“Social Media Marketing Praxis 2012″: Buch Kapitel 35: Recruiting – und Schlussbemerkung

Jedes Unternehmen muss in zwei Richtungen denken: nach außen zu den Kunden, Lieferanten, Kapitalgebern, Netzwerken, Dialogpartnern – und nach innen: das wichtigste Kapital eines Unternehmens sind seine Mitarbeiter – was nützen die tollsten Aufträge, wenn sie nicht hervorragend ausgeführt werden können? In Zeiten des Fachkräftemangels sollte sich wirklich jedes Unternehmen darüber Gedanken machen, wie es gute Leute findet und bindet – Social Media bietet hier gerade kleineren Unternehmen großartige Möglichkeiten, die noch sehr wenig genutzt werden.

Social Media im Recruiting

Viele Branchen leiden darunter, dass sie keine geeigneten Bewerber finden: Ärzte, IT-Experten, Architekten, Verwaltungsexperten, Ingenieure, Wirtschaftsprüfer, aber auch Optiker und viele andere Berufsgruppen werden sehnlichst gesucht. Da es kaum arbeitslose geeignete Fachkräfte gibt, muss man sich um Wechselwillige bemühen – oder junge Talente direkt nach der Ausbildung abfangen.

Leider benehmen sich Arbeitgeber oft wie Lehrer. Sie suchen Bewerber so, wie ein Lehrer seinen idealen Schüler erwählt: “Er/sie soll engagiert sein, fleißig, konzentriert, soll Respekt zeigen und in der Lage sein, die ihm/ ihr gestellten Aufgaben selbstständig und in meinem Sinne vollständig auszuführen”. Mal ehrlich: Könnten Schüler ihre Lehrer auswählen, hätte diese Grundhaltung für den Lehrer wohl zur Folge, ziemlich einsam zu bleiben…

Der erste Schritt, um tüchtige Mitarbeiter zu gewinnen ist, sich in sie hineinzuversetzen. Man muss sich aus der Rolle des Anbieters hineinbegeben in die Rolle des potentiellen Bewerbers – so wie im Marketing die Aufgabe besteht, latente Bedürfnisse der Zielgruppe zu erkennen und Begehrlichkeiten zu wecken. Den “idealen Kunden” aus Anbietersicht zu beschreiben, bringt nichts außer Enttäuschung.

Wie suchen potentielle Bewerber im Web?

Natürlich werden von Arbeitslosen täglich die Jobportale durchforstet. Das Stellenportal der Agentur für Arbeit steht dabei an oberster Stelle. Auch Unternehmen nutzen dieses Portal am meisten, es ist kostenlos und der Service gut. Arbeitslose Fachkräfte sind meist schon etwas älter, haben Berufserfahrung und häufig eine traumatisierende Erfahrung hinter sich mit ihrem letzten Arbeitgeber. Sie schicken bis zu 50 Bewerbungen im Monat an alle Stellen, für die sich geeignet fühlen. Sie stehen unter starkem Druck – und mit zunehmenden Absagen und der begründeten Sorge, das Arbeitslosengeld könnte auslaufen, werden sie immer frustrierter – ja, manchmal auch verzweifelt.

Wechselwillige werden wohl nicht so gern die Arbeitsagentur aufrufen, sie suchen eher in Branchenjobportalen, informieren sich in Foren, knüpfen Kontakte bei Xing, gehen auf Events und Arbeitgebermessen. Wechselwillige haben schon berufliche Erfahrung und wissen, wie entscheidend Bewertungen und Empfehlungen sind bei der Arbeitgeberwahl – ein schlechtes Arbeitsklima ist schließlich häufig der Grund, warum sie wechseln wollen. Sie sind selbstbewusst und gucken, was der Markt ihnen so zu bieten hat. Sie sind die Arbeitgeber-Bewertungsexperten.

