Kolumne „Die Herausforderung genereller menschlicher Obsoleszenz“

Gastbeitrag von Dr. phil. Johannes Lierfeld, Köln: Im Kontext der seit 2015 schwelenden Flüchtlingskrise, die Europa und insbesondere Deutschland erfasst hat und den tagespolitischen Diskurs gