Am 13. April war bei der Social Media Konferenz BarSession in Dortmund alles anders. Sind normalerweise die Sessions (Workshops) nach dem Top-Vortrag ein geselliger Höhepunkt des Abends, waren die 120 Teilnehmer dieses Mal eher in nachdenkliche Gespräche über den Vortrag von Militär-Blogger und Kommunikationsberater Sascha Stoltenow vertieft. Fokussieren sich die Interessen der Besucher sonst klar auf ihre gewinnorientierten Business-Ziele, diskutierten man in kleinen Grüppchen nun darüber, wie man helfen, verbreiten und unterstützen kann: Krieg und Kriegspropaganda mit all den unvorstellbaren Schrecken lässt niemanden unberührt.
Viele Vorurteile grassieren in der deutschen Bevölkerung: Manipulierte, instrumentalisierte Medien, Verschwörungen, verdeckte Ziele und undurchschaubare Macht-Intrigen werden vermutet, der Schritt von der Verwirrung zum Verdacht der „Lügenpresse“ ist nicht weit. Doch Sascha Stoltenow, nach seiner aktiven Zeit als Offizier in Auslandseinsätzen zwei Jahre lang für die militärische Kriegsberichterstattung der Bundeswehr im Einsatz, betonte immer wieder, dass es zu einfach ist, sich hinter diesen Vermutungen und Urteilen zurückzuziehen.
Natürlich läuft in unseren Medien vieles schief – doch es
sind auch genau diese Medien, die ihre Fehler aufdecken und Machtmissbrauch anprangern. Wir sind weltweit führend mit unserer Pressefreiheit, es macht nur Mühe, sich wirklich objektiv zu informieren: Quellen prüfen, mehrere Medien verfolgen und vergleichen, Hintergrundberichte lesen – die Vielfalt des Webs macht es möglich, macht aber auch entsprechend Arbeit.
Sascha Stoltenow zeigte viele Propaganda-Videos, von der ISIS, dem US-Militär, von
Waffenproduzenten – aber auch vom schwedischen und niederländischen Militär. Junge Männer, die ja alle unsterblich sind 😉 mögen es, bei ihrem Heldentum gepackt zu werden, zeigen zu können, was in ihnen steckt, sich einzusetzen für eine lohnende Sache – und in der Gemeinschaft mit Kameraden Herausforderungen zu überwinden.
Doch sehr deutlich wurde auch bei diesen Videos, wie sich die europäische Kultur von
US-Militärpropaganda unterscheidet. Wollen schwedische und niederländische Soldaten schützen und retten, wollen in den US-Anwerbevideos junge Burschen siegen und zerstören. Man fragte sich nach den erschreckenden Bildern, ob wir nicht wirklich mehr stolz sein wollen auf die Europäische Union mit ihren Werten – als immer nur zu schimpfen und zu meckern.
Natürlich sind die Videos und Bilder der terroristischen ISIS ein unfassbarer Superlativ des Umgangs mit der „gefährlichsten Spezi der Welt: Junge Männer“. Wie kann es sein, dass Brutalität, Unterdrückung, Sadismus und Zerstörungswut attraktiv wirken? Wie kann es sein, dass einer Ideologie gefrönt wird, die nur mit Zerstörung wirbt, ohne Vision einer – wie auch immer gearteten – besseren, erstrebenswerten Welt? Der IS-Staat ist eine ausnahmslos nihilistisch ausgerichtete Ideologie, betonte Sascha Stoltenow. Männer (und auch Mädchen
und Frauen, die gern für die Gotteskrieger Opfer bringen), die dort rekrutiert werden, verhalten sich (was nun kommt, sagte nicht Sascha Stoltenow – das ist mein persönlicher Eindruck) wie Drogensüchtige, die ihre eigene Zerstörung in einer Art Blutrausch leben wollen – bis zum bösen Erwachen in der Realität.
