Dr. phil. Johannes Lierfeld, Köln: ...noch nicht vollständig entschlüsselt haben, leben wir nicht in einer Simulation.“ Die „Matrix“-Trilogie hat die Simulation in die Popkultur katapuliert – und dabei den Simulationspropheten Jean Baudrillard gleich mitgenommen. Unvergeßlich und eindeutig zitiert Morpheus im ersten Teil des Science-Fiction-Actionkrachers aus Baudrillards „Simulacres et Simulation“; Neo hat sein bisheriges Leben auf der Karte verbracht, nicht im Territorium selbst. Mit anderen Worten: seine Weltwahrnehmung war bislang eine Virtuelle, Artifizielle; keine seiner Erfahrungen waren „echt“ im Sinne einer echten Basisrealität.
Nick Bostrom formulierte im Jahr 2001, zwei Jahre nach Erscheinen des ersten „Matrix“-Films, seine Simulationshypothese. Dabei ging er von der Grundannahme aus, dass in der Zukunft „High-Fidelity“-Simulationen möglich sein würden, die dann völlig verwechselbar mit unseren Sinneswahrnehmungen seien und uns daher wie die Realität vorkommen würden.
Diese Grundannahme spitzte er auf drei Prämissen zu:
- Die menschliche Zivilisation stirbt sehr wahrscheinlich aus, bevor sie eine „posthumane“ Stufe erreicht hat
Oder
- Der Anteil posthumaner Zivilisationen, die daran interessiert sind, Ahnensimulationen zu betreiben, ist gleich Null
Oder
- Wir leben sehr wahrscheinlich in einer Computersimulation.
Ob dies tatsächlich exklusiv alle denkbaren Optionen sind, erscheint hingegen fraglich. Es müßte ja irgendwann einen Übergang zwischen Basisrealität und Ahnensimulation geben. Irgendjemand müßte ja die Überwindung dieser Kluft mitbekommen haben. Bostrom porträtiert hier so etwas wie einen kollektiven Traum – aber dieser Traum muss ja irgendwann angefangen haben.
Der erste, der diese postmoderne Verwirrung an der Natur der Realität in Form einer Simulationshypothese formuliert hat, ist Bostrom bisweilen nicht: Hans Moravec formulierte bereits Mitte der 1990er Jahre eine eigene Simulationshypothese, mit der er Bostroms späteren Entwurf in den Kernaussagen vorwegnahm. Was bei Moravec jedoch fehlt, ist der direkte Bezug auf ein popkulturell ikonisiertes Filmfranchise sowie die Zuspitzung auf drei provokativ-spekulative Prämissen.
Ähnlich wie die IP-Metaphor, die das Gehirn als Computer betrachtet, ist die Simulationshypothese nur eine zeitgenössische Interpretation der Realität auf Grundlage des aktuellen technologischen Horizonts. In der Antike war die Steinschleuder die neueste und komplexeste (!!!) Maschine, also wurde das Gehirn als Steinschleuder aufgefasst, mit der Gedanken in die Welt hinausgeschleudert werden konnte. Später, als die Dampfmaschine das Maß aller Dinge war, wurde das Gehirn als Dampfmaschine mit beweglichen Teilen, die durch eine innere Mechanik orchestriert wurden, betrachtet. Und nun, da Computer unser Leben maßgeblich bestimmen, ist das Gehirn eben eine IP. Hier werden jedoch die grundlegenden Unterschiede zwischen Gehirn und Computer sträflich vernachlässigt.
Rene Descartes dachte bereits vor 200 Jahren über einen bösen Dämon nach, der sich zwischen die Dinge in der Welt und die diese betrachtenden Sinnesorgane geschoben haben könnte. Dieser Dämon wäre in der Lage, unsere Sicht auf die Welt zu vernebeln und zu verstellen. Wir sind mit Kant nicht in der Lage, die Dinge an sich zu betrachten, sondern sind auf Repräsentationen, die in unserem Gehirn ablaufen, angewiesen. Dass wir immer noch nicht in der Lage sind, die Rätsel um die Decodierung unserer dinglichen und sinnlichen Umgebung in Innerlichkeit zu lösen, liefert spekulativen Theorien wie den hier vorgestellten Simulationshypothesen natürlich gewaltigen Auftrieb.
Ein bedeutender Denker, der Neurowissenschaftler Karl Pribram, steuerte bereits in den 1970er Jahren eine Alternative zur IP-Metaphor zum Diskurs bei. Seine Theorie des holographischen Gehirns wurde von Quantenphysikern lebhaft diskutiert, und die Expansion dieses Modells hin zum holographischen Universum wird aktuell erneut brisant. Bedenken wir, dass Berechnungen der Stringtheorien ergeben haben, dass Strings auf den tiefsten Ebenen in Nullen und Einsen, also in Code vorliegen, die Materie um uns herum nicht fest ist, sondern in Wirklichkeit aus Schwingungen bzw. Frequenzen besteht, dann kann daraus der Schluß gezogen werden, dass der Bauplan des Universums, unserer gesamte Natur sowie unsere komplette Realität a priori digital ist. Indem wir uns jetzt die Werkzeuge erschaffen, in diese Realität einzugreifen, können wir vielleicht auch nach und nach verstehen, wie das Universum und unser Bewusstsein aufgebaut sind und miteinander in Verbindung stehen. Nur weil wir nicht wissen, wie wie die Realität, die uns umgibt, wahrnehmen, muss diese nicht simuliert sein. Aber sie könnte.
Serie mit Gastbeiträgen von Dr. Johannes Lierfeld in den SteadyNews:
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- Künstliche Intelligenz(en), Singularität(en) und… Kant?!?
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- Bostroms Simulationshypothese oder: nur, weil wir die Wirkmechanismen unserer Realität …
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