Studien belegen, dass Arbeitnehmer/Innen in Deutschland im internationalen Vergleich besonders viel Wert auf Arbeitsplatzsicherheit legen. Verständlicherweise sind dabei junge Menschen nach Ausbildung und Studium flexibler als Berufstätige, die eine Familie gründen wollen oder gegründet haben. Doch selbst bei der Studienplatzwahl bevorzugen junge Menschen heimatnahe Studienorte, um ihr familiäres und soziales Umfeld zu erhalten.
Durch die sogenannte „Vierte industrielle Revolution“, bei der nicht mehr allein der Computer, sondern das weltweit umspannende Internet mit den damit verbundenen Vernetzungen von Mensch und Maschine im Fokus stehen, verändert sich auch die Unternehmens- und Arbeitswelt. Kann es bei dieser rasanten Entwicklung noch Heimat- und langjährige Unternehmenszugehörigkeit geben?
Attraktive Arbeitgeber mit Arbeitsplatzsicherheit
Der Fachkräftemangel wird sich trotz der Weiterentwicklung von Automatisierung und Künstlicher Intelligenz in den nächsten Jahrzehnten weiter zuspitzen. Arbeitgeber sollten nicht darauf vertrauen, dass Arbeitnehmer/Innen aufgrund ihrer Ausrichtung auf Arbeitsplatzsicherheit auch bei empfundener Unzufriedenheit bleiben. Schon allein wegen der zunehmenden Homeoffice-Kultur wird sich womöglich die Konkurrenz unter den Arbeitgebern weiter verschärfen. Die emotionale Treue zum Unternehmen sinkt nachweislich, die Ansprüche der Mitarbeiter/Innen an Gehalt, Karrieremöglichkeiten und Rahmenbedingungen steigen.
Arbeitsplatz, Arbeitszeit und Familie
Nicht nur gegenüber der eigenen Kernfamilie besteht die Verpflichtung einer gewissen zeitlichen Flexibilität, sondern auch gegenüber pflegebedürftigen Angehörigen. Da sich das traditionelle Familienmodell weitgehend überlebt hat und Mütter in der Regel ebenfalls berufstätig sind, ist es wichtig für Arbeitgeber/Innen, ihren Mitarbeiter/Innen familienfreundliche Rahmenbedingungen anzubieten. Dabei ist zeitliche Flexibilität nicht nur kurzfristig wichtig, sondern gerade auch langfristig. So werden mit Zeitwertkonten Freistellungszeiten angespart, die von Mitarbeitenden zum Beispiel bei Elternzeiten und Pflegezeiten in Anspruch genommen werden können – aber natürlich auch für Sabbaticals oder den Vorruhestand.
Für Unternehmen sind Zeitwertkonten eine hervorragende Möglichkeit, sich als familienfreundliche/r Arbeitgeber /In zu beweisen und eine verlässliche Beziehung zu seinen Mitarbeiter/Innen zu gewinnen. Bei einem Arbeitgeberwechsel wird zwar das Guthaben des Zeitwertkontos ausgezahlt, doch ist dies in der Regel mit finanziellen Einbußen verbunden. Das fördert die Mitarbeitnehmerbindung auch bei verlockenden Angeboten von anderen Unternehmen oder einer vorübergehenden Frustration.
Weitere Maßnahmen der Mitarbeiter/Innenbindung
Junge Ausbildungs- und Studienabsolvent/Innen sind selbstverständlich seltener mit familiären Verpflichtungen belastet als Berufstätige mit Kindern. Das Angebot eines Zeitwertkontos könnte womöglich sogar als Fußfessel empfunden werden, da es heute üblich ist, aus Karrieregründen häufiger das Unternehmen zu wechseln, um beruflich voranzukommen. Doch auch bei jungen Fachkräften ist es möglich, die Mitarbeiterbindung wirkungsvoll zu stärken. An erster Stelle stehen gerade bei jungen Menschen die emotionale Bindung und Weiterbildungsmöglichkeiten.
Erhalte ich genügend Anerkennung? Werde ich von Vorgesetzt/Innen unterstützt, wenn ich Probleme mit Aufgaben und/oder Kolleg/Innen habe? Bemüht man sich darum, dass ich mich beruflich weiterentwickeln kann im Unternehmen? Welche Weiterbildungswege sind für mich erkennbar? Gibt es Mentoring-Programme, bei denen mich erfahrene und erfolgreiche Führungskräfte auf meinem Weg in ein erfolgreiches Berufsleben im Unternehmen begleiten?
