Können Sie sich noch daran erinnern, warum Sie sich selbstständig gemacht haben? Was der Auslöser war? Wie es sich anfühlte, diese Entscheidung zu treffen und zu leben? Bis vor wenigen Jahren war vielen Selbstständigen der Schritt ins Unternehmertum schon in die Wiege gelegt – da war das Hauptgründungsmotiv familienbedingt „Tradition“. Durch das Internet und die veränderte Arbeitsmarktsituation entstanden neue Gründermotive: Perspektivlosigkeit auf dem Arbeitsmarkt war Anfang des neuen Jahrtausends ein häufiges Gründungsmotiv, dann kamen die „Verwirklichungsgründer“, die (oft finanziell abgesichert) ihre beruflichen Träume realisierten – und dann die „StartUp“ – Gründer, die internetbasierte Innovationen entwickelten, und die häufig mit Venture Capital Gebern und Businessangeln kooperieren. Diese Gründer wollen nicht ihr Leben lang das Selbe tun – sie wollen nach dem Exit die nächste Stufe als Unternehmer mit einem neuen Projekt erklimmen.
Warum haben Sie sich eigentlich selbstständig gemacht?
Im Laufe meiner Selbstständigkeit als Mentor, Förderer und Interessensvertreter der Selbstständigen habe ich viele hundert Gründungen mit begleitet. Zunächst als Gründerin und Vorstands-Mitglied der Gründergenossenschaft Witten eG, dann als Gründerin und Geschäftsführerin der Business Academy Ruhr. Ging es in meinem ersten Unternehmen um die Begleitung von Menschen in die Selbstständigkeit aus der Arbeitslosigkeit, gefördert durch die Arbeitsagentur mit Ich-AG oder Überbrückungsgeld, ging es bei der Business Academy Ruhr um die Entwicklung eines tragfähigen Marketingplans für das digitale Zeitalter, unabhängig vom Alter und von der Größe des Unternehmens.
Während dieser ganzen Jahre unterrichtete und unterrichte ich bei verschiedenen Bildungseinrichtungen Marketing und Social Media, bin bis heute umgeben von vielen Menschen, die sich gerade neu positionieren und berufliche Entscheidungen treffen – ob als Student oder als Akademiker bei der Suche nach einer neuen Herausforderung.
Auf diese Weise habe ich die verschiedensten Gründungsmotive kennen gelernt und möchte als Inspiration gern einige aufzählen:
Der „Ich will etwas aufbauen“ Gründer: In der Regel männlich, um die 30. Hat sich schon als Kind intensiv für bestimmte Themen interessiert, sich intensiv eingearbeitet, getüftelt und mit Leidenschaft technische Möglichkeiten ergründet. Hat nach dem Abitur studiert, in Firmen gearbeitet, die seiner Leidenschaft entsprechen. Aber eigentlich war unbewusst schon als Kind klar, dass er etwas aufbauen will im Leben. Mich erinnert dieser Gründertyp ein bisschen an den Vater in „Die Glocke“ von Friedrich Schiller. Firma, Familie, Eigentum und gesellschaftliche Verantwortung gehen Hand in Hand. Ein eigenes Werk aufbauen zu wollen ist ein archetypisches Gründungsmotiv, das wir von Auswanderern kennen, die in der Ferne ihr Glück suchen.
Der „Ich will lieber mich selbst als andere reich machen“ Gründer: Ebenfalls meistens männlich, kommt häufig aus einer Anstellung, die frustrierend war. Dieser Gründer ist zunächst eher kämpferisch als fröhlich optimistisch motiviert. Er empfindet es als ungerecht, dass er Arbeit, Ehrgeiz und Können in etwas gesteckt hat, dass seinem ehemaligen Chef anscheinend viel Profit gebracht hat. Was diesen Gründer auszeichnet, ist sein Ehrgeiz, viel Geld verdienen zu wollen und es „seinem Ex-Chef zu zeigen“. Falls er es schafft, mit Beharrlichkeit, positivem Feedback und guten Ideen eine erfolgreiche Existenzgründung zu realisieren, ist es ihm weiterhin ein ewiges Vergnügen zu zeigen, dass er erfolgreicher ist als die Leute, die ihn einst demütigen und kommandieren konnten.
Der „Ich will Freiheit und Unabhängigkeit“ Gründer: Hier sind meiner Erfahrung nach sowohl Männer wie Frauen zu Hause. Was Beide verbindet ist die Notwendigkeit, von dem Erwirtschaften voll existieren zu müssen. Viele dieser Gründer haben Familien und Kinder, sie sind entschlossen und bereit, für ihr starkes Gründungsmotiv Opfer zu bringen. Ob Handwerksbetrieb, privater Kindergarten oder Unternehmensberatung: Die Strebenden nach Unabhängigkeit wissen, dass sie hart arbeiten müssen für ihre Freiheit. Da sie unfähig sind, sich unterzuordnen und fremdbestimmt zu leben, verzichten sie auf die Sicherheit der sozialversicherungspflichtigen Anstellungen und nehmen in Kauf, dass sie ihr Leben lang selbst und ständig schaffen müssen.
