Eine der Haupttätigkeitsfelder in der klassischen PR ist die Kommunikation im Krisenfall. Eine Presseabteilung ist häufig ein wenig wie eine „Armee in Friedenszeiten“, die sofort kampfbereit zur Stelle ist, wenn die Organisation bzw. das Unternehmen in Misskredit gerät. Social Media erscheint deshalb vielen Pressesprechern als unkalkulierbares Risiko, denn die bewährten „Waffen“ zur Bewältigung einer typischen Krise greifen hier nicht – die Kommunikation ist nicht wirklich steuerbar. Welche Krisen können durch Social Media ausgelöst werden – und wie reagiert man am sinnvollsten?
Beispiele aus der Welt der Konzerne
„Dell-Hell“
Berühmt geworden ist das Beispiel des Computerherstellers Dell, der schon 2007 durch die Aktivitäten von Bloggern in eine bedrohliche Krise geriet: der Journalist und Blogger Jeff Jarvis hatte sich über den Kundendienst von Dell geärgert und über seine Erfahrungen unter dem Begriff „Dell Hell“ gebloggt. Durch die gute Vernetzung in der Bloggerwelt schlossen sich hunderte von unzufriedenen Kunden über Kommentare der Kritik an – und innerhalb von Wochen verdrängten die Posts und Kommentare Dell selbst von den ersten Plätzen bei Google – wenn man „Dell“ als Suchbegriff eingab!
Auch die Zeitungen griffen begeistert das Thema auf, denn Journalisten und Blogger sind ebenfalls sehr gut vernetzt. Dell versuchte jahrelang, über konservative Maßnahmen aus der PR (rechtliche Schritte, Gegendarstellungen etc.) und über Tricks (gefakte Kommentare und Posts) der Krise zu begegnen, doch all diese Versuche hatten den gegenteiligen Effekt und heizten den Gesprächsstoff weiter an. Erst als Dell sich einige Jahre später mit Jeff Jarvis versöhnte und sich von ihm beraten ließ, endete der Spuk: heute betreibt Dell unzählige Blogs, Twitter-Accounts, ist bei Facebook aktiv – und die Kunden lieben die Firma, da sie aufrichtig, schnell und transparent mit ihnen kommuniziert.
Domino’s-Pizza
Domino’s Pizza ist eine internationale Fast-Food Kette, die 2009 über YouTube den PR-Supergau erleben musste. Mitarbeiter hatten während der Arbeitszeit mit dem Handy ein Video gedreht, bei dem sie eklige Dinge mit den Lebensmitteln anstellten und sich dabei ausschütten wollten vor Lachen. Es wurde in Lebensmittel gespuckt, Nasensekrete eingeknetet usw. Das Video, dass sie unbedacht bei YouTube eingestellt hatten, um Freunde an dem Joke teilhaben zu lassen, verbreitete sich viral. Innerhalb kürzester Zeit war es Thema in allen Fernseh-Nachrichten, in Blogs, Diskussionen, bei Twitter – weltweit.
Die Geschäftsführung von Domino’s Pizza war vor die extremste Herausforderung gestellt. Selbstverständlich gingen die Verkaufszahlen rasant zurück – eine solche PR-Krise kann auch einer Kette mit 10.000 Filialen in 66 Ländern das Genick brechen. Doch durch Aufrichtigkeit, Kreativität und Transparenz bewältigte das Unternehmen nicht nur den Gau – sie ging sogar gestärkt dadurch hervor.
Zunächst reagierte das Unternehmen schnell und krsiengerecht: das Video wurde aus dem Netz genommen, die beiden Mitarbeiter verhaftet und entlassen. Allerdings war die Sperrung, obwohl nur wenige Stunden nach Veröffentlichung erfolgt, sinnlos: schon zu viele User hatten es sich auf Festplatte gespeichert – es ist bis heute vielfach öffentlich sichtbar.
Domino’s Pizza trat die Flucht nach vor an. Sie berichteten ungeschönt über die Folgen des Videos, ließen kritische Stimmern zu, nutzten ebenfalls alle Social Media Kanäle für Entschuldigungen, Aufklärungen, offene Diskussionen – der CEO selbst entschuldigte sich im Web, was sehr gut ankam. Man hoffte, nun würde die Aktion in Vergessenheit geraten, doch das Ekelvideo war so schockierend, dass diese Maßnahmen allein nicht ausreichten.