Man hätte eine Stecknadel fallen lassen hören können in der dicht besetzten Diskothek Daddy Blatzheim im Westfalenpark, so erschüttert waren die Zuhörer. Fanatische Kinder, schwärmende junge Krieger, Kriegs- und Gewaltszenarien, die anstacheln und begeistern wollen über Twitter, Facebook, YouTube und andere soziale Netzwerke – wie kann das sein und was kann man dagegen tun? Was können wir tun für die traumatisierten Flüchtlinge aus Kriegsgebieten, die in Europa an Land geschwemmt werden und die Unvorstellbares erlebt haben?
Sascha Stoltenow räumte gründlich auf mit Verschwörungstheorien, die wahrscheinlich viele von uns glauben. Das Netz ist nicht nur für Hacker und Geheimdienste ein Dschungel an Möglichkeiten, auch Terrorpropaganda profitiert von den weltweiten digitalen Strukturen in Echtzeit. Bei Twitter, Facebook, YouTube und Co ist es unmöglich, die IS-Propaganda durch Überwachung zu stoppen. „Sie nutzen sogar eigene Apps, um immer wieder auf neue Accounts aufmerksam zu machen, wenn alte gesperrt werden. Es ist einfach nicht möglich, das Netz zu kontrollieren“. Und Finanzier der IS ist ganz weit vorn Saudi-Arabien – ein wichtiger Partner des Westens, was für ein bitteres Dilemma!
Der Vortrag endete mit dem Bild eines kleinen Mädchens aus Syrien, das mit panischem Entsetzen die Arme hochreißt uns sich ergeben will. Es stammt von einem Fotografen, der eigentlich nur ein Bild schießen wollte, aber dessen Kamera von der Dreijährigen für eine Waffe gehalten wird…
Nach dem Vortrag kam der Dortmunder Journalist Alexander Völkel (Nordstadtblogger) nach vorn und berichtete darüber, wie man sich als Mensch und Unternehmen in Dortmund für Flüchtlinge engagieren kann – und für die vielen Menschen aus Rumänien und Bulgarien, die sich zwar nicht aus Kriegen zu uns retten, aber aus unvorstellbarem Elend. Ebenfalls traumatisiert, ebenfalls angewiesen auf Schutz, Mitgefühl und Mildtätigkeit. Sehr wirkungsvoll ist es, sich als Pate um einen Menschen (ein Kind, einen Jugendlichen, eine Mutter, einen Ex-Soldaten…) zu kümmern.
Wer mehr erfahren möchte, kann sich hier informieren
Vielen Dank an Sascha Stoltenow, der aus Frankfurt gekommen war, um uns diese eindrucksvolle Lehrstunde zu schenken. Im Mai wird er gemeinsam mit Thomas Wiegold (Augen geradeaus) auf der Republica in Berlin als Speaker weiter zu Methoden der Kriegspropaganda mit digitalen Strategien aufklären. Mögen sich aus diesem Abend weitere Initiativen entwickeln, um mit Mitgefühl, Mildtätigkeit und Transparenz gegen den schlimmsten Wahnsinn der Menschheit vorzugehen:
„Nie wieder Krieg!“ bleibt unser Motto, es gibt keine Alternative zu dieser Entschlossenheit
Wir danken ganz herzlich dem Fotografen Mario Sanft für die vielen tollen Fotos – und Martina Harlinghausen, die als Sponsorin (ERGO-Versicherungsgruppe Unna) die Verlosung der BarSession
übernommen hatte – sowie allen anderen Mitwirkenden, Partnern und Sessionmoderatoren – ohne Euch wäre das alles unmöglich. Die nächste BarSession am 8. Juni 2015 widmet sich dem spannenden Thema „Social Media im Vertrieb?!“ mit der bekannten Kommunikationsexpertin Christiane von Schönberg aus Düsseldorf. Wir freuen uns schon!
[…] BarSession 18: Sascha Stoltenow und der Social Media Propagandakrieg […]