Der „Ich will mich selbst verwirklichen“ Gründer: Dieser Gründertyp ist aus verschiedenen Gründen wenig besorgt um die finanzielle Existenz. Häufig findet sich dieses Gründungsmotiv bei Hochschulabsolventen im kreativen Bereich. Aber auch Frauen über 40, die nach der Familienzeit wieder ein eigenes Berufsleben aufbauen wollen, sind häufig selbstverwirklichungs-motiviert und sprühen vor spannenden kreativen Ideen. Der Selbstverwirklichungstyp unter den Gründern ist tatsächlich häufig weiblich, sehr gut vernetzt, mutig und engagiert. Hier finden sich die „Künstler“ unter den Gründern, egal wie alt, egal ob Mann oder Frau, egal ob finanziell abgesichert oder finanziell unbesorgt. Dieser Gründertyp ist sehr wichtig für eine Gesellschaft, denn diese kreativen „Sinn-Gründer“ sind schon immer die Menschen gewesen, die Impulse gebracht haben für Schönheit, Experimente, Visionen, gesellschaftliche Umgestaltung. Sie werden zwar selten reich, aber sind häufig bis zu ihrem Ende tolle Überlebenskünstler.
Der „Ich muss gründen, weil ich keine Alternative sehe“ Gründer: War Anfang des neues Jahrtausends sehr häufig in Deutschland. Gerade Ingenieure und Manager über 40 wurden aus ihren vermeintlich sicheren Anstellungen entlassen und fanden keinen neuen Job mehr. Auch junge Geisteswissenschaftler, Industriearbeiter, Handwerker und viele andere gute, loyale, fleißige Männer und Frauen mussten erfahren, dass sie anscheinend nicht mehr gebraucht werden. Diese „Not-Gründer“ waren erstaunlich erfolgreich. Viele hatten Familien, Eigentum, hohe Verbindlichkeiten. Aus der Not heraus entwickelten sie Bärenkräfte und wuchsen über sich selbst hinaus. Ich habe hunderte dieser „Not-Gründer“ begleiten dürfen, und es war immer wieder faszinierend, wie sich aus dieser anfänglichen Perspektivlosigkeit erfolgreiche Gründungen entwickelten. Viele der „Not-Gründer“ werden übrigens Freelancer: Als Dozenten, Trainer, Interims-Manager, Unternehmensberater, Projektleiter, Vertriebler…
Der „Für mich war immer klar, dass ich Unternehmer werde“ Gründer: Dieser Gründertyp ist in einer Familie von Unternehmern und/ oder Freiberuflern aufgewachsen. Er kennt von Kind ab die Welt der Selbstständigen, die viel Verantwortung tragen und deren Leben sich mehr um das Geschäftliche und Unternehmerische als um Freizeitthemen dreht. Viele der Unternehmer-Kinder leiden unter dem Zeitmangel ihrer Eltern und schwören sich in ihrer Jugend, niemals selbst selbstständig zu werden. Doch nach dieser Widerstandsphase – und Erfahrungen in der Welt der Angestellten – übernehmen sehr viele von ihnen dann doch Verantwortung und gründen Unternehmen. Oder sie wachsen in das Unternehmen ihrer Eltern hinein und werden Nachfolger. Es ist ein großer Verdienst von Unternehmer-Eltern, wenn sie es schaffen, ihre Kinder auf diese verantwortungsvolle Rolle vorzubereiten. Denn wie heißt es so schön? „1. Generation Not, 2. Generation Brot, 3. Generation Tod“. Tatsächlich schaffen es nur wenige Familienunternehmen, die Staffel über mehr als zwei Generationen erfolgreich weiterzureichen.
Der „Ich habe eine fantastische Geschäftsidee“ Gründer: Hier finden sich zwei unterschiedliche Typen von Gründern: Zum Einen die (meist jungen) StartUps mit innovativen Ideen für das Internet, zum Anderen die „Erfinder“, die etwas Neues konstruiert haben und damit den Markt erobern wollen. Bei einigen Internet-StartUps geht es weniger um die technische Innovation als um die Kunst der Skalierbarkeit, also die Frage, wie man möglichst schnell für eine innovative Problemlösung eine sich viral verbreitende Community aufbaut. Consumer-Plattformen, die eine eCommerce-Nische besetzen, Vermittlungsplattformen, die Menschen zusammenbringen, Affiliate-Plattformen und Plattformen, die ihren Gewinn durch Provisionen erzielen. Andere StartUps bestehen aus Programmierern und IT-Experten, die eine technische Lösung entwickeln für ein noch nicht gelöstes Problem. Weitere sind Game-Entwickler, auch hier ist ein Riesenmarkt für StartUps entstanden.