In Folge kreierte Domino’s Pizza eine geniale Social-Media-Kampagne, die genau auf den Kern des Problems abgestimmt war: Kunden konnten die Pizzen bewerten, kritisieren, konnten Wünsche äußern und öffentlich über alle Produkte von Dominio’s Pizza diskutieren. Das Unternehmen nahm die Kommentare sehr ernst und veränderte Rezepturen. Neue Pizzen, von den Kunden kreiert, wurden auf den Markt gebracht – und so ging die Fast-Food-Kette letztendlich sogar gestärkt aus der Katastrophe hervor: mit speziellen Mobilfunk-Apps, über 2 Millionen Facebook-Fans, neuen beliebten Rezepturen und eifrigen Aktivisten, die sich weiter für die Marke engagieren.
Pril
Der internationale Konzern Henkel wollte mit seiner Marke Pril an den Erfolg vom Programm „Kunden zu Produktentwicklern gewinnen“ auch für sich nutzen, doch aus dem Social Media Wettbewerb wurden eine PR-Krise. Die User funktionierten nicht so, wie die Macher wollten, und statt Humor zu beweisen, reagierte der Konzern restriktiv und „unsympathisch“.
Pril startete 2011 eine Aktion, bei der Kunden zwei „Limited-Design-Editions“ kreieren sollten. Dafür stellte das Unternehmen einige Mal-Werkzeuge im Web zur Verfügung. Viele Entwürfe waren jedoch ein Spaß, und Pril konnte überhaupt nicht damit umgehen und zeigte sich sehr humorlos. Das kam gar nicht gut an und wurde zur Negativ-Werbung. Gewonnen hatte bei den Web-Usern nämlich der Entwurf: „Schmeckt lecker nach Hähnchen“ – und das wohl auch nur, weil andere noch deftigere Entwürfe immer sofort von Pril zensiert und gelöscht wurden.
Eine Jury ließ (im Einvernehmen mit dem Gestalter des Entwurfs) „Schmeckt lecker nach Hähnchen“ wieder entfernen, und nur die „braven“ Entwürfe wurden prämiert. Daraufhin wurde eifrig im Web diskutiert, wie der Konzern Henkel wohl seine Kunden betrachtet – keine gute PR. Auf der Facebook-Fanpage löschte Pril unangenehme Postings und Kommentare – und große Zeitungen wie der Spiegel nahmen sich des Themas ausführlich – und natürlich sehr kritisch – an. Heute, mehr als ein Jahr nach dem Shitstorm, erinnert sich wohl kaum noch ein Kunde an die missglückte Aktion – doch es lohnt sich trotzdem, Shitstorms ernst zu nehmen – und aufmerksam zuzuhören.
Was kleine Unternehmen beachten sollten
Für viele Unternehmen sind PR-Krisen im Nachhinein das beste, was passieren konnte. Wir verändern uns immer erst dann, wenn wir dazu gezwungen werden, so funktioniert der Mensch nun einmal. Darum ist wohl der erste Schritt für Selbstständige, Freiberufler und kleine Unternehmen, die Angst vor PR-Krisen zu verlieren. Die Beispiele der „Großen“ zeigen immer wieder, dass die Krise zur Chance wurde.
Das Schlimmste, was passieren kann ist, dass man nicht merkt, wenn im Web negativ geschrieben wird. Ist diese Gefahr gebannt, kann darauf reagiert werden, und dann kann man aktiv eine Öffentlichkeit für sich gewinnen!
Bei Negativ-Bewertungen, negativen Postings bei Facebook, Twitter und in Blogs kann man Kommentare verfassen. Wichtig ist, sich auch einmal zu entschuldigen, wenn die Kritik berechtigt ist. Wichtig ist ebenfalls, Transparenz in das Thema zu bringen, Verständnis zu wecken, die Leser emotional zu erreichen. Interaktiv kommunizieren heißt, ansprechbar – und an einem Dialog interessiert zu sein.
Die Grundeinstellung in Social Media PR-Krisen sollte gelassen sein, offen für Überraschendes und humorvoll. Wir machen alle Fehler, und erst Fehler machen uns menschlich. Niemand mag perfekte Systeme, die unangreifbar sind wie Maschinen. Perfektion erzeugt Misstrauen, und Unvollkommenheit kann durchaus das Vertrauen stärken.
Wenn zum Beispiel ein Patient bei Qype schreibt, dass er eine Stunde Wartezeit in Kauf nehmen musste – und dann der Arzt nur zwei Minuten Zeit hatte, ist das ja eine berechtigte Kritik. Mit Schweigen zu reagieren wäre unklug. Sich zu entschuldigen, sich für die Kritik zu bedanken, wäre klug.
Die Praxisorganisation daraufhin zu optimieren und die Leser an dieser Umstrukturierung teilnehmen zu lassen, wäre PR-mäßig ein Gewinn. Natürlich kann der Arzt selbst das nicht leisten, aber wenn die Umstrukturierung zum Beispiel von einem Medizin-Studenten begleitet wird, hat man zu einem günstigen Preis eine wertvolle Kampagne gesichert.