Hochschulabsolventen und Berufsanfänger sind da noch etwas unbedarfter in ihrer Stellensuche. Sie lassen sich gern von attraktiven Werbebotschaften ansprechen und wünschen sich vor allem Abenteuer, Geborgenheit, Selbstentwicklung, gute Anleitungen und eine jugendliche Arbeitsatmosphäre. Hier stehen Arbeitgeber vor allem vor dem Problem gefunden zu werden in der Masse der Unternehmen, die nach tüchtigen jungen Leuten suchen.

Der 1. Schritt: Sich begegnen im Web

Auf Stellenausschreibungen bei der Agentur für Arbeit, bei Stepstone, meinestadt.de und Monster, bewerben sich häufig arbeitslose Stellensuchende mit professionell erstellten Bewerbungsmappen. Sie haben in Kursen gelernt, wie man individuelle perfekte Bewerbungen schreibt, und häufig wirken diese Bewerbungen “zu perfekt” – die Authentizität geht verloren. Außerdem mischen sie sich mit den unzähligen Bewerbungen von Arbeitslosen, die den Anforderungen der Arbeitsagentur nachkommen müssen und nicht ernsthaft an einem Job interessiert sind. Arbeitgeber stecken leicht die Tüchtigen und die Unwilligen in einen Topf.

Wie hole ich jemanden ab, der beruflich großartig ist, aber durch Arbeitslosigkeit und ständige Absagen an sich selbst zweifelt? Ich muss als Arbeitgeber die Kommunikationsbarrieren abbauen, muss ausstrahlen “Melde Dich doch mal – wir beißen nicht!” Das ist mit offiziellen Bewerbungsverfahren schlecht möglich, schon allein wegen des AGG ist eine ehrliche Kommunikation kaum möglich – aber es gibt ja Xing!

Mein Tipp: Laden Sie über Xing ab und zu ein. Stellen Sie Interessierten Ihr Unternehmen vor, zeigen Sie sich der Welt – und eben auch potentiellen Bewerbern. Kommen Sie unverbindlich ins Gespräch und sammeln Sie Kontaktdaten für einen “Unternehmen-Intern-Newsletter”. Selbst wenn Ihre Besucher selbst keine Stelle suchen, haben diese Familie, Freunde, Nachbarn, Bekannte…. Nutzen Sie Xing-Events, um mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen.

Machen Sie in Ihren Stellenangeboten auf diese Tage der offenen Tür aufmerksam und sorgen Sie dafür, dass ein kompetenter Ansprechpartner Ihrer Firma über Xing offensiv in Erscheinung tritt und zuverlässig erreichbar ist.

Gefunden werden bei Google

Gerade Wechselwillige sind womöglich weniger auf Stellenbörsen unterwegs als in Foren, Netzwerken, und auf Karriereseiten von Firmen. Sie ergooglen sich interessante Arbeitsplätze und werden über Empfehlungen Dritter aufmerksam. Hier gilt es, dass Google-Verhalten der unzufriedenen Fachkräfte zu verstehen – und genau da anzusetzen. Gerade mittelständische Unternehmen, die in einer Kleinstadt angesiedelt sind, können kaum darauf hoffen, dass sie über regionale Suchanfragen oder über ihren Firmennamen gefunden werden. Die Kunst ist, sich in den Suchenden hineinzuversetzen und genau in die Nische zu springen, die er ergooglet.

Mein Tipp: Legen Sie sich auf jeden Fall einen Blog an, sichern Sie sich Ihren Namen bei Facebook und Twitter. Legen Sie genau fest, wer wann und wie oft im Monat etwas über Ihr Unternehmen schreibt. Schulen Sie den entsprechenden Mitarbeiter in Social Media, damit er die Tools professionell nutzen kann. Er muss Keywords analysieren können und entsprechend keywordoptimiert schreiben.

Berufsanfänger suchen natürlich viel über Jobportale. Hochschulabsolventen haben die große Auswahl bei Arbeitgebermesse und anderen Events, auch an der Uni gibt es viele Veranstaltungen, bei denen sich Arbeitgeber vorstellen. Die jungen Leute sind überwiegend bei Facebook. Sie lieben Videos und nutzen YouTube täglich.