Den Internet-StartUps ist gemeinsam, dass sie Kapital für die Umsetzung ihrer Geschäftsidee brauchen und sich mit Business Angeln und Venture Capital Gebern vernetzen müssen. Sie haben normalerweise das Ziel, Geldgeber für ihre Idee zu gewinnen und den Aufbau der Idee durch diese Geldgeber finanzieren zu lassen. Manche erhalten sogar Gehälter von den VC-Gebern während der Aufbauzeit. Die Verträge mit den Investoren sind kompliziert und auf den Exit ausgerichtet: Nach einer gewissen Anzahl von Jahren verkaufen die Gründer das Unternehmen an die Investoren, welche sich gute Renditen erhoffen. Manchmal bleiben die Gründer weiterhin als Angestellte nach dem Verkauf, manchmal gründen sie etwas Neues, manchmal werden sie auf einen Schlag zu Millionären, manchmal suchen sie sich einen neuen Job und haben sich einen hervorragenden Marktwert mit ihrer Gründung erarbeitet.
Die „Ich habe eine fantastische Geschäftsidee“ Gründer träumen alle von einem durchschlagenden Erfolg und einer bahnbrechenden Marktführerschaft. Sie sind ehrgeizig, manchmal regelrechte Workaholics, oft sind es Nerds. Sie gründen immer in Teams, da ein Gründer allein nicht alle notwendigen Fähigkeiten mitbringen kann: Technisches KnowHow, Marketing, kaufmännisches Management sind die Kernkompetenzen, die jedes StartUps braucht. Häufig gründen StartUps zu zweit und kaufen sich die fehlenden Komponenten ein. Viele Gründerteams bestehen auch aus drei Leuten, was allerdings im weiteren Verlauf häufig zu Problemen führt.
Was war das Gründungsmotiv von Eva Ihnenfeldt?
Als ich mich 2004 selbstständig machte, war durchaus das „Not-Gründer“ Motiv der entscheidende Schubs, um tatsächlich den
Schritt in ein ganz neues Leben zu wagen. Ich hatte zwar noch etwas Geld auf der hohen Kante, doch ich wusste, dass ich innerhalb eines überschaubaren Zeitraums Monat für Monat ohne Netz und doppelten Boden von meiner Selbstständigkeit leben musste. Eine Alternative sah ich damals nicht.
Hinzu kam allerdings, dass ich der „Unabhängigkeit und Freiheit“-Gründertyp bin, der noch nie wirklich in Anstellungen klar kam, da ich mich nicht unterordnen kann und unfähig bin, mich für Chef oder Kollegen zu verbiegen.
Zum Dritten spielt „Selbstverwirklichung“ eine tragende Rolle, da ich schon immer hinter jedem Tun und Denken dem Sinn auf die Spur kommen wollte, und vom Antrieb her ein extrem gläubiger Mensch bin. Ich glaube auch heute, mit 56 Jahren, immer noch daran, dass wir Menschen eine Aufgabe in der Welt haben, und dass wir alle gemeinsam daran arbeiten, dass dieser Planet in ganz kleinen Schritten immer besser und lebenswerter wird. Da gibt es zwar viele schreckliche Rückschritte wie Naturzerstörung, Elend und Gewalt, doch über lange Zeiträume betrachtet bin ich schon sehr stolz, was wir bisher erreicht haben und will aktiv daran mitgestalten, dass diese Welt ein Paradies für alle fühlenden Wesen wird.
Für mich war Geld nie ein Gründungsmotiv und wird es nie werden. Ich habe es bisher geschafft, immer meine Kosten und Verbindlichkeiten zu bestreiten und nie Schulden machen zu müssen. Das ist alles was mich interessiert. Da es so viele Jahre funktioniert hat, habe ich das Vertrauen, dass es auch weiterhin funktioniert. Ich bin nicht zu locken mit Luxus und Statussymbolen, für mich ist Geld eher etwas wie das nötige Benzin, um mich mit meinen Visionen zu verwirklichen. Geld ist ein Werkzeug, aber kein Ziel.
In Bezug auf Geld lautet mein Motto frei nach den Sprüchen im Alten Testament (Sprüche, 30, 8.9):
„Der Herr gebe mir zum Leben nicht zu viel und nicht zu wenig: Habe ich zu viel, frage ich mich, wozu brauche ich Gott – habe ich zu wenig, fange ich vielleicht an zu stehlen…“ 😉
Und nun Sie: was ist Ihr Gründermotiv? Können Sie sich erinnern?
