Ich habe das Gefühl, in einer so rasant beschleunigten Zeit zu leben, dass ich mir eine „Welt in 100 Jahren“ nicht vorstellen kann – höchstens in Form eine KI-Dystopie mit verskavten Menschen. Darum versuche ich es lieber mit der „Welt in 25 Jahren“. Dabei geht es mir vor Allem um das soziale Miteinander der Menschen. Ich stelle mir unsere globale Vernetzung vor und träume davon, wie wir uns trotz der bestehenden Macht- und Profitinteressen „von unten“ organisieren und etwas ganz Eigenes aufbauen an Welt. Wir beginnen zu verstehen, welche Möglichkeiten die Verbindung von analoger und digitaler Welt bieten und machen etwas Gutes daraus.
Die Welt im Jahr 2043
Priscilla
Priscilla ist 25 Jahre alt. Sie wurde 2018 geboren in Deutschland, in einer Mittelstadt am Rande des Ruhrgebiets. Priscilla hat keine Geschwister. Sie ging schon mit einem Jahr ganztags in die Kinderbetreuung, da beide Eltern arbeiteten. Dort lernte sie, in Gruppen von Menschen zu leben, die ihr sehr ähnlich – und doch sehr verschieden sind. Dank der Erwachsenen bekam sie Anregungen und Angebote, um ihre Lernneugierde auszuweiten. Sie war sehr gern in der Tageseinrichtung.
Mit sechs Jahren begann ihre Schullaufbahn. Auch dort war sie in der Tagesbetreuung und hatte intensive Beziehungen zu ihren Klassenkolleginnen und -kollegen. Sie erledigte ihre Hausaufgaben und Prüfungsvorbereitungen in der Betreuungszeit und hatte frei, wenn sie heimkam. Die Eltern kamen um 17 Uhr, um sie abzuholen. Da sich die kleine Familie immer sehr aufeinander freute, wurde viel unternommen, was Spaß machte. Auch die Wochenenden waren voller Anregungen und Angebote. Langweilig war Priscillas Grundschulzeit nie.
In der Pubertät war sie es so gewohnt, ihr Leben selbst zu organisieren, dass die mahnenden Worte der Eltern auf wenig Resonanz stießen. Priscilla probierte vieles aus, was durchaus riskant war, doch die Phase des Aufbäumens war relativ kurz, da sie auf wenig ernst zu nehmenden Widerstand stieß. Mit 17 hatte sie sich gefangen und begann, auch auch wieder um Schule und Abitur zu kümmern. Weiterhin waren gleichaltrige Freunde prägender als Eltern und andere Autoritäten.
Dann begannen die „Wanderjahre“ nach dem Abitur. Vor einigen Jahren war das „gesellschaftliche Pflichtjahr“ eingeführt worden für alle Einwohner die dieses noch nicht absolviert haben, und Priscilla wählte sich Peru und das Thema „Bildung von Kindern“ aus, um gemäß ihrer Leidenschaften aktiv zu sein. Ein Jahr lang lebte sie in Peru mit jugendlichen Mädchen, die sich aus der Armut heraus auf die Hochschulreife vorbereiteten – und schon während dieser Zeit kleine Unternehmen gründeten, um ihre Schule zu finanzieren. Das prägte sie sehr.
Als sie mit 19 wieder nach Deutschland zurückkehrte hatte sie feste Vorstellung, wie sie nun weiter ihr Bestes geben will. Sie zog in eines der zahlreichen „CoWorking-Dörfer“, die überall in Deutschland in den letzten zwanzig Jahren entstanden waren. Ein wenig kann man sich diese Co-Villages vorstellen wie Kibuzze. Basisdemokratisch wird das Leben organisiert.
Dank der vielen Sharing-Möglichkeiten können die Village-Bewohner sehr günstig ihren Berufungen nachgehen. Es gibt IT-Experten, Künstler, Wissensarbeiter, Gärtner und Landwirte, Handwerker, Lehrer und vieles mehr. Die Kinder sind so beschützt durch die Rahmenverhältnisse, dass die Eltern sich nicht sorgen müssen. Irgendwie fühlt sich jeder für Jeden verantwortlich, ohne dass es wirklich Mühe macht.
Mit 23 hat sich Priscilla in einen jungen Mann verliebt, mit dem sie nun ein Haus im Co-Village bezogen hat. Sie studiert „Soziales Gestalten“ und geht abends im Village-Restaurant kellnern. Ihr Partner studiert „Alternative Energienutzung“ und finanziert sich über Textarbeiten für ökologische Fachmagazine.
