Vom Industriezeitalter zur Netzwerkökonomie oder: Wie eine große Gartenparty

Professor Klemens Skibicki ist als Professor für Social Media Marketing und Marktforschung ein wichtiger Impulsgeber für die digitale Transformation in Unternehmen. In seinem Vortrag am 28.9.16 beim Quinscape-Kongress in Dortmund entwickelte er unter Anderem das Bild von der „Weltweiten digitalen Gartenparty“, um zu erläutern, was Netzwerkökonomie für Unternehmen und Organisationen bedeutet. Also was ist eigentlich der Unterschied zwischen dem Industriezeitalter und der viel beschworenen Netzwerkökonomie?

Vom Industriezeitalter zur Netzwerkökonomie

Warten auf die Gaeste: Netzwerkoekonomie funktioniert wie eine Gartenparty

Prof. Klemens Skibicki zeigt das Verkehrschaos, das 1967 in Schweden passierte – Altes verlernen ist schwer!

Die allermeisten Unternehmen versuchen heute noch, die sozialen Kommunikationskanäle mit den gewohnten Mitteln und Zielen zu „bespielen“. Werbung schalten bei Facebook und Co, Botschaften senden an Empfänger, die durch diese Botschaften zu Kunden oder Unterstützern werden sollen, auf Anfragen, Kommentare und Bewertungen im Social Web reagieren wie schon immer mit den gewohnten Service-Angeboten – nur eben weitaus schwieriger zu kontrollieren und notgedrungen in der Öffentlichkeit.

Netzwerkökonomie: Agieren wie auf einer weltweiten Gartenparty

Professor Skibicki bezog im Vortrag gern seine Zuhörer mit ein und fragte nach, wie sie sich normalerweise auf einer Gartenparty verhalten, auf der sie wenige Menschen kennen. Man schaut sich um, man hört zu, man erfasst Merkmale der verschiedenen Grüppchen, die zusammenstehen, man bemüht sich, höflich in die ein oder andere Gruppe hineinzukommen. Wenn man sich belästigt oder gar bedrängt fühlt von einem oder mehreren Gästen, geht man weg und im Folgenden diesen Menschen konsequent aus dem Weg.

„Mögen Sie Werbung auf einer Gartenparty“?

Diese Frage wurde natürlich vom Publikum entschieden verneint. Wohl Jedem ist klar, dass Gäste, die versuchen, direkt für gartenpartyihre Produkte und Dienstleistungen Käufer zu finden, auf einer Gartenparty unwillkommen sind. Und doch sind Werbebotschaften bei Facebook, Twitter, YouTube und anderen sozialen Netzwerken üblich – weil der kulturelle Wandel hin zur Netzwerkökonomie noch nicht verstanden wurde.

Professor Skibicki meint, wir verhalten uns wie die Schweden an dem Tag, an dem in Schweden im Jahr 1967 der Linksverkehr auf den Straßen in Rechtsverkehr umgestellt wurde. (Foto aus Wikipedia) Damals führte das zunächst zu einem heillosen Verkehrschaos. Und auch bei uns in der digitalen, sozialen Infrastruktur herrscht heilloses Chaos. Die allermeisten Unternehmen leben in Zeiten des Linksverkehrs.

Der digitale Change muss von der Führung ausgehen

Es ist schwierig, die Kultur der Netzwerkökonomie zu verstehen und sich ihr anzupassen, wenn man als Führungskraft aus den analogen Zeiten kommt. Denn so komplex und schwierig es auch sein mag, etwas Neues zu lernen – etwas Altes zu VER-Lernen ist noch viel schwieriger. Dadurch, dass unsere Führung meist 45, 50 und älter ist, fehlt bis auf wenige Ausnahmen die Bereitschaft, den Übergang ins digitale Zeitalter kreativ und sinnvoll zu gestalten. Wo intern und extern alle Ketten und Prozesse im Unternehmen hinterfragt werden müssten, flickt man gern hier und da ein bisschen an – geht aber nicht wirklich an den Kern des Ganzen. Das Kanaldenken lebt immer noch, obwohl es in der digitalen Realität keine Substanz mehr hat: Es gibt keine Trennungen zwischen den einzelnen Systemen und Kanälen mehr – Kommunikation funktioniert ganzheitlich und übergreifend in alle Richtungen – wie auf einer Gartenparty eben!

Internet der Dinge?