Hallo liebe Eva,
vielen Dank für diesen Artikel und deine Hilfe auch bei meiner Gründung!
Hier meine Antwort auf deine Frage 🙂
Ich habe mich vor knapp 2 Jahren selbstständig gemacht. Vorher war ich loyal 10 Jahre bei meinem (einem) Chef tätig „smile“-Emoticon und meistens sehr glücklich. Aus einem großen mittelständischen Unternehmen und einer großen Holding bin ich mit ihm in sein eigenes Unternehmen gegangen. Aus diesem einen wurden drei. Alles lief gut, bis für mich nach 10 Jahren der Punkt erreicht war, dass ich viele – zu viele – Dinge und schneller – immer schneller – im Unternehmen anders haben wollte: Schlanke Organisation, papierloses Büro, flache Hierarchie, modernes Marketing, offene Strukturen, viel Vertrauen. Das alles wollte ich (nicht nur für mich), sondern für ein ganzes Team schaffen – ich bin überzeugt, dass so die höchste Produktivität erreicht werden kann. Und das treibt mich auch weiterhin an. Es ist nicht das Geld – es ist die Begeisterung für das Lean Management, Social Media Marketing, Digitalisierung und mittelständische Unternehmen. Meine Bibel auf der Arbeit ist „Schnelligkeit durch Vertrauen: Die unterschätzte ökonomische Macht“ von Stephen M. R. Covey.
Meine Agentur ist inzwischen auf einem guten Weg. Ich freue mich auf die nächsten Schritte und schreibe euch, wie es weiter geht.
PS: Meine Freundinnen haben schon immer gesagt, ich bin anders und sehr fleißig. Ab der 10 Klasse (neben dem Abitur) wollte ich mein eigenes Geld verdienen und stand samstags um 5 Uhr in der Bäckerei. Nach dem Abi entschied ich mich für die Variante: Verkürzte kaufmännische Ausbildung und gleichzeitig zu der 40 Stunden Woche ein Studium 3 Mal abends und am Wochenende an der FOM zu starten. Dann kam noch ein zweiter Studiengang hinzu.
Ich bin verheiratet und habe zwei Kinder. Wenn man mich heute fragt, was ich anders machen würde: Nichts!
Liebe Grüße
Olga
Hi liebe Olga! Erinnert mich fast ein bisschen an das Gründungsmotiv von Götz Werner (dm). Ich habe ihn live gesehen und er beschrieb seine damalige Situation als Prokurist so ähnlich wie Du die Deine: Er hatte viele gute Ideen und konnte sie nicht bei seinem Arbeitgeber verwirklichen – also gründete er etwas Eigenes! Und danke für den Buchtipp. Das Buch schaue ich mir auf jeden Fall an.
Tja liebe Eva,
die Gründe für meine Selbständigkeit lagen zunächst im Rentenbescheid.
Ich war erschrocken über die geringe gesetzliche Rente die ich als Angestellter trotz guten Verdienstes und 25 Jahren Beitragszahlung bis dahin erreicht hatte. Da ich Familie hatte wollte ich diese und vor allem meine Frau vor Armut schützen sollte mir einmal etwas passieren.
Der Schritt war richtig. Nach dem Motto, wer ausgetretene Pfade geht kommt dort an wo schon alle sind, habe ich den Komfortkäfig verlassen und verrückte Dinge gewagt. Das Glück ist mit den Tüchtigen und so hatte ich das Glück, Dich liebe Eva bei einem meiner Vorträge für Start2grow kennen zu lernen.
Eine Unternehmerin, welche nie den Mut verliert und in allem das positive entdeckt.
Nun bin ich schon 12 Jahre selbständig, meine Familie hat meinen Beruf ( Versicherungskaufmann, den ich neben den eines Arztes, eines Feuerwehrmannes und eines Polizisten als einen der wichtigsten in Deutschland betrachte, voll angenommen. Meine Tochter Astrid Witalinski entwickelt sich auch Dank Deines Zuspruchs immer weiter zur Unternehmerin, und mein Sohn studiert neben seinem Beruf als Versicherungskaufmann an einer Privatuni. Meine Frau ist begeisterte Mitunternehmerin und die gibt der Firma die nötige Kraft.
Dennoch ist es wichtig NIE stehen zu bleiben und immer neue Ideen zu entwickeln. Dabei helfen mir die Gespräche mit anderen vor allem Branchenfremden Unternehmern.
Diese Gesprächsrunden, welche Du maßgeblich mit organisierst sind Gold wert für jeden Gründer aber auch für jeden gestandenen Unternehmer. Dafür gilt Dir nicht nur mein Dank