Mein Tipp: Hier muss die Verbindung geschaffen werden vom “Real Life” zum Web. Sie können großzügig spezielle Facebook-Visitenkarten verteilen in der Uni, Sie können einflussreiche Influencer wie universitäre Karriereberatungen ansprechen und auf Ihre innovativen Web-Aktivitäten verweisen. Überhaupt sollten Sie alle Mittler und Schnittstellen (auch Krankenkassen, Berufsschulen, Behörden) mit einbeziehen und diese vielleicht mal interviewen für Ihren Blog – oder ihre Veranstaltungen bewerben in Ihrem Newsletter – so machen Sie auf sich aufmerksam und gewinnen Sympathien von Empfehlern. Lassen Sie Ihren Social Media Manager Vorträge halten vor Eltern, deren Kinder ihre Berufskarriere starten, warum nicht mal zur VHS gehen uns Web 2.0 in Bezug auf Karriere erklären?

Vom Blog zu Social Media

Der Blog ist und bleibt das Herzstück von Social Media. Über den Blog erhält das Unternehmen Traffic und Transparenz. Ein Blog ist schnell, leicht zu bedienen und bleibt als Archiv bestehen. Suchmaschinen lieben Blogs. Die Geschäftsführung sollte immer wieder im Blog auftauchen mit Interviews, Fotos, kleinen Stories aus dem Unternehmensalltag. Mitarbeiter sollten zu Wort kommen.

Sehr gut sind kleine Videos, die auch bei YouTube erscheinen (Imagevideos sind weniger beliebt als authentische Videos, die wirklich Einblick geben in den Alltag). Die Blogbeiträge werden automatisch mit Facebook und Twitter synchronisiert – so hat man ohne zusätzliche Arbeit zumindest einen Grundstock in den Social Networks errichtet.

Der Mitarbeiter, der für diese Aktivitäten eingesetzt wird, muss vor allem Spaß haben an der Aufgabe. Er muss selbstständig arbeiten können und so wenig Restriktionen wie möglich dabei erfahren. Tödlich ist, wenn jeder Beitrag erst abgesegnet werden muss – und diese Absegnung wochenlang dauert, weil immer wieder Korrekturen verlangt werden – oder die Geschäftsführung alles andere wichtiger findet. Vertrauen und Kompetenz sind im Social Media unabdingbar.

Recruiting mit Social Media: Die Rahmenbedingungen

Ganz wichtig ist, dass das Unternehmen die Rahmenbedingungen schafft, damit die Bewerber ein möglichst umfassendes Bild von dem Unternehmen erhalten können, ohne detektivisch vorgehen zu müssen. Auf der Startseite des Unternehmens ist sowohl die Karriereseite als auch Blog, Facebook-Fanpage, Xing-Ansprechpartner und Twitter deutlich findbar.

In allen Stellenanzeigen wird auf die Tools verwiesen. Sie sorgen dafür, dass Ihre Jobangebote auch über andere Seiten verbreitet werden: gibt es vielleicht in Ihrer Gemeinde einen Blog? Engagieren sich Bürger im Web, die Sie ansprechen könnten? Gibt es Forenbetreiber, die auf Ihre Mitarbeit Wert legen könnten? Wo überall können Sie abseits von kommerziellen Anzeigen im Web sichtbar werden?

Unterschied Recruiting und Employer Branding

Recruiting ist direkt, hat ein konkretes Problem und will es lösen. “Wir wollen nicht quatschen, wir wollen Stellen besetzen und arbeiten”. Eine verständliche Haltung, die aber (siehe das Beispiel Lehrer) häufig sich selbst im Wege steht und die eigentliche Herausforderung nicht annimmt. Um Mitarbeiter zu finden, muss eine Kultur gelebt sein, die Mitarbeiter anzieht – und da sind wir beim Employer Branding – beim “Mitarbeiter-Marketing”.

