Rhetorik – Die Kunst des Überzeugens: Ehrenwerte Tugend oder Mutter allen Übels?

Anwälte und Politiker werden von den Menschen mit Skepsis und großem Misstrauen beobachtet. Die Kunst der Rhetorik ist Grundlage dieser beiden Berufsstände, und spätestens seit dem Nationalsozialismus und den massenhaften enthusiastisch begangenen Verbrechen einer aufgewiegelten Zuhörerschaft ist für die meisten Menschen klar: Rhetorik ist eine skrupellose Technik des Verführens. Nicht sachliche Argumente zählen, sondern eingeübte Tricks, um Menschen bei ihren emotionalen Schwachstellen zu packen. Rhetorik ist die Kunst, Menschen gegen ihr besseres Wissen von dem eigenen Willen zu überzeugen – und ihr Verhalten zu lenken wie ein größenwahnsinniger Frankenstein. Aber ist das wirklich wahr?

Rhetorik als eine der grundlegenden 7 freien Künste

Rhetorik ist in der Antike eine der grundlegenden „7 freien Künste“ gewesen – also eine der sieben Studienfächer, die den RhetorikFreien Menschen bilden sollten. Jeder männliche Vollbürger im antiken Griechenland hatte die Möglichkeit, durch seine Rede politische und rechtliche Entscheidungen mitzuformen. Und vor Allem wusste er, dass er im Falle von Streitigkeiten keine andere Wahl hatte, als sich selbst zu verteidigen – Anwälte gab es noch nicht. Und hatte er ein persönliches Anliegen, gleich ob beruflich oder als Privatperson, musste er selbst für die Erreichung seiner Ziele überzeugend auftreten und Befürworter gewinnen. Ob vergangenheitsbezogen oder zukunftsgerichtet: Wer nicht in der Lage war, sich durch die Kraft des Überzeugens Gehör zu verschaffen, trat bestenfalls auf der Stelle – oder geriet schlimmstenfalls in Not und Rechtlosigkeit.

Die Überzeugungskraft der Unternehmenden

Heute haben wir für alles Regelungen und Vertretungen. Der Einzelne ist nicht mehr bedrückt durch die Rolle des „freien Bürgers“, die zwar ihre Reize hat, aber vor Allem sehr gefährlich ist. Und doch gibt es eine Gruppe an Menschen, die auch heute noch durch ihre Überzeugungskraft wirken, und die ohne diese Überzeugungskraft verloren sind: Die „Unternehmenden“. Es  müssen nicht unbedingt Selbstständige sein, die zu den Unternehmenden zählen – Unternehmende sind grundsätzlich alle Menschen, die ihre Visionen und Ziele mit einem starken Willen koppeln, die bereit sind, für ihre Visionen und Ziele Opfer zu bringen und hart zu arbeiten.

Überzeugungskraft als grundlegende Tugend der Unternehmenden

Jeder Entrepreneur, Gründer, Vertriebler und innovative Unternehmer weiß, wie entscheidend Überzeugungskraft für den Erfolg ist. Man kann die großartigsten Produkte haben, man kann den Kunden das Paradies auf Erden bieten mit den eigenen Lösungen – das alles ist völlig wertlos, wenn man keine Überzeugungskraft besitzt. Traurig, wie viele Erfindungen und weltverbessernde Lösungen klanglos untergegangen sind, weil diese Überzeugungskunst fehlte! Traurig, wie viele nutzlose, schlechte und schädliche Produkte erfolgreich sind, weil diese Überzeugungskraft brillant war und ist!

Der Unterschied zwischen Überzeugungskraft und Rhetorik

Wenn ich im Zwiegespräch Schritt für Schritt auf mein Gegenüber eingehen kann, brauche ich die Fähigkeit, zuzuhören. Ich brauche die Fähigkeit, mich in meinen Gesprächspartner hineinzuversetzen, seine Probleme und Sehnsüchte zu erkennen. Ich brauche die Fähigkeit, mich mit ihm zu verbrüdern und zu verschwestern. Ich brauche die Fähigkeit, ihm Mut zu machen für eine Entscheidung, die mein Produkt und/ oder meine Unternehmung befördert. Ich brauche die Fähigkeit, einen Vertrag verbindlich zu schließen und eine langfristige gute Geschäftsbeziehung aufzubauen und zu pflegen.