Heute, mit 25 Jahren, ist Priscila zum ersten Mal Mutter geworden. Ihr kleiner Sohn liegt in ihren Armen und sie genießt es, ein Jahr lang einfach mit ihm und ihrem Mann leben zu können, ohne an Studium und Arbeit denken zu müssen. Wenn sie und ihr Mann es wünschen, können sie dieses Elternjahr miteinander teilen, oder ihr Mann übernimmt diese Wonne des ersten Jahres. In dem Co-Village gibt es alle möglichen Varianten der Elternzeit-Aufteilung. Die Familienmodelle sind so bunt wie die Menschen selbst.
Das Co-Village
Gibt es Konflikte im Co-Village, können diese schnell wieder in Kongruenz gebracht werden, da alle jungen Menschen in ihren Kindheit und Jugend mit Methodiken und Techniken zur Konfliktauflösung aufgewachsen sind. Niemand findet es abwertig oder minderwertig, Probleme zu haben. Scham wegen Traumata und Schuldgefühlen sind ausgestorben. Jede/r wird genommen wie er/sie ist und man schaut, wie man Spannungen am Besten über Win-Win-Lösungen in den Griff bekommt.
Die weltweite Bewegung von unten
Die älteren Menschen in Deutschland lernen von den Jungen, wie man friedlich und lösungsorientiert miteinander leben kann. Angefangen hatte die ganze Bewegung schon weit vor Priscillas Geburt in den skandinavischen Ländern. Dank des Internet und der globalen Kommunikation weitete sich dieses „Soziale Community-Gestalten“ über die ganze Welt aus. Dabei bleibt jede Kultur ihrer Mentalität treu. Egal, welche Religion und welche Tradition bevorzugt wird, der „Virus“ des harmonischen Zusammenlebens hat sich zwischen 2020 und 2043 weltweit ausgebreitet wie zuvor schon die Vorliebe für Popmusik und Coca-Cola.
Regierungen, Finanz- und Wirtschaftsmärkte haben sich sträubend nach und nach der veränderten Menschheit anpassen müssen. Sie haben lernen müssen, dass sie keine Macht mehr über Menschen haben, die lieber Lösungen, Verantwortung und Zuwendung ausprobieren – als sich in einen zerstörerischen Wettbewerb zueinander zu begeben. „Wieso soll ich Dir was wegnehmen wenn wir alles teilen?“
So sieht die Welt aus in 25 Jahren
So sieht die Welt aus in 25 Jahren. Es gibt viel zu tun. Die Erde ist sehr krank und braucht viele fleißige Hände, um wieder gesund zu werden. Das Leid der Tiere kann von diesen nachwachsenden Generationen nicht mehr geduldet werden. Es gibt viele StartUps und Projekte im Bereich „Haus- und Nutztierhaltung“. Die Menschen, die schon von frühester Kindheit ab gelernt haben, dass sie in einer Community leben, in der Blutsverwandschaft und Status keine Rolle spielen, wird „Arbeit“ ganz anders bewertet als im Industriezeitalter.
Zwar gibt es auch psychisch Eingeschränkte und Traumatisierte, die jede Form von Verbindlichkeit und/ oder Aktivität als Schmerz empfinden, die vielleicht nach irgendwelchen Stoffen süchtig sind, um sich zu betäuben. Doch diese Wenigen kann man durchaus mitziehen. Normal ist es, gern zu arbeiten, solange man die Kraft dazu hat. Auch mit achtzig kann man noch ein wertvolles Mitglied im Co-Village sein. Es ist doch kein Problem, wenn dann alles langsamer geht!
In dieser Sharing-Ökonomie hat Geld einen ganz anderen Stellenwert als heute. Geld ist nichts weiter als ein Treibstoff, damit die Maschine läuft. Geldbesitz ist überflüssig, wenn für alle Mitglieder der Gemeinschaft genügend Treibstoff für ein erfülltes Leben zur Verfügung steht. Da Sharing mit sich bringt, dass „Eigentum“ nur in Echtzeit stattfindet, verlieren die Menschen ihren Bezug zu Zukunfts-Sícherung und dem Wunsch danach, den leiblichen Kindern Geld und Besitz zu vererben.
So, das hat gut getan. Ich hoffe, dass ich das noch erleben darf. Ich verspreche auch, dass ich dann mit 84 Jahren (auch Du Schreck) zur Gemeinschaft beitrage, was mir möglich ist. Vielleicht kann ich ja Märchen erzählen – oder Witze bei YouTube.
Und damit wir noch ein bisschen träumen können und unser Vision-Board konkreter wird, noch dieses Lied von Henning May und K.I.Z. Deren Kinder werden ganz sicher so erzogen werden – und viele viele viele andere auch. Das macht mich so optimistisch. Ich glaube diese Welt wird wahr.