Ein Restaurant, das negativ bewertet wird, steckt in einer PR-Krise, auch wenn die Gastronomen Negativ-Bewertungen gern als uninteressant abtun und ignorieren. Selbst aktiv werden und mit kleinen Videos aus der Küche, mit Koch-Interviews und Rezepten, wäre klug. In Kommentaren zu den Kritiken diese Einträge zu verlinken, wäre genial. Man erfährt ab da sogar per Mail direkt, wenn es Reaktionen gegeben hat – was will man noch? Die Aufgabe übernehmen kann ja eventuell auch ein Familienmitglied. Wo ein Wille ist, findet sich auch ein Weg.
Also keine Angst vor Krisen – es sei denn, das System ist groß, unbeliebt und unvorbereitet. Wenn wie bei Stuttgart 21 Verwaltung und Politik von unzähligen „Wut-Bürgern“ angegriffen werden, ist so eine PR-Krise kein Vergnügen und schwer zu händeln. Da bleibt wohl nur, die Bürger mit ins Boot zu holen und an Planungen zu beteiligen, doch das fällt den Beteiligten schwer – wirkliche Demokratie ist so schrecklich unkontrollierbar…
Unternehmen müssen sich nicht davor fürchten. Entweder wir sind gut, oder wir sind erfolglos. Erfolg gliedert sich in drei Bereiche: Kompetenz, Vernetzung, Image. Für uns ist Social Media eine unglaubliche Chance, an Image und Netzwerk zu arbeiten. Das Einzige, was wir falsch machen können, ist Ignoranz und Unbelehrbarkeit. Wer nicht offen ist für Reflexion und Veränderung, der ärgert sich natürlich nur über Kritik – aber wer sich gern weiter entwickelt, wird Social Media auch in Krisen lieben lernen.
Aufgabe 1: So genannte Shitstorms betreffen meist ausschließlich multinationale Konzerne – wie Nestle. Recherchieren Sie, welche PR-Krisen im Web Nestle in den letzten Jahren erleben musste – und wie der Konzern damit umgeht.
Aufgabe 2: Im Januar 2012 erlebte die Bank ING-DiBa durch einen Werbespot mit Dirk Nowitzki einen Shitstorm. Wie hat sich die Bank verhalten? Bewerten Sie das Verhalten der Bank und untersuchen Sie, wie sich die PR-Krise weiter entwickelt hat.
Diese Ratschläge kann ich nur unterschreiben. In diesem Zusammenhang mag den ein oder anderen auch das Rollenspiel zum Thema Shitstorm interessieren, das ich vor einiger Zeit an der Fachhochschule Würzburg mit Studenten durchgespielt habe. Wir haben mit Studenten ein virtuelles Unternehmen „gegründet“ und eine zweite studentische Arbeitsgruppe als virtuellen Troll auf dieses Unternehmen angesetzt. Die Studenten haben in der Folge „trollische“ Strategien und Anti-Shitstorm-Strategien ausprobiert. Man kann viel aus einem solchen Modellversuch lernen: http://bit.ly/uni_shitstorm.
Hallo lieber Herr Kausch, selten habe ich etwas so Gutes über Shitstorms/ Reputationsmanagement gelesen wie Ihr Rückblick auf das Planspiel „Shitstorm von einem Troll bei einer Bratwurst-Fabrik“. Ich danke Ihnen sehr und werde noch einen speziellen Beitrag dazu schreiben – und darauf verlinken. Und Ihre RSS-Feeds abonnieren und Sie bei Twitter adden – wirklich einmalig gut!
Ooooh danke, ich werd schon ganz rot … 😉 Im Ernst: Nachdem ich auf steadynews durch mein Themen-Monitoring-System aufmerksam wurde, hab ich Ihre Seite auch gleich per Twitter weiterempfohlen. Ich kann also nur jedes gelobte Wort zurückgeben. Übrigens hab ich vor 4 (!) Jahren auch schon mal selbst einen Shitstorm mit Absicht verursacht, der noch immer weht. Das ist auch ein hübsches Beispiel für „die neue Kundenmacht“: http://www.vibrio.eu/blog/pr-20-mal-andersrum-vibrio-gegen-kaffee-partner/
Herzliche Grüße
Aber natürlich kenne ich den Kaffee Partner-Shitstorm – was haben wir damals darüber gelacht (Ich hatte zu der Zeit einen Kunden, der einen Kaffeeautomaten-Service gegründet hatte, weil er sich so über Kaffee Partner geärgert hatte). Ich hatte das damals im Website Boosting bei Mario Fischer gelesen.
Schön Sie nun auf diese Weise kennen zu lernen – bei Xing habe ich auch eine Kontaktanfrage gestellt…. glg