Wenn ich vor einer Gruppe von Menschen rede, brauche ich die Fähigkeit, diese Menschen trotz ihrer Heterogenität zu vereinen in einem gemeinsamen Glauben und einem gemeinsamen Ziel. Je verschiedener die Menschen einer Gruppe, desto wichtiger ist es, das Herz jedes Einzelnen zu erreichen. Ich brauche die Zustimmung und das Vertrauen der Einzelnen, damit sie mir glauben, was ich sage. Ob als Dozent, als Trainer, in Meetings, als YouTuber oder in einer Präsentation – jeder Unternehmende kommt in Situationen, in denen er Reden halten muss. Kann man einen ausführlichen, überzeugungsorientierten Wortbeitrag in einem Meeting nicht auch schon als „Rede“ bezeichnen? Ist eine Rede zu einer Hochzeit, einem Jubiläum oder einem Abschied nicht auch erst dann gut, wenn sie überzeugend ist und die Zuhörer in einem gemeinsamen Willen vereint?

Rhetorik als die Kunst des Überzeugens ist wichtig für alle Unternehmenden, die in Situationen kommen, in denen sie reden müssen. Ob vergangenheitsbezogen (etwas klären und für die eigenen Interessen entscheiden, was bereits passiert ist), zukunftsbezogen (ein Projekt ermöglichen, indem man von Idee und Sinn überzeugt), oder gegenwartsbezogen (etwas ehren und beschwören, was durch die gemeinschaftliche Bekräftigung gestärkt wird), ohne gute Rhetorik kann auch der beste und menschheitsbewegendste Gedanke nichts bewirken.

Ist Rhetorik eine Technik, um Menschen zu manipulieren?

Manipulation von Menschen bedeutet, dass ich vorsätzlich Verhalten beeinflusse. Kein Wunder, dass viele Menschen Manipulation grundlegend ablehnen, weil das Ängste erzeugt. Zwar manipuliert jeder Liebende auch den Geliebten, und jeder Geliebte manipuliert den Liebenden, doch das ist akzeptiert, zumindest solange es instinktiv passiert und ohne bewusst gesteuertes Kalkül. Auch ist von uns allen anerkannt, wenn Lehrer ihre Schulklassen durch geschickte Manipulation „im Griff“ haben, doch das ist bei uns unter Pädagogik abgespeichert – und nicht unter Rhetorik. (Obwohl Rhetorik sehr wohl Körpersprache und Tonalität beinhaltet).

Ja, Rhetorik ist die Kunst, Menschen zu manipulieren. Eine Rede, die ohne den Wunsch, Verhalten zu ändern, gehalten wird, ist reine Informationsvermittlung. Ein Text, der ohne Überzeugungsintention geschrieben wird, ist kein werbender Text, er ist eher so etwas wie eine Gebrauchsanleitung oder eine Dokumentation von Geschehenem. Jede Art von Werbung, gleich ob als Text, Bild, Video oder Audio-Beitrag, hat den Wunsch, Verhalten zu ändern.

Rhetorik ist die werbende Überzeugungs-Rede, und die Rede vor Menschen kann viel intensiver manipulieren als ein Text, ein Bild, ein Video oder ein Audio. Sie ist die Königin aller Manipulationen, sie ist eine Waffe, die direkter und eindringlicher wirkt als jede andere Ausdrucksform – auch heute noch. Eine Rede, die wir über ein Medium sehen, ist weniger eindringlich als eine Rede, wo wir direkt anwesend sind mit unsere ganzen Körperlichkeit. Viele von uns kennen diese Momente, in denen uns eine Rede mitgerissen hat.

