Jesus hat einmal gesagt „Wer ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein“. Und der deutsche Bundespräsident (1969 bis 1974) Gustav Heinemann hat mich als Kind tief berührt mit der Aussage „Wer auf andere mit dem Zeigefinger zeigt, deutet mit drei Fingern seiner Hand auf sich selbst“. Nun leben wir aber in der digitalen Kommunikationswelt. Das Be- und Verurteilen ist zum öffentlichen Massenphänomen geworden.
Nicht nur Privatpersonen – auch die öffentlich-rechtlichen Medien bzw. Leitmedien nehmen ihren Auftrag, die Bürger pädagogisch zu begleiten, sehr ernst. Doch was passiert, wenn die Menschen immer eingeschüchterter werden und sich nur noch wegducken?
Im Dunkeln ist gut Munkeln
Die meisten Menschen in Deutschland haben sich ins „Dark Social Netz“ zurückgezogen. In ihren WhatsApp-Gruppen, bei Telegram und Co fühlen sie sich mit ihren Wertesystemen und Meinungen sicher. Hier können sie sich mit Gleichgesinnten zusammenschließen. Auch geschlossene Facebook-Gruppen bieten Schutz – zum Beispiel für Fleischliebhaber oder für Menschen mit Burnout oder einem Krebsleiden.
Öffentlich äußern tun sich immer weniger. Was ja durchaus sein Gutes hat! Schließlich führt die Gefahr des öffentlichen Prangers auch dazu, dass man sehr genau überlegt, ob man wirklich hinter den Botschaften steht, die man verbreitet. Doch sich in Nischen und Höhlen zurückziehen – das ist nicht mein Weg.
….Lass mich auf keinen Verein ein…
Ich bin ein Mensch der sich nicht eingliedern kann in gesellschaftliche Konventionen. Gehorchen ist mir zuwider und wenn ich aufgefordert werde, etwas so und so zu tun – verspüre ich direkt den Impuls, genau das Gegenteil zu tun – selbst wenn es Blödsinn ist.
OK, also mich in „geheime Gruppen“ zurückzuziehen, entspricht so gar nicht meinem Temperament. Öffentlich nur noch Unverfängliches zu posten und somit zum allgemeinen Freizeit-Selfie-Natur-Spam beizutragen, sowieso nicht. Mich komplett aus Social Media zurückzuziehen, um keinen Ärger zu provozieren, kommt ebenfalls nicht in Frage.
Schutz vor dem stillen Tod
Für mich ist die Möglichkeit, mich öffentlich auszudrücken, mein Schutz vor dem stillen Tod. Ich will weiterhin Einfluss haben und immer wieder etwas Neues starten, weil ich davon überzeugt bin. Dafür nutze ich die Öffentlichkeit. Blog, Newsletter, Facebook, Twitter und ein bisschen Xing und Instagram. Ich will bis zum letzten Atemzug diese Welt mitgestalten. Ich will aus meinen Fehlern lernen und will mich permanent weiterentwickeln. Ich will Bühne – auch wenn das Konsequenzen hat.
…und ritze Deinen Namen in den Fels
Ich will mit offenem Visier für das streiten, woran ich glaube und ich will Menschen kennen lernen, die mich inspirieren und mit denen ich gemeinsame Projekte umsetzen kann. Ein Leben ohne diese Möglichkeiten kann ich mir nicht einmal vorstellen! Was sollte ich denn dann machen?Arbeiten gehen und mich ins Private zurückziehen? Horror!
Nein, ich werde die Gesetze der Schweigespirale nicht akzeptieren. Schließlich weiß ich, dass die Angst vor Isolation und dem Ausgestoßen werden unendlich viel Leid über Individuen, Gruppierungen und ganze Nationen gebracht hat und bringt. Schließlich weiß ich, wie ich als Kind in der Schule unterdrückt wurde und qualvoll unter den Autoritäten – sprich Lehrern – litt. Ne, dann lieber Underdog sein und zu den Ausgestoßenen zählen.
Die Underdogs
Natürlich sind es seltenst die Underdogs selbst, die sich in den aufgeregten Mob bei Facebook begeben, um dort am Pranger fertig gemacht zu werden. Aber ich bin so eine Art Zwischending zwischen Underdog und Mainstream. Und darum kann ICH eine Menge wagen, ohne Angst davor zu haben, verstoßen zu werden. Mein Motto ist stets „Das beste Geheimnis ist eine offene Tür“.
Meine Facebook-Politik
Ich muss klug und behutsam vorgehen – und ich muss auf jede einzelne Kritik reagieren. Und ab und zu muss ich auch mal „Schluss machen“ mit Jemandem, der fanatisch bzw. aggressiv kommentiert oder mir in privaten Messages seine Meinung aufzwingen will. Entfreunden, blockieren – fertig.
„Wir sind alle kleine Sünderlein…“
Ist das nicht herrlich? Ich habe tausend Fehler, irre mich ständig, revidiere meine Meinung vom Tag zuvor, weil ich plötzlich eine ganz andere Perspektive einnehme. Ich beute mit meinem Verbraucherverhalten Mensch, Tier und Natur aus, ich bin nicht teamfähig und ich lebe nach dem Brecht-Motto „Wie man sich bettet, so liegt man“.
Ich will gern Vorbild sein für all die, die sich nicht trauen, ihr Fühlen, Denken, Sprechen und Handeln offen auszuleben. Die vielen armen Seelen, die ständig Kompromisse eingehen in Familie, Beruf, sozialem Umfeld, Gesellschaft. Ich möchte meine verdammte Fehlerhaftigkeit nutzen, um Mut und Übermut vorzuleben, um den Schalk im Nacken zu verbreiten, um gerade das zu fördern, was wir so dringend brauchen: Kreativität und Ausbruch.
OK, dann will ich mal weitermachen. Zugeben, wenn ich Fleisch esse und meinen Freunden gönnen, mich deshalb als Mörder und Folterer anzuklagen. Video-Interviews und Artikel posten, auch wenn die Aussagen von Neoliberalen stammen oder wenn die Quellen nicht den deutschen Leitmedien entsprechen.
Und ich werde auf jeden kritischen Kommentar eingehen, ohne mich wegzuducken. Ich mag ja meine Facebook-Freunde gern! Ich verstehe ja, wenn sie von mir enttäuscht sind, weil ich mich ignorant verhalte aus purem Luxus-Genuss. Fleisch, Konsumartikel aller Art, CO2-Verschwendung… Ich stelle mich. Und wenn ich verstoßen werde, ist es auch ok. Gibt Schlimmeres…