ZEITonline hat im April 2018 einen Beitrag des bekannten Philosophen und Kulturkritikers Slavoj Žižek zum Thema Manipulation im digitalen Zeitalter veröffentlicht, der nachdenklich macht. Žižek erläutert, dass das US-Verteidigungsministerium seit 1998 die Positive-Psychologie-Forschung finanziell unterstützt und nutzt. Der Westen geht bei der Kontrolle und Steuerung menschlichen Verhaltens anders vor als China – doch auch die wissenschaftliche Erforschung von „Glück und Wohlfahrt“ dient dazu, menschliches Verhalten zu manipulieren.
Unsere Konditionierung auf das „Streben nach Glück“ ist also durchaus zwiespältig zu sehen. Slavoj Žižek fragt sich, ob es vielleicht neben Konsum und Glück-Kicks andere erstrebenswerte Ziele gibt im Leben? Sind wir Menschen langsam reif, uns aus den hormongesteuertern Reflexen herauszuarbeiten und unempfänglich zu werden für Manipulationen wie bei den Cambridge Analytica Botschaften?
ZEITonline vom 4. April 2018: „Glück? Nein danke!
Ethik und Streben in Überwachungssystemen
Die beiden großen Zukunftsvisionäre George Orwell und Aldois Huxley haben zwar ganz unterschiedlichen Dystopien einer gesellschaftlichen Zukunft entworfen, doch ähneln sich „1984“ und „Schöne neue Welt“ in Einem: Der Politik ist es gelungen, autoritäre Systeme aufzubauen, aus denen das Individuum kein Entrinnen kennt. Bei 1984 regiert die nackte Angst vor Folter und Vernichtung – und in der schönen neuen Welt werden die Bürger von der vorgeburtlichen Entwicklung bis zum Tod zu „glücklichen“ Sklaven manipuliert. Unterdrückung versus Glücksdroge – zwei Seiten der selben Medaille?
Voraussetzung ist in beiden Versionen der gesellschaftlichen Zukunft die totale Überwachung des Einzelnen. Und dieser Totalüberwachung sind wir bereits nahezu komplett ausgeliefert. Gibt es also überhaupt einen Weg, aus Manipulation und Kontrolle zu entkommen? Oder vielmehr: WOLLEN wir überhaupt einer Macht entkommen, die uns mit Konsum und Komfortzonen verwöhnt? Ist nicht das Streben nach individuellem Glück unser aller Lebensziel? Warum sollten wir uns gegen eine Macht richten, die uns all das an paradiesischen Freuden beschwert, was wir uns ersehnen?
Kämpfen wir nicht nur noch um mehr Geld, weniger Arbeit, mehr Freizeitvergnügen und das unbeschwerte Baden in einer Filterblase Gleichgesinnter?
Und überhaupt! Wen von uns Lesern geht das Thema „Suggestion“ überhaupt etwas an? Mögen sich die Anderen manipulieren lassen – doch wir Individuen sind unempfindlich gegen solche Versuche! Schließlich sind wir stabile Persönlichkeiten, sind wir unsere eigenen Herrinnen und Herren 😉
Ist Eva Ihnenfeldt beeinflussbar?
Ich weiß, dass ich extrem beeinflussbar bin durch das, was ich täglich erlebe und verarbeite. Denke ich einen Tag, dass wir in einem demokratischen Rechtsstaat leben, denke ich nach nach der Lektüre der ZEIT, dass einige der Verschwörungstheorien berechtigt sind und dass die Geheimdienste in Kooperation mit Politik und Konzernen unbehelligt Massen-Psycho-Experimente durchführen. Ja, selbst auf dem Heimweg nach der Bundestagswahl fragte ich mich schon, ob ich nicht doch mein Kreuz woanders hätte machen sollen…
Erzählt mir jemand, ich wäre ausgesprochen einfühlsam, glaube ich das sofort. Meinen hingegen meine Kinder schmunzelnd, meine Empathie würde in erster Linie auf Selbstüberschätzung beruhen, spüre ich ebenfalls sofort, wie recht sie damit haben. Werden meine Schuhe gelobt, trage ich sie mit Stolz, kritisiert man mein Outfit, hängt es womöglich ab da nur noch im Schrank. Ja, ich bin manipulierbar, man muss nur die richtigen Knöpfe drücken.
