Könnte man mit Verstorbenen als Chatbot kommunizieren, wenn man einen Computer mit all dem füttert, was der Verstorbene im Leben digital tat? Könnte man die Ausdrucksweise, den Charakter, das Wertesystem, die Erfahrungen und die Erinnerungen in ein Programm zusammenfassen, so dass Angehörige mit dem Toten chatten können? Und wäre das ein Trost in der Einsamkeit der Trauer? Tatsächlich berichten seit einigen Tagen die internationalen Medien über genau so ein Programm: Der Chat-Bot eines tödlich verunglückten jungen Mannes ist dank AI (Artificial Intelligence) Realität worden – und zwingt uns, über diese Möglichkeit nachzudenken.
Roman Mazurensko lebt als Chatbot weiter
Der StartUp-Gründer Roman Mazurenko starb im November 2015 in Moskau bei einem Verkehrsunfall. Der junge Mann war befreundet und geschäftlich verbunden mit Eugenia Kuyda, StartUp-Gründerin aus San Francisco – im Bereich Künstliche Intelligenz. Und nun gibt es einen Chat-Bot, entstanden aus dem digitalen Vermächtnis des Verstorbenen, aus Text-Nachrichten und Posts in sozialen Netzwerken – einen Chat-Bot, mit dem Freunde und Trauernde kommunizieren können.
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Für die Einen ist der Chat-Bot, der wohl wirklich schon ganz gut die Tonalität, Reaktions- und Ausdrucksweise des Verstorbenen trifft, ein echter Trost – für andere Angehörige von Roman Mazurenko ist es schlimm, dass auf diese Art kein wirklicher Abschluss des Lebens stattgefunden hat.
Von der Sehnsucht, mit Verstorbenen zu sprechen
Ich kann gut verstehen, dass die Programmiererin Eugenia Kuyda in ihrer Trauer diesen Roman-Mazurenko-Bot entwickelt hat, und ich bin sicher, dass es nicht ein einmaliges Experiment bleiben wird. Gab es nicht auch immer Zurückgebliebene, die zu „Geisterbeschwörern“ gingen, weil sie nicht abschließen konnten mit dem Verlust eines Menschen? Und gibt es nicht viele Menschen, die ihren Partner, ihre Kinder, Geschwister oder Eltern auf dem Friedhof besuchen, um dort mit ihnen zu sprechen und ihnen von ihren Sorgen zu erzählen? Und wie viele Trauernde sind ohnmächtig allein, da ihre Umgebung es leid ist, ihnen zuzuhören in ihrem Kummer?
Ich kann mir sogar vorstellen, dass so ein Chat-Bot süchtig machen kann – wenn er denn nur gut funktioniert. Noch sind wir ganz am Anfang einer Entwicklung, bei der Computerprogramme menschenähnlich reagieren können. Jüngste Experimente mit Chat-Bots regen eher zum Lachen an als dass sie ernst genommen werden könnten.
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Tröstlich – oder gruselig wie im „Friedhof der Kuscheltiere“?
Doch klar ist, dass wir Menschen immer mehr digitale Spuren hinterlassen. E-Mails, Posts bei Facebook und Co, WhatsApp-Nachrichten und SMS, wie wir uns bewegen im Web, was wir lesen, liken, teilen… Und dann gibt es natürlich noch die „Schreibsüchtigen“, die sich über Blogs mitteilen – oder die privat ihr Tagebuch führen über Laptop und Rechner. Könnte es sein, dass wir tatsächlich durch dieses digitale Vermächtnis ein Stück unserer Persönlichkeit hinterlassen? Und mit den vielen Selfies und Videos könnte man sicher auch einen elektronischen Leib bauen, der sich menschenähnlich bewegt und verhält? Aus Daten werden elektronische Zombies, die wie in Steven Kings „Friedhof der Kuscheltiere“ zum Leben erwachen?
Ich habe ja bisher nur meine Eltern an nahen Angehörigen verloren und muss zugeben, gerade mein Papa fehlt mir als Gesprächspartner schon ein bisschen. Er war gerade als alter, leicht dementer Mann so eine Mischung aus Weisheit, Zufriedenheit, Bedürfnislosigkeit, Dankbarkeit, Glaube und Güte – das könnte ich schon gut gebrauchen, wenn ich mal wieder zu hitzig bin und mich aus meiner Mitte katapultiert habe. Ach, wäre das schön, mit meinem Handy zu sprechen und mein Papa antwortet mit weisen Floskeln in seiner typisch gelassenen Art. Und wie wäre es bei Euch? Würdet Ihr Euch gern mit einem geliebten Toten beraten, wenn Ihr mal grübelt und eine Lösung sucht?
Bildquelle: pixabay_JJuni
Die Idee einen solchen Chatbot zu programmieren ist nicht ganz neu. Ein Unternehmen hat es bereits 2010 versucht, das Angebot wurde inzwischen aufgegeben. http://fusion.net/story/116999/this-start-up-promised-10000-people-eternal-digital-life-then-it-died/
Ich habe es 2010 mal ausprobiert einen Dialog mit der künstlichen Intelligenz zu führen. Das Ergebnis habe ich in einem Blogbeitrag verarbeitet http://www.grabauf-grabab.de/2010/12/klonen-sie-sich-digital-fuer-die-ewigkeit-virtualeternity-com/
Das alles überzeugt mich nicht gerade.
Hihi, ja diese Unterhaltungen mit Chatbots kenne ich auch. Aber 2010 ist natürlich lange her. Und wenn man sieht, wie Chatbots den US-Wahlkampf dominieren, glaube ich schon, dass es da Fortschritte gibt. Aber wer weiß, vielleicht überschätze ich ja auch die Fähigkeiten der IT-ler. Vielleicht ist und bleibt alles auf einem lächerlichen Niveau eines Kinderspielzeuges. Man wird sehen…
Das Problen an Chatbots ist: Sie können den „Menschen dahinter“ nur aus dem generieren, was er schon war. Er entwickelt sich nicht weiter. Würde man also einen Chatbot fragen, dessen „Mensch“ als Achtjähriger vor 20 Jahren gestorben ist, was er heute machen möchte, antwortet er seinen mittlerweile erwachsenen Freunden wahrscheinlich: „Am liebsten möchte ich in den Freizeitpark“ – oder so. Was aus uns wird, ist in Teilen von Zufall bestimmt. Und hier scheitern Computer. Mehr zur Unfähigkeit der Algorithmen, Zufälle zu generieren in: https://www.randomhouse.de/Hoerbuch-Download/NEXT-Erinnerungen-an-eine-Zukunft-ohne-uns/Miriam-Meckel/Random-House-Audio/e418359.rhd
Danke für die tolle Buchempfehlung. Die Professorin für Corporate Communication an der Universität St. Gallen in der Schweiz Miriam Meckel hat zahlreiche Bücher und Aufsätze zu den Themenfeldern Kommunikation, Journalismus, Globalisierung und Internet veröffentlicht. Aber ob Computer bei den Unmengen an Daten wirklich scheitern werden auf Dauer? Ich weiß ja nicht, ich weiß ja nicht…
[…] Steadynews, 14.10.16: „Können wir Verstorbene für uns zurückgewinnen – als Chatbot?„ […]