Mitarbeiterbindung älterer, erfahrener Fachkräfte
Rund 39 Prozent der Belegschaft eines Unternehmens ist im Durchschnitt älter als 50 Jahre. Nicht nur aufgrund des Fachkräftemangels ist es wichtig, ältere und erfahrende Mitarbeiter/Innen länger im Beruf zu halten. Wo Fachkräfte noch vor wenigen Jahrzehnten das Gefühl hatten, schnell zum alten Eisen zu gehören, sind die heutigen „Babyboomer“ (geboren zwischen 1946 und 1964) wichtig für die Zukunft unserer Volkswirtschaft. Während die Politik eine weitere Anhebung des Renteneintrittsalters überlegt und die Rentenbezüge immer seltener für einen gesicherten Altersruhestand ausreichen, können Unternehmen aktiv Maßnahmen ergreifen, um ältere Beschäftigte weiter im Unternehmen zu halten.
An erster Stelle stehen Angebote flexibler Arbeitszeitmodelle. Altersgerechte Arbeitsplätze, Altersteilzeit und Angebote zur Gesundheitsförderung sind ebenfalls wirkungsvolle Instrumente, um die sogenannten „Silver Worker“ auch über das reguläre Rentenalter hinaus an das Unternehmen zu binden. Gerade bei Fachkräften, die kurz vor dem Renteneintritt stehen, sollten Arbeitgeber/Innen Zeit und Sorgfalt darauf verwenden, durch sichtbare Anerkennung, altersgerechte Rahmenbedingungen, Mitarbeitergespräche und emotionale Bindungsprogramme ihren Beschäftigten den Weg in eine Verlängerung der Betriebszugehörigkeit zu ebnen.
Arbeit und Heimat
Die Bundesregierung hat im Jahr 2021 eine Studie zum Thema „Heimatverbundenheit“ herausgegeben, die zwar den Schwerpunkt auf eine gelungene Integration von Migranten/Innen verfolgt, jedoch auch für die gelungene Integration des digitalen Wandels nützliche Ergebnisse beinhaltet. Demnach gibt es acht Faktoren, die gemessen werden können, um Heimatverbundenheit zu definieren: Geborgenheit, Identifikation, Ort und Landschaft, Zeit, Soziale Verwurzelung, Geistige Heimat, Heimatpflege und Abgrenzung.
Da der Arbeitsplatz neben Familie und sozialer Verwurzelung eine entscheidende Rolle für das Wohlbefinden in der eigenen Wohngegend spielt, sollten sich Unternehmen, die Wert auf langfristige Mitarbeiterbindung legen, mit den Ergebnissen der Studie beschäftigen und das ihre zum Wohlbefinden der Beschäftigten beitragen.
Wer sich mit seiner Heimat (Ort, an dem ich mich durch ständigen Aufenthalt zu Hause fühle) identifizieren kann, hat auch eher die Bereitschaft, Verantwortung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu übernehmen – zum Beispiel durch ehrenamtliche Tätigkeiten und Nachbarschaftshilfe. Menschen mit empfundener Heimatzugehörigkeit sind der Studie nach glücklicher, optimistischer und empfinden eine höhere Lebenszufriedenheit als Menschen, die diese Verwurzelung nicht haben.
Heimatverbundenheit gibt es auch bei vielen kleineren und mittelständischen Unternehmen, für die gemeinsame Freizeitaktivitäten und Feste abseits von Weihnachtsfeiern selbstverständlich sind. Beschäftigte wissen es zu schätzen, wenn Inhaber und Vorgesetzte sich auch abseits des Betriebserfolges für die menschlichen Aspekte ihrer Mitarbeiter/Innen interessieren und diese als gleichwertig empfinden.
Doch auch Konzerne haben die Möglichkeit, sich abseits von Status, Karriere und Gehalt für die Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden einzusetzen. Betriebskindergärten, Belegrechte in Kitas für Mitarbeiterkinder, Tagesmütter, Eltern-Kind-Büros, Hausaufgabenbetreuung… Neben finanzieller und zeitlicher Modelle entsteht Heimatverbundenheit zum Unternehmen im Wesentlichen durch Geborgenheit und Fürsorge.
Gerade in unserer digitalisierten Welt, in der traditionelle Sicherheit immer weiter schrumpft, können Arbeitgeber/Innen wesentlich dazu beitragen, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt und die Identifikation mit unserer demokratischen Grundordnung gestärkt werden.