Tatsächlich ist ein Lehrer in der Schule oft der Erste, der uns bis ins Mark erreicht – und manchmal erleben wir auch als Erwachsene diese eindrücklichen Momente, bei denen uns in einer Gruppe von Menschen dieses Gefühl von Stärke und Gemeinschaft durchzieht und wir bereit sind, uns für die gemeinsame Sache einzusetzen (und sei es nur durch begeistertes Klatschen). Einer der größten Redner der letzten 20 Jahre war sicher der Apple-Gründer Steve Jobs, der durch sein Charisma und seine Überzeugungskraft Produkte verkaufte. Weltweit zeitüberdauernde Redner scheint es seltener zu geben als zeitüberdauernde Maler oder Komponisten – ist Rhetorik also als Rede-Kunst der Manipulation ein extrem seltenes Phänomen?

Fazit: Finger weg von Rhetorik? Oder Rhetorik bewusst ergreifen?

Unternehmende wollen manipulieren. Sie wollen das bisherige Verhalten von Menschen verändern – im Sinne ihrer eigenen Überzeugungen, ihrer Visionen, ihrer Ziele. Ob engagierte Lehrer oder Entrepreneure, überzeugen wollen all die Menschen, die an etwas glauben und die den Willen haben, dass andere Menschen ihren Glauben teilen und sich für diesen Glauben einsetzen.

Ein guter Redner ist ein Redner, der Überzeugungskraft besitzt. Überzeugungskraft entsteht durch Vertrauen, Willensstärke, Mut, Vision und glaubwürdige Kompetenz. Ob man diese Eigenschaften spielen kann, weiß ich nicht. Wahrscheinlich gibt es viele Menschen, die sich im Augenblick ihrer strategisch eingesetzten Lügen selbst glauben. Vielleicht reicht diese kurzfristige Selbstmanipulation, um auch die Zuhörer und Zuschauer zu täuschen. Bei vielen Politikern und Anwälten scheint es ja zu funktionieren. Daher stammt wohl auch die berechtigte Abscheu vor rhetorischen Techniken.

Und doch kann es sein, dass es sinnvoll ist, sich als Unternehmender bewusst mit der Kunst der Rhetorik auseinanderzusetzen und ihre Handwerk zu erlernen. Rhetorik ist eine Geisteshaltung, eine Philosophie, und ganz sicher kann Rhetorik auch eine Tugend sein, um als freier Mensch unter gleichberechtigten freien Menschen zur bestmöglichen Lösung zu finden. Aristoteles antike Fachbuch „Rhetorik“ ist eins der wunderbarsten philosophischen Meisterwerke, die je geschaffen wurden. Setzt man sich auf dieser Ebene mit der Redekunst auseinander, bekommt man Ehrfurcht vor der herausragenden Stellung des Menschen in der Natur. Nur der Mensch kann die Welt weiterbewegen, nur der Mensch kann kreativ und tugendhaft gestalten, nur der Mensch hat die Macht, diese leidende Erde in ein Paradies zu verwandeln – mit seinem Können, seinem Willen, seiner Überzeugungskraft.
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Wenn wir uns aus moralischen Bedenken von Rhetorik fernhalten, halten wir uns vor einer Kunst fern, die den Menschen bei seinen edelsten geistigen und seelischen Fähigkeiten greifen kann. Buddha, Jesus, Mohammed, Martin Luther, Mahatma Ghandi, Martin Luther King – ohne die großen Rhetoriker, die großen Redner, wären wir kein Stückchen vorwärtsgekommen in unserem Anspruch an Menschlichkeit und friedvollem Miteinander. Auch Unternehmende arbeiten mit an diesem Menschen-Werk, denn ohne ihre Erfindungen und ihre Errungenschaften für Wohlstand, Bildung und Selbstverwirklichung lebten wir noch in dem Wetter ausgelieferten Agrargemeinschaften. Also lasst es uns wagen und Rhetorik ehren. Sonst überlassen wir die Kunst der Rede den skrupellosen Populisten, das ist wohl kaum die richtige Alternative…

Hier eine große Rede eines großen Redners: Steve Jobs 2005 bei der Abschlussfeier der Stanford-University – 15 Minuten über Liebe, Leben und Tod. Ist es nicht wunderbar, wie eine Rede bewegen kann? Vielleicht tiefgreifender und lebensverändernder als jede andere Kunstform?

Bildquelle: pixabay_falco

Seit über zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Manager/Innen. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

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