Gastbeitrag von Dr. phil. Johannes Lierfeld, Köln: Never change a running system. Getreu diesem Motto ist Erfolgsautor Frank Schätzing zu seinem angestammten Erfolgssujet des wissenschaftlich ambitionierten Science-Fiction-Romans zurückgekehrt. Es geht gleich um mehrere große Themen; zum einen umkreist der Plot eine sich verselbständigende künstliche Superintelligenz – A.R.E.S. – zum anderen begibt sich Schätzing in die Unschärfen und Dopplungen der Quantenphysik und der Paralleluniversen. Die Kritiken waren dem Werk nicht gerade wohlgesonnen, da „Die Tyrannei des Schmetterlings“ allgemein als überladen empfunden wird, und es wäre ein Leichtes, sich unreflektiert diesem Tenor anzuschließen.
Dennoch ergibt sich auch für mich trotz guter Unterhaltung aus meiner spezifischen Perspektive ein wenig befriedigendes Bild, und das liegt nur bedingt am hohen Wiedererkennungswert der verwendeten Tropen. Die Paralleluniversen erinnern in diesem Zusammenhang fast schon zwangsweise an das „Terminator“-Franchise, während bei den amoklaufenden Libellendrohnen Michael Crichtons „Prey“ in Erinnerung kommt. Als die KI schlußendlich in der Lage ist, jeden Menschen mimetisch nachzuahmen, stellt sich ein unvermeidliches „Body Snatchers“ Deja-vu ein.
Mit anderen Worten: es handelt sich bei der „Tyrannei des Schmetterlings“ um solide Genrekost mit zum Teil fast schon nostalgischem Wiedererkennungswert. Die zu Rate gezogenen und im Epilog empfohlenen Werke – hier allen voran Nick Bostroms „Superintelligenz“ – transportieren diesen Deja-vu-Effekt auf die wissenschaftliche Ebene.
Auch die Zwischentöne erscheinen wie die Bestätigung bekannter Intuitionen bezüglich der letzten Stärken menschlicher Subjektivität, aber auch maschineller Verläßlichkeit:
„Wir haben seit drei Monaten einen Contest laufen“, erklärt Katie Luther. „Roboter gegen menschliche Köche.“ – „Und wer gewinnt?“ – „Bis jetzt keiner. Die Roboter sind konstanter. Menschen sind je nach Tagesform mal okay und mal großartig.“
Obwohl es Schätzings Werk nicht an Originalität mangelt – es gelingt ihm, die bekannten Muster zu einem neuen Gesamtbild zusammenzufügen – fehlt mir persönlich der konsequente Bezug zum Thema der entgleisenden künstlichen Intelligenz. A.R.E.S., die unkontrollierbar gewordene Super-KI, droht zum erzählerisch spannungsgenerierenden Vehikel reduziert zu werden, da KI nicht als alleiniges Kernthema durcherzählt wurde. Dabei begibt sich A.R.E.S. konsequenterweise in Big Data auf Sinnsuche:
„Die Welt, lernt A.R.E.S., ist ein Chaos. Jedes ist mit jedem verbunden, alles beeinflusst einander, ein Kausalitätenfilz, unentwirrbar. Es gilt, die Dinge in Beziehung zu setzen. Im Chaos Muster zu erkennen. Weil, darum. Wenn, dann. Sich dem Sinn zu nähern. Es gilt zu assoziieren.“
Die Paralleluniversen, die von A.R.E.S. kontrolliert werden, haben ihre eigene faszinierende Strahlkraft – ganz offensichtlich auch auf Frank Schätzing, der sein Augenmerk zeitweise sehr, etwas zu sehr, auf die Erzählebenen der Quantenmechanik verlagert. Diese Entscheidung ging zum einen zu Lasten der erzählerischen Kohärenz. Zum anderen ist „Die Tyrannei des Schmetterlings“ genau deshalb nicht der ikonische KI-Thriller geworden, der er hätte sein können.
Leseempfehlungen von Dr. Johannes Lierfeld, die auch in Schätzing’s Werk durchleuchten…
Roman:
- Michael Crichton: „PREY“
Sachbücher:
- George Zarkadakis: „IN OUR OWN IMAGE“
- Yuval Noah Harari: „HOMO DEUS“
- Nick Bostrom: „SUPERINTELLIGENCE“
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