Manipulation und das Streben nach Glück
Was bedeutet es, nach Glück zu streben, so wie es in der amerikanischen Verfassung als Recht verankert ist? Werden Erwachsene so zu ewigen Kindern, die laufend ein neues Spielzeug „haben“ möchten? Haus, Auto, Reisen, Familie, berufliche Erfüllung… Kein Wunder, dass Depressionen so grassieren in einer individualistischen Welt, in der die „Glücklichen“ von den „Unglücklichen“ separiert werden. Kann es sein, dass gerade die Glücklichen, die jede Wunscherfüllung erleben, seelisch krank werden wir Popstars, die erfahrungsgemäß zu Drogensucht und Suizid tendieren?
Wie ist es, wenn das Internet uns ständig Wunscherfüllung in greifbare Nähe rückt? Personalisierte Werbung, Algorithmen-gesteuerte Äußerungen in sozialen Netzwerken, digitale Analysen unserer Persönlichkeit, unserer Fähigkeiten und unserer Sehnsüchte – werden wir zu willfährigen Untertanen unseres Strebens nach Glück wie in Aldois Huxley’s Vision? Ist uns die Schere im Kopf nicht einmal mehr bewusst, wenn wir surfen, kommunizieren, klicken, konsumieren, leisten und handeln? Hauptsache glücklich?
Glück nein danke?
Slavoj Žižek beendet seinen Beitrag in ZEITonline mit den Worten „Wir haben die Wahl: Wollen wir glücklich manipuliert werden oder uns den Risiken authentischer Kreativität aussetzen“? Er setzt also die schmerzliche, riskante Kreativität und die authentische Suche nach Wahrheit über das Streben nach Glück. Könnte ich das akzeptieren? Wäre ich bereit, Unglück und Verzweiflung anzunehmen bei meiner Suche nach Wahrhaftigkeit und Lebenssinn? Wäre ich bereit, auf die schnellen „Kicks“ des Materialismus zu verzichten und mich in aller Konsequenz zu lösen von den staatlichen Segnungen der „Glück und Wohlfahrt“-Politik?
In China weiß jeder Bürger, dass er staatlich überwacht wird. Manche finden es gut und schätzen die damit verbundene Sicherheit, andere suchen Wege aus der Macht der „Gedankenpolizei“. Im Westen ist Überwachung kaum jemandem so wirklich bewusst, wie der Aufschrei durch die Cambridge Analytica Affaire zeigt. Dass Digital-Konzerne unsere Daten sammeln und mit Wissenschaft und Behörden zusammenarbeiten bei der Nutzung derselben, ist ja bekannt.
Die „Chan Zuckerberg Initiative“, in die bereits ein Großteil des Vermögens des Facebook-Gründers geflossen ist, hat sogar den ehrgeizigen Plan, bis zum Ende unserer Jahrhunderts alle Krankheiten heilen zu wollen. Natürlich können die besten Wissenschaftler für dieses hohe Ziel mit persönlichen Daten arbeiten – Gesundheit und ein langes Leben wollen wir doch nun wirklich alle, oder?
Also einfach mal darüber nachdenken: Ist „Glück“ tatsächlich das, was wir anstreben? Oder ist das Streben nach Wahrhaftigkeit und Sinn trotz Krankheit, Verzweiflung und Einsamkeit attraktiv? Jeder Mensch ist ein Künstler? Vielleicht ist jeder Mensch ein Philosoph! Vielleicht werden wir das entdecken, wenn wir die Rolle des glücklichen Untertanen abwerfen wie eine alte Haut.