Bei einer Umfrage von 9.000 Teilnehmern aus neun Ländern ergab sich, dass anscheinend Deutschland einen Spitzenplatz einnimmt bei der Beurteilung, das Land wäre rückständig beim Einsatz digitaler Technologien. 40 Prozent der befragten Deutschen beklagen, dass ihr Arbeitgeber nicht ausreichend digitale Fortbildungen anbietet. In Schweden sind das nur 16 Prozent. In China und Indien können drei Viertel der Befragten ihre Arbeitszeit auch zum Erlernen digitaler Fähigkeiten nutzen. Was sind wohl die Ursachen dafür, dass sich Deutsche so digital abgehängt fühlen? Könnte es sein, dass unsere obrigkeitsfokussierte Ausrichtung daran nicht ganz unschuldig ist?
Von der Begrenzung digitaler Fortbildungen
In meinen Lehrgängen sage ich immer gern: Digitale Kommunikation ist wie Fahrrad fahren. Das lernt man nicht aus Büchern
Ich befürchte, dass in vielen anderen Ländern die Neugierde und die unbekümmerte Freude am Ausprobieren weiter entwickelt ist als bei den Deutschen, die sich ständig fürchten vor Regelverstößen und Datenschutzproblemen. Hinzu kommt, dass unser Schulsystem extrem veraltet ist und weiterhin auf analogen Lehrmitteln und einem „Belohnungs- und Bestrafungssystem“ aufbaut. In Ländern, wo schon ab Kindergartenalter selbstverständlich mit digitalen Geräten und Software gespielt und experimentiert wird, ist die Scheu vor dem digitalen Wandel natürlich viel geringer.
Keine Frage, dass Föderalismus und die Macht staatsangelehnter Konzerne ebenfalls dazu beitragen, dass Investitionen und Infrastruktur-Optimierungen in Deutschland hinterherhinken. Doch auch bei unzureichendem Breitbandausbau könnten viel mehr Erwachsene digitale Instrumente ausprobieren und lernen, als es der Fall ist. Die Technikverweigerung scheint bei uns ein moralisches Problem zu sein.
Eine Frage der Einstellung?
Nicht nur die Älteren diskutieren gern darüber, dass die Nutzung digitaler Medien zu Verrohung, emotionaler Rückentwicklung und Verblödung führen würde. Manche Wissenschaftler warnen sogar vor irreparablen Hirnschäden. Das wird bei Stammtischen und Familienfeiern nur zu gern aufgegriffen und lautstark vertreten.
Scrolle ich durch Facebook, entdecke ich immer wieder Sprüche, die sich darauf beziehen, wie minderwertig doch andere Menschen sind im Vergleich zur eigenen Person. Da frage ich mich, ob auch diese prinzipielle Verurteilung anderer menschlichen Wesen typisch deutsch ist? Passt unsere Einstellung zum digitalen Fortschritt zu unserer Einstellung, dass wir besser sind als die „Leute“ um uns herum? Wenn ja, was ist das? Arroganz?
Ich hoffe, dass wir durch unsere Jugend endlich zu einem spielerischen und unbefangenem Umgang mit digitalen Medien und Werkzeugen kommen. Es gibt da draußen auf diesem digitalen Planeten so langsam nichts mehr, was es nicht gibt. Es ist ein einziges Wunder, was international minütlich hinzukommt an Neuentwicklungen, die unsere Handlungsoptionen, unsere Sehnsüchte und unsere Kreativität ansprechen – vieles davon ist sogar kostenlos!
Der Umfrage nach scheinen wir tatsächlich in Deutschland das Schlusslicht zu bilden an Pioniergeist im digitalen Zeitalter. Aber ich hoffe einfach, unsere Ingenieure lassen uns nicht im Stich. Sollten wir beim technischen Erfinderreichtum ebenfalls an Kompetenz verlieren, dann gute Nacht Marie…
Umfrage: Deutsche fühlen sich digital abgehängt