Gastbeitrag von Dr. phil. Johannes Lierfeld, Köln: Es ist schon eine bemerkenswerte Schieflage; während wir beinahe wöchentliche Fortschritte bei der Entwicklung künstlicher Intelligenz machen, hinkt unsere Erkenntnis über den Intelligenzbegriff an sich dramatisch hinterher. Dieser Beitrag soll also eine Annäherung an einen umfassenden, aber dennoch minimalistischen Intelligenzbegriff bieten.
Überlegene biologische Intelligenz resultiert in Dominanz über unterlegene Formen von Intelligenz. Warum sollte dies bei einer überlegenen non-biologischen Intelligenz anders sein? Betrachten wir die Bedingungen von Intelligenz, so werden verschiedenste Ebenen diskutiert; Experten unterscheiden zwischen sprachlicher, mathematischer, emotionaler sowie psychologischer Intelligenz. Grundsätzliche, trennscharfe Definitionen fehlen bislang aber. Daher werden hier zwei diametral entgegengestellte Definitionen von Intelligenz vorgestellt, die sich in ihrer Gegensätzlichkeit jedoch keineswegs ausschließen. Es handelt sich auch nicht um eine formale Spielerei – vielmehr geht es um die gegensätzlichen Stärken von biologischer und künstlicher Intelligenz.
Definitionsvorschlag 1:
„Intelligenz ist die Fähigkeit, aus einem Minimum an Informationen ein Maximum an (relevanten) Schlüssen zu ziehen.“
Definitionsvorschlag 2:
„Intelligenz ist die Fähigkeit, aus einem Maximum an Informationen ein Minimum an (relevanten) Schlüssen zu ziehen.“
Die erste Definition beschreibt vor allem menschliche, sprich biologische Intelligenz. Die Stärke von uns Menschen besteht darin, aus einer minimalen Informationslage einen konzeptionellen Durchbruch abzuleiten. Evolutionäre Beispiele wären hier die Entdeckung des Feuers oder die Erfindung des Rades. Bei beiden Beispielen handelt es sich um minimale Informationen, die erfolgreich enggeführt werden: die Beobachtung, dass Reibung Hitze erzeugt und verschiedene Materialien diese Hitze unterschiedlich effizient speichern und abgeben können, hat zur Entdeckung des Feuers geführt. Die Beobachtung, dass ein Stein, dessen Kanten man abrundet, rollbar wird und sich somit zum Transport eignet, hat die Erfindung des Rades eingeleitet. Die weiteren Fortschritte der Menschheit waren entsprechend komplexer, basieren jedoch bis heute weitgehend auf der konzeptionellen Engführung weniger, aber kritischer Informationen.
Die zweite Definition hingegen ist eher eine Beschreibung der Arbeitsweise von künstlicher Intelligenz. Überwältigend große Datenmengen zu filtern, ist keine Stärke von uns Menschen, und abgesehen von „Savants“ können wir solche Aufgaben ohne Technik nicht meistern. Präzise Mustererkennung ist hier das Stichwort, und diese Aufgabe kann Maschinenintelligenz sehr viel besser und mit reproduzierbaren, stabilen Ergebnissen bewältigen.
Somit zeigt sich: die Stärken von biologischer und künstlicher Intelligenz liegen diametral entgegengesetzt. In der Biologie liegt hierin die Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Symbiose. Daher sollten wir auf die Potenziale der Synthese dieser beiden so unterschiedlichen Intelligenzformen setzen – auch wenn die Gefahren in diesem Spannungsfeld nicht zu leugnen sind.
Paläocortex:
Der Paläocortex (bzw. das Palaeopallium oder Paläopallium) besitzt mit einem primitiven zweischichtigen Aufbau den urtümlichsten Typ einer Hirnrinde, einem „Althirn“ entsprechend. Es handelt sich hierbei um einen entwicklungsgeschichtlichen Begriff. Der Paläocortex liegt am vorderen unteren Teil der Hemisphären.
Archicortex:
Der Archicortex kann entwicklungsgeschichtlich als Bindeglied bzw. Übergang zwischen Paläocortex und Neocortex betrachtet werden. Da diese Hirnregion erstmals bei Reptilien nachgewiesen werden konnte, spricht man hier auch populärwissenschaftlich vom „Reptiliengehirn“. Histologisch ist der Archicortex deutlich vom jüngeren Neocortex zu unterscheiden, durch dessen Entwicklung und Expansion der Archikortex in seiner Ausdehnung reduziert wurde.
Neocortex:
Der Neocortex ist der entwicklungsgeschichtlich jüngste Teil des Gehirns. Der Neocortex stellt 90 % der Großhirnrinde und ist für die Entwicklung der Intelligenz des Homo Sapiens hauptverantwortlich.
Exocortex:
Provokative Betrachtung von non-biologischer Intelligenz als Augmentation und „ausgelagerter“ Cortex
Genetische Codierung als Algorithmus:
Selektionsprinzipien folgen zwar einem Optimierungsdruck, stellen der nächsten Generation aber keineswegs alle Optimierungen zur Verfügung. Im Falle maschineller Intelligenz ist jede Optimierung für alle folgenden Generationen verfügbar.
Serie mit Gastbeiträgen von Dr. Johannes Lierfeld in den SteadyNews:
- Nanomedizin/ Nanoethik
- Evolution: Von biologischer zu non-biologischer Intelligenz
- Interview mit Dr. Reginald Grünenberg
- Künstliche Intelligenz(en), Singularität(en) und… Kant?!?
- Menschenrechte versus Maschinenrechte Teil 2
- Menschenrechte versus Maschinenrechte Teil 1
- Kontrollproblem: Was ist technologische Singularität?
- Brauchen wir einen „Digital-Gipfel“?
- Biologische versus biologische Intelligenz
- Interview mit der KI-Expertin Yvonne Hofstetter
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- Das KI Kontrollproblem. Der Mensch als Fortschrittsjunkie
- Dr. Johannes Lierfeld: Neuralink und das Kontrollproblem
- Whole Brain Emulation – Phantasma oder der Weg zur virtuellen Unsterblichkeit?
- Bostroms Simulationshypothese oder: nur, weil wir die Wirkmechanismen unserer Realität …
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