Social Media ist für die kurzfristige Suche nach Mitarbeitern nur bedingt geeignet. Wen ich nicht gut vernetzt bin im Web, wenn ich keinen Traffic auf meiner Website habe, keine Follower bei Twitter, keine Fans bei Facebook und keine Kontakte bei Xing, kann ich wohl kaum etwas über diese sozialen Netzwerke erreichen – dann bin ich auf Jobportale, Headhunter und andere kostenintensive Lösungen wie Printanzeigen in Fachzeitschriften angewiesen.

Unternehmen haben leider noch immer im Kopf, Social Media wäre kostenlos (und umsonst…), das ist natürlich Quatsch. Umsonst sind die Tools, die Plattformen – doch das Leben, das den Profilen eingehaucht werden muss, kostet Zeit, Kreativität, Strategieplanung und Zeit für Auswertungen. Man braucht Kompetenz und Zeit für die Integration von Social Media ins Unternehmen, Zeit für Meetings, Mitarbeiterversammlungen, für die Entwicklung von Social Media Guidelines und Social Media Kampagnen. Man braucht Zeit, um Mitarbeiter zu Arbeitgeber-Bewertungen zu motivieren, und Zeit, um sie dazu zu bewegen, sich bei Xing einzutragen.

Vor allem braucht man Zeit für Redaktion, Vernetzung, Zeit zum Zuhören und Zeit für den Austausch. Social Media kann nicht bestellt werden, Social Media muss gelebt werden. Zwei Stunden täglich sind das Mindestmaß. Ist ein Unternehmen nicht bereit, diese zwei Stunden täglich zu investieren, hat es die unglaublichen Chancen, die damit verbunden sind, nicht verstanden.

Vergleichen Sie doch einmal, was Sie für die kommerzielle Suche nach geeigneten Fachkräften investieren. Stellen Sie sich vor, Sie würden all diese Geld komplett in Social Media investieren. Sie würden mit einer einzigen Vollzeitstelle (und einem tüchtigen Social Media Manager) so berühmt wie die Otto-Group, wie BASF oder die Deutsche Telekom. Employer Branding heißt, nachhaltig das eigene Unternehmen als Marke aufbauen, sich ein unverwechselbares Gesicht geben und in Besuchern die Sehnsucht wecken, genau hier arbeiten zu wollen. Employer Branding über Social Media heißt, nicht nur nach innen Marketing zu betreiben, sondern auch nach außen – es ist ein komplettes Corporate Identity-Marketing.

“Think Big” heißt es doch so gern, ich würde beim Aufbau und Wachstum meiner Firma sagen: “Think Wide”. Im nächsten Kapitel werden wir Social Media im Unternehmen beleuchten an einem konkreten Beispiel, mit Chancen, Risiken, Krisen und Ergebnissen.

Schlussbemerkung

So, das ist das Ende dieses kleinen Praxis-Buchs. Ich habe mich bemüht es so zu schreiben, dass jeder Laie es versteht. Und ich hoffe, dass die vielen Beispiele aus der Praxis Appetit machen, eigene Strategien zu entwickeln. Immer wieder höre ich in meinen „geistigen Ohren“ den Einwurf verzweifelter Leser „Wann soll ich das denn noch alles machen!“ und ich weiß natürlich, dass nicht jedem Menschen die Tinte so spielerisch schnell aus der Feder fließt wie mir.

Aber im Vergleich zu allen anderen Werbemöglichkeiten ist Social Media nun mal unschlagbar. Wir kommen in ein Zeitalter der Kommunikation (schon bald gibt es auch interaktives Social TV!) und gelackte schicke Werbebotschaften sind nicht verantwortlich für Kaufentscheidungen – sondern Vertrauen!

Suchen Sie sich Unterstützung, denken Sie kreativ – und vor Allem probieren und experimentieren Sie! Denn wie heißen die drei Buchstaben, die jeden Erfolg begründen?
T – U – N

In diesem Sinne alles Gute

– und wenn Irgendwas ist, einfach anrufen
Ihre

Eva Ihnenfeldt
Tel.: 01761/ 77 64 150

 

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