Kann jeder kleine Staat sich bei Google, Facebook, Apple, Amazon und Co Überwachungssoftware „einkaufen“?

Wäre das nicht ein Traum für jeden Politiker und Lobbyisten? Man wüsste alles von jedem Bürger: Wie staatskonform sich die Menschen verhalten, wie sehr sie die Gesellschaft und Familie aktiv unterstützen, wie sehr sie sich an Regeln halten, abweichende Meinungen vertreten, mit dubiosen Elementen vernetzt sind… Die Wirtschaft macht Freudensprünge, da sie anhand von Charakter, Lebensgewohnheiten, Wirtschaftskraft, sozialem Umfeld und Wertesystem jederzeit genau die im jeweiligen Moment passenden Produkte anbieten kann. Hunger? Langeweile? Frust? Erfolg? Urlaub genehmigt? Unerwarteter Geldregen? Zack, kommen an jeder Stelle der digitalen Verbindung verlockende Angebote: „erfüllende“ Reisen, Erlebnisse, Produkte, Dating-Vorschläge, Dienstleistungen. Erinnert auch an uns hier im Westen nicht wahr?

WeChat: Digitale Geldbörse und Plattform für mehr als 600.000 Miniprogramme

In China liegt das System der Überwachung und Steuerung offen dar und ist allgemein bekannt.  Im Grunde genommen reicht es in China fast aus, WeChat auf dem Smartphone installiert zu haben. Neben der komfortablen Zahlungsfunktion und dem Anschluss ans Online-Banking ist WeChat der soziale Mittelpunkt – ähnlich wie im Westen das Zuckerberg-Imperium. Ob Allgemeines (Facebook) oder speziell Visuelles (Instagram) oder Privates (WhatsApp und der Facebook Messenger) – Kommunikation heißt Facebook. Und in China eben WeChat.

WeChat ist mittlerweile auch Plattform für über 600.000 andere Apps, die sich dem System angeschlossen haben. Das nützt den Apps, da sie dank der WeChat App Reichweite erlangen, nützt WeChat, da sich mit diesen Zusatzprogrammen Geld verdienen lässt (so wie Amazon mit ihren Marketplace-Händlern Geld verdient) und nutzt dem Staat, um weitere Nischen zu kontrollieren und zu steuern. WeChat in China ist im Lebensalltag kaum wegzudenken. Gerade die digitale Geldbörse per QR-Code ist wichtig – selbst Bettler betteln heute mit einem QR-Schild vor sich. Jeder Bürger hat seinen eigenen BarCode – und per Knopfdruck kann man so dem Gemüsehändler, Bettler, E-Scooter-Verleiher und Wohnungs-Vermieter Geld überweisen.

Da Tencent mit dem Produkt WeChat wie alle Unternehmen Chinas auch staatlich ist, wird die perfekte Handels-, Tracking-, Nachrichten- und Kommunikationsplattform gern eingesetzt, um die Bürger zu kontrollieren. Gerade wird in China das Social-Scoring-System ausgerollt, das jeden einzelnen Bürger mit einer Punktzahl für „Vertrauen“, „Funktionswert“ und „Liquidität“ versieht – und dementsprechend begünstigt oder bestraft. Außer WeChat sind noch viele weitere Unternehmen darin eingebunden. Was für ein Paradies für Regierungen und Wirtschaft!

Vieles über WeChat bei golem.de 

Staatliche Überwachung in kleinen Staaten?

Doch kommen wir zurück auf unseren armen geplagten Präsidenten und Despoten, der irgendwo auf der Welt sitzt und sich permanent vor Neidern, Intriganten und aufrührerischen Gruppierungen schützen muss. Der unbedingt wissen will, was in Cafes über ihn gesprochen wird und wer es wagt, bei Facebook Witze über ihn zu verbreiten. Seit Snowden weiß unser Herrscher, wie fantastisch Überwachung funktioniert, aber wie kommt er da dran? Und was kostet das?

Frank Rieger, Sprecher des Chaos Computer Clubs (CCC) hat genau über dieses Thema auf der Konferenz „Das ist Netzpolitik“ im September 2019 einen Vortrag gehalten. Er titelt das Ganze in etwa so: „Die Snowden-Enthüllungen sind auch für kleine Staaten zur Wunschliste geworden“. Seines Wissens nach sind Google, Amazon, Apple und Facebook zwischenzeitlich direkte Ansprechpartner für Regierungsbehörden, die ihre Überwachungsstrategie optimieren wollen.

Und immer wieder China…

Rieger führt aus, wie chinesische Produkte schon so designt werden, dass sie aus der ganzen Welt möglichst viele Daten an chinesische Stellen liefern. Ob Staubsauger-Roboter oder andere IoT-Geräte: Ist eine Kamera installiert, können auch Live-Videoaufnahmen gesendet werden. Per Netzwerkkonfiguration werden „Fangschaltungen“ ermöglicht. Heißt, Menschen aus dem Einzugsgebiet des Gerätes können identifiziert werden. Legitimiert wird dies alles mit Kunden-Service: Nur so ist eine optimale Fernwartung möglich.

Ende-zu-Ende-Verschlüsselung bei Messengern

Rieger erläutert auch, wie leicht es ist, die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung von Messengern wie WhatsApp funktionsmäßig zu erweitern, indem Behörden wie die Polizei bei einer Kommunikation als „Gruppenmitglied“ unerkannt hinzugefügt wird von dem Messenger-Anbieter. Ab da kann diese unverschlüsselt mitlesen. Anscheinend steigen die Anfragen der Behörden zusehend (was ich auch verstehen kann…).

Heimliche Hausdurchsuchungen

Ebenfalls im Kommen sind anscheinend auch heimliche Hausdurchsuchungen per Überwachungssoftware. Hier nutzt man auch gern die Installation von Trojanern (die Computer fernsteuern können) in die geeigneten Geräte des zu Überwachenden. Wir sehen, auch kleinen Staaten steht ein ganzes Sammelsurium an digitalen Möglichkeiten offen, ihr Volk zu steuern – und missliebigen Personen elektronisch etwas Zerschmetterndes unterzujubeln (Kinderpornos sind da weltweit sehr beliebt…).

Trojanisierung von Bevölkerungsgruppen

China geht auch hier ein ganzes Stück voraus. Die muslimische Minderheit der Uiguren wird gern als Testmarkt verwendet, um ganze Bevölkerungs- und Interessensgruppen zu trojanisieren. Zehntausende von Telefonen der Uiguren wurden von Peking aus wohl über Webseiten infiltriert. Man kann ja nicht vorsichtig genug sein…

Auch in Deutschland greift die Überwachung und Trojanisierung immer weiter um sich. Allerdings haben hier die offiziellen Ermittlungsbehörden keine so weitreichenden Befugnisse wie in so manchem autoritärem Regime. Man wird sehen, wie sich das weiter entwickelt. Auf jeden Fall gut, dass es Experten wie Frank Rieger gibt, die Transparenz in das Geschäft mit der Überwachung bringen.

heise.de am 15.09.19: Über den Vortrag von Frank Rieger vom CCC zu Crypto Wars und staatlicher Überwachung

 

 

 

 

Seit fast zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Unternehmenden. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

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