Datenkomfort oder Datenschutz? Der schwierige Spagat für Apple, Google, Amazon und Facebook

Im Juni 2016 verkündete Apple bei seiner Entwicklerkonferenz WWDC in San Francisco, dass die Nutzer von Mac-Computern, von iPhone und iPad, mehr Datenschutz erfahren sollen als Kunden anderer Anbieter. Durch Verschlüsselungstechniken soll die Kommunikation geschützt sein vor Zugriffen von Industrie und Staat. Gleichzeitig ist Apple jedoch gezwungen, seinen Nutzern Komfort anzubieten, den die Menschen zunehmend als selbstverständlich voraussetzen: Verkehrshinweise bei der Navigation, Interpretation von Spracheingabe, optimale Suchergebnisse in Echtzeit, Erinnerung an Orte und Termine… Apple hofft, durch „Differential Privacy“ den Spagat zu schaffen zwischen Komfortansprüchen der Nutzer und der Kontrolle über die eigenen privaten Daten – doch was wollen die Menschen wohl wirklich?

Datenschutz versus Datenkomfort

Ich weiß noch, wie erschrocken ich war, als ich in den 90-er Jahren zum ersten Mal in Bezug auf das Internet den Satz hörte „Ich habe kein Problem mit meinen man-56157_640Daten, ich habe ja nichts zu verbergen“. Damals lud ich noch alle E-Mails sofort auf ein Programm herunter, das in meinem Rechner installiert war. Nichts von mir sollte im Web an Spur verbleiben, das Misstrauen gegen den Staat war hoch.

Mit der Zeit wurde ich nachlässiger – teils aus Bequemlichkeit, teils aus Überforderung. Immer mehr schlich sich bei mir als Rechtfertigung ebenfalls so ein Satz ein: „Sollen sie doch mithören und -lesen, wenn ich wirklich mal was Geheimes tun will, kümmer ich mich um die technischen Lösungen dafür“. Snowden brachte noch mal den Schock, dass die erhoffte „Verschwörungstheorie“ gar keine Geistesverwirrung ist, sondern weltweite Realität. Geheimdienste hatten ein weltweites Netz an Überwachungstechnologie installiert, sammelten, filterten, analysierten und verwendeten unser aller Kommunikationsverhalten. Doch auch daran gewöhnte ich mich. Eine Zeit lang war ich bei Facebook abgemeldet, bei Online-Käufen und in sozialen Netzwerken achtete ich auf meine Reputation – das war alles.

Dann fing ich an, den Komfort zu genießen, den gerade Google mir bieten konnte, weil sie mich besser kennen als meine Kinder. Mit großen Kinderaugen beobachte ich, wie die „Sprache in Text“ Eingabe meine Worte kurz überlegt – und dann perfekt korrigiert. Google weiß, wie die Nachnamen meiner Kontakte ausgesprochen und geschrieben werden, Google versteht, was ich wirklich ausdrücken will, Google hält inne bei Wörtern, die zwar gleich ausgesprochen – aber in der verschiedenen Bedeutung anders geschrieben werden. Der Text ist manchmal zunächst falsch, stockt ein paar Sekunden, und korrigiert dann das entsprechende Wort anhand des Sinns. Was für ein Wunder!

Bei Amazon fange ich schon an mich zu ärgern, wenn mir Produktvorschläge gemacht werden, die nicht in mein Profil passen. „Also das müssten sie doch wirklich wissen, dass ich so ein Buch nie lesen würde“. „Jetzt kaufe ich schon bewusst immer hier ein, damit mein Profil immer passgenauer wird – und dann kommt so ein Vorschlag für ein Kleidungsstück. Ich bin enttäuscht, das kann doch nicht so schwer sein“. Die ganze bunte Online-Welt scheint wie ein Butler nur darauf zu horchen, was ich wohl wünschen könnte, welche Bedürfnisse ich wohl habe, welche Probleme wohl gelöst werden könnten, und worüber ich mich sicher freuen würde.

Auch Facebook wird immer besser bei der Auswahl in meiner Timeline, ich staune häufig wohlwollend bei Vorschlägen und Hervorhebungen. Wo ich mich früher über die Algorithmen entsetzlich geärgert habe, bin ich heute recht zufrieden mit meinem „Diener“, der die Online-Straße vor mir fegt, damit auch kein Staubkorn meine zarten Füße stört. Tatsächlich lebe ich zunehmend in der Illusion der verwöhnten Königin, die erwartet, dass das komplette Web sich nach ihren Befindlichkeiten richtet.

Ob Apple mit der Strategie, den Spagat zwischen Privatsphäre und Business Intelligence zu probieren, erfolgreich sein wird? Ganz können sie natürlich nicht darauf verzichten, aus dem verhalten ihre Nutzer zu lernen – zurzeit merkt man ja gerade an Siri, wie stark Google Now und Amazon Alexa überlegen sind mit dieser Technologie und dadurch Kundensympathie sammeln. Ohne cloudbasierte persönliche Daten ist ein Lernen der Maschinen kaum möglich – ist Apple-Kunden das wirklich so wichtig? Wollen sie nicht auch bei der Autofahrt automatisch informiert werden, wenn sich plötzlich auf ihrer Fahrt ein Stau bildet und es noch eine Möglichkeit gibt, diesen zu umfahren?

Und wenn sie wirklich so klar zum „Kanzler-Handy“ tendieren und ihnen Datenschutz zentral wichtig ist, werde sie nicht enttäuscht sein, weil Apple natürlich doch viele Daten nutzt, um bei diesen Technologien nicht den Anschluss zu verlieren?
Zeitlonline: Apples Spagat zwischen Privatsphäre und Daten-Analyse

Sicherheit oder Wunderland?

Zunehmend wird es leichter, sich und die eigene Privatsphäre zu schützen. Im Browser kann man im privaten Modus surfen, Cookies kann man abstellen, bei WhatsApp wird verschlüsselt, Google ermöglicht genaues Justieren der Datenübertragung… Wenn man wirklich wollte, könnte man sicher eine Menge tun, um für die vielen staatlichen und kommerziellen Datensammler zu verblassen. Nur noch Bargeld-Käufe tätigen, E-Mails über deutsche Provider direkt auf die Festplatte übertragen (und in der Cloud löschen), Daten auf dem Rechner speichern statt in der Dropbox…

Doch selbst wenn mir ein technisch Versierter anbieten würde, dies alles für mich zu installieren und mir einen genauen Plan zu geben, wie ich Datensicherung betreibe und alte Daten ohne viel Aufwand lösche, ich würde es dankend ablehnen. So wie ich selbst keine Kleidung nähen möchte und selbst kein Brot backen, so möchte ich auch keinen Aufwand im Umgang mit dem Web haben. Mag seine Daten schützen, wer will: Ich will mit dem Finger schnipsen, und wie durch Zauberhand erfüllen sich meine Wünsche! Ich will in mein Smartphone diktieren, und wie eine Sekretärin erledigt es anschließend für mich die nötigen Dienste! Ich will zu Hause einen Einkaufszettel in das Smartphone eingeben, und wie durch Zauberhand schweben meine Einkäufe zu mir nach Hause – oder zumindest navigiert mich mein Handy im Supermarkt passgenau durch die Gänge und an der Kasse vorbei (weil alles automatisch abgebucht wird beim Ausgang).

Vielleicht werde ich irgendwann diese Consumer-Haltung bitter bereuen. Wenn ich mir vorstelle, 1933 hätte es dieses Datentechnologie schon gegeben, werde ich nachdenklich. Was wäre passiert, wenn damals das Samsung-Smart-TV Gespräche im Wohnzimmer aufgezeichnet hätte wie heute? Wenn das Smartphone mitgehört hätte – selbst wenn es ausgeschaltet ist? Wenn sämtliche Kontakte und Kommunikationen nachverfolgbar gewesen wären? Wären die Menschen dann noch eingeschüchterter gewesen? Hätte es den überzeugten Nationalsozialisten (also etwa ein Drittel der Bevölkerung) genutzt, da sie noch lückenloser und schneller sämtliche Abweichler identifiziert hätten?

Mein persönliches Resümee

Da denke ich an China, die Türkei und andere autoritäre Regime, und bin wieder ganz beruhigt. Wie gerne würden Staaten und Regierungen widerstandslos agieren, vielleicht ja auch in Deutschland? Doch die weltweite Vernetzung und rasend schnelle Übertragung von unzähligen Daten hätte wohl auch Hitler und den Nazis in Deutschland wenig Freude gemacht, da es sich anfühlen muss wie ein Kampf mit einer unkontrollierbaren Mückenpage. Wahrscheinlich sind Blockwarte, Neider und Denunzianten weiterhin das beste Instrument, um Macht zu sichern. Ehrlich gesagt mache ich mir da wenig Sorgen.

Datenanalyse in Beruf und Karriere

Selbst für Arbeitnehmer sehe ich keine großen Probleme. Natürlich ist es nicht mehr so leicht, sich zu ducken und gute Mine zum unerwünschten Spiel zu machen als Arbeitnehmer. Und ganz sicher gibt es viele Unternehmen, die sich angepasste, brave, stromlinienförmige Mitarbeiter wünschen und sofort diejenigen Bewerber aussortieren, die „auffälliges Verhalten“ zeigen – wie zum Beispiel Kinderwunsch bei jungen Frauen 😉 . Aber mal ehrlich, wer will bei solchen Unternehmen arbeiten? Ich wünsche mir, dass so viele Roboter und Technologien wie möglich so viele Arbeitsplätze wie möglich ersetzen und wir alle davon profitieren, dass wir ein Grundeinkommen erhalten, das uns unabhängig macht von Lügen und falschem Spiel in der Arbeitswelt. Ich wünsche mir die Tüchtigen als Gestalter dieser Welt, und jedem Menschen die Wahl, sich dagegen oder dafür zu entscheiden.

Mag sein, dass dieses Experiment furchtbar schiefgeht. Mag sein, dass wir durch die entfesselte Meinungsfreiheit der Einzelnen und Massen in die Barbarei stürzen und wie in „Herr der Fliegen“ die Hölle auf Erden erleben werden. Doch selbst das ist mir lieber als ein autoritäres Regime, das uns knechtet. Gern bin bereit, meine Transparenz für diesen Luxus zu geben. Glaubwürdigkeit, Transparenz, Vernetzung und Vertrauen sind die Werte, denen ich mich verschrieben habe, und die will ich nicht nur bekommen, die will ich auch geben. Ich habe keine Geheimnisse. Ich bin ganz so, wie ich bin, und ich bin gern so. Also nehmt meine Daten, bastelt weiter an diesen wunderbaren Service-Leistungen und Möglichkeiten, die ich dadurch nutzen kann. Ich habe mich einverstanden erklärt, ich lebe. Ganz nach dem Motto: „Das beste Geheimnis ist eine offene Tür“.

Bildquelle: pixabay_Hans

 

 

 

Seit fast zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Unternehmenden. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

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