte ein extrem seltenes Phänomen sein. Normalerweise bleiben die Redakteure und Autoren namenlos und austauschbar. Anders wäre es ja auch unsinnig, schließlich will die Marke für ihr Geld Profit und Popularität für SICH, und nicht für ihren Mitarbeiter.

Manchmal gelingt es, dass eine der führenden Unternehmens-Persönlichkeiten Social Media Kanäle bedienen und dadurch als Persönlichkeit die ganze Marke mit befördern. Das kann schon eine ganze Menge bewirken. Wir Menschen und Käufer lieben herausragende Unternehmer-Persönlichkeiten wie Steve Jobs oder Henry Ford.

Eine mit dem Volk kommunizierende Führungsgestalt kann sicher Markentreue befördern – doch welcher CEO hat schon täglich zwei, drei Stunden Zeit für Social Media? Und wenn alle CEO’s anfangen würden, über Twitter, Facebook und Co zu posten wie ein Fußballstar, wäre das eine Persönlichkeitsinflation. Dann würden die Konsumenten verwöhnt durch die vielen um Aufmerksamkeit buhlenden Unternehmer und Manager – und dann würde womöglich irgendwann von allen Marken erwartet, dem Volk das zu bieten (so wie bei Politikern), das könnte zum Problem werden. Hüte Dich vor dem Volk!

Mein Social Media Hype Fazit

Social Media beruht auf einer neuen Kommunikationsmöglichkeit, so wie zuvor Brief, Telefon und E-Mail. Die Menschen nutzen soziale Netzwerke und Messenger, um einen echten Mehrwert dadurch zu erlangen. Was sie sich nicht davon versprechen, ist mehr Werbung oder mehr Interaktion mit Mitarbeitern von Marken. Marken sind nur dann interessant, wenn man Beschwerden hat oder konkrete Fragen oder Wünsche.

Prominente, Charismatiker und Vorbilder haben die Menschen gern. Sie nehmen tatsächlich Beziehungen auf zu Lets-Play-Gamern, zu YouTubern, zu Facebook-Stars und Bloggern. Sie fühlen sich emotional verbunden mit der Mutter, die von ihren Alltagsserlebnissen im Blog erzählt – oder mit dem Stahlarbeiter, der als Bodybuilder Tipps bei YouTube gibt. Ob man das Treue nennen kann, steht dabei noch auf einem anderen Blatt. Genauso schnell, wie ein „Star“ angehimmelt wird, wird er auch wieder fallen gelassen. Ersatz gibt es an jeder Ecke. Das Netz ist voller Möchtegern-Stars.

Schuster bleib bei Deinen Leisten

Ich empfehle Marken und Konzernen das Sprichwort „Schuster bleib bei Deinen Leisten“. Auf jeden Fall lohnt sich die Investition in einen kreativen Werbespot, der bestenfalls sogar viral wird. Hornbach macht es vor: Die Menschen kennen die Marke und sie bekommen ein gutes Gefühl, wenn sie einen Hornbach-Laden betreten. Das ist doch schon super! Mehr geht nicht. Doch abseits dieses Effekts steht auch Hornbach ganz normal im Leistungswettbewerb wie seine Mitbewerber: Preise, Leistung, Service. Der schönste Facebook-Kanal kann das nicht verhindern: Das Produkt ist das Herz des Marketings, auf das Produkt kommt es an.

Müller Milch hat bei seinen Produkten einen eigenen Style, Geschmack, Konsistenz. In den Werbeformaten wird die Unaustauschbarkeit von Müller beschworen, die Konsumenten testen bestenfalls gar nicht erst andere Marken an. Wenn doch, sollte das Müller-Produkt tatsächlich besser schmecken, besser funktionieren oder sich besser anfühlen wie ein Konkurrenzprodukt – tut es das nicht, bleibt nur die Verpackung und das Image – doch ob das reicht?

Social Media ist Service und Dialog

Social Media kann hervorragend sein, wenn es um Service geht rund um Produkt und Leistung. Unzufriedene Kunden zu Beschwerden und Verbesserungsvorschlägen anzuregen, könnte ein guter Weg sein. Hintergrundinformationen zu geben zu Produktion, Wertschöpfungskette, Unternehmensstruktur und Unternehmenskultur, könnte echtes emotionales Interesse auslösen – und vielleicht sogar so etwas wie Loyalität. Die interessierten Bürger, Lehrer, Schüler und Studenten schlauer machen durch Social Media Kommunikation, könnte ein echter Mehrwert sein, der neben dem Bildungsfaktor auch zu Loyalität und Treue beiträgt. Zumindest würde es in der Personalpolitik Früchte tragen und Bewerber anziehen, das ist doch schon was!

Augenhöhe

Augenhöhe ist wohl das Schlüsselwort für erfolgreiche Social Media Kommunikation. Unzählige kleine Unternehmen, StartUps letters-471921_640und Einzelselbstständige haben riesige Erfolge durch Social Media erzielt, weil sie tatsächlich mit ihren Kunden und mit Interessierten bei Facebook und Co auf Augenhöhe kommunizieren. Als Kleiner und persönlich Erkennbarer braucht es nur Mut und ein bis zwei Stunden Zeit täglich. Und Spaß an der Interaktion. So wird man ganz sicher das Business befördern. So schafft man ganz sicher Loyalität und Kundentreue – abseits von Preis und Bequemlichkeit. Da fahre ich auch schon mal ein paar Kilometer mehr zum Blumenladen, wenn mir die Inhaberin bei Facebook ans Herz gewachsen ist.

Konzerne sollten sich darauf besinnen, was sie ehrlich und auf Augenhöhe für ihre Kunden tun können. Wir Konsumenten wünschen uns Informationen, Hintergrundwissen und persönliche Ansprache. Wir wünschen uns Anbieter, bei denen das Betriebsklima stimmt und bei denen jeder Mitarbeiter respektiert wird. Wir wünschen uns Unternehmen, die nicht nur Gewinnmaximierung im Fokus haben, sondern denen es mit ihrer ganzen Ehre um Produkte, Menschen, Verantwortung und Werte geht. Können wir da wirklich vertrauen und glauben, so werden wir ganz sicher nicht so leicht zu Sonderangeboten des Konkurrenten wechseln.

Social Media bei Konzernen

Social Media kann auch bei „Großen“ viel bewirken, doch nur, wenn Transparenz und aufrichtiges Interesse permanent mitschwingen. Will ich meine Fans und Follower über Tracking-Methoden ausspionieren, ist das ein Vertrauensbruch. Will ich sie mit TingelTangel unterhalten, muss dieser TingelTangel schon verdammt außergewöhnlich gut sein, um noch einen Hund hinter dem Ofen herzulocken. Und gebe ich das Feuer frei für Beschwerden und Bewertungen, muss ich das Echo aushalten und mich ständig verbessern. Denn sich nur freundlich für Kritik bedanken, macht lächerlich.

Digitale Kommunikation mit Einzelnen und Gruppen, weltweit und in Echtzeit, öffentlich oder geheim, ist für jeden einzelnen Mensch ein echter Fortschritt. Doch die kommerzielle Nutzung dieses wahr gewordenen Menschheitstraums ist eine Kunst, die nur auf Augenhöhe nachhaltig Gewinn bringen kann. Das ist das Problem – aber das ist auch die Lösung.

Seit fast zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Unternehmenden. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

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