Zusätzlich zum Faktor Mensch, der sich netzwerkartig zu einem ganzheitlichen, kanalübergreifenden System entwickelt, lernen Maschinen, menschenähnlich zu arbeiten. Über neuronale Netzwerke entstehen Computer und Systeme, die mehr und mehr sogar kreative Entscheidungen treffen, miteinander kommunizieren und sich selbst weiterentwickeln. Diese Entwicklung steht noch ganz am Anfang, wird aber in der Netzwerkökonomie eine entscheidende Rolle einnehmen.

Die ökonomische Logik im digitalen Netzwerk-Zeitalter

Auch vertraute Wertschöpfungsketten beginnen immer mehr, sich zu wandeln und aufzulösen. Nicht mehr der bezahlte Angestellte steht im Zentrum der Wertschöpfung, sondern bei vielen StartUps sind es Konsumenten, Interessierte, Fans, Selbstständige und Kreative, die den eigentlichen Wertschöpfungsprozess bewegen. Berühmte Beispiele sind Uber und AirBnB, aber natürlich auch Facebook und andere soziale Netzwerke, bei denen die Nutzer mit ihren Inhalten und ihren Aktivitäten das Geschäftsmodell sind. Immer mehr Funktionen eines Unternehmens werden in Netzwerke ausgelagert. Das erfordert ein ganz neues Denken in Bezug auf Wirtschaft und Gewinn.

Kunden von heute haben die Macht

Abgesehen davon, dass heute jeder Smartphone-Besitzer in der Lage ist, aktiv Inhalte zum Internet hinzuzufügen, zu diskutieren, weiterzugeben, zu bewerten – und sich genau die Inhalte zu besorgen, die dieser in diesem Moment braucht oder wünscht, steigen seine Ansprüche an Anbieter in rasender Geschwindigkeit. Sobald es einem Anbieter gelungen ist, eine Innovation in Bezug auf Komfort, Nutzern, Erlebnis etc. vorzunehmen, verbreitet diese sich in Windeseile zu einem neuen Standard, den der Kunde ab jetzt auch von allen anderen Anbietern erwartet. So geraten Produktionsmittel in die Hände der Massen: Jeder Einzelne entscheidet, was ihm gefällt und wem er vertraut. Was für ein Druck für Unternehmen! Wie kann man diesen sich ständigen Standards und Erwartungen auf Dauer überhaupt noch gerecht werden?

Das größte Problem ist das Ego der Führenden

StartUps gelingt es leicht, sich der Netzwerkökonomie anzupassen. Sie beginnen schließlich erst jetzt, Unternehmer zu werden und unternehmerisch zu denken. Sie bauen Teams, Produkte, Innovationskraft und Vertrieb so auf, wie es zu der „weltweiten Gartenparty“ passt. Da wollen die Menschen nicht als Kunde akquiriert werden, da werden Gespräche geführt, da wird verschenkt und verteilt, da wird miteinander gelacht und Dinge gemeinsam erlebt.

Bei den „Alten“ ist das weitaus schwieriger. Da, wo die Führenden allen Ernstes noch behaupten, die analoge Zeitung sei dem digitalen Produkt überlegen, weil sie haptisch ist und da, wo Führende sich noch vormachen, das Social Web sein ein Tummelplatz für Nebensächlichkeiten und Eitelkeiten der Leute, die zuviel Zeit haben, lässt sich die digitale Transformation nicht gestalten.

Was tun? Agieren wie ein DJ

partyWas wir Anbieter lernen müssen ist, wie ein DJ zu agieren, der die Menge zum Tanzen bringen will. Genau erfühlen, was sich die Anspruchsgruppen, Mitarbeiter, Stakeholder und Kunden wünschen, und was in diesem Moment die ideale Reaktion ist. Impulse geben, Inspirationen und Überraschungen, ganz nah sein bei den Menschen, mit denen man gemeinsam gewinnbringende Ziele erreichen will.

Da ist wohl die größte Tugend die Tugend es „Zuhörens“, so wie es der erfolgreiche Versicherungsmakler verstanden hat, der seinen kompletten Vertrieb auf Facebook umgestellt hat: Zuhören, wo bei Facebook jemand eine neue Lebenssituation betritt wie Heirat, Hausbau, Familienzuwachs oder berufliche Veränderung – das ist der Schlüssel zum Erfolg auf der digitalen Gartenparty. Mögen das viele auch ältere Führungskräfte endlich verstehen und ihr gelerntes altes Wissen verlernen – ansonsten bleibt wohl nur das große Sterben etablierter Unternehmen – wäre doch schade…

Seit über zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Manager/Innen. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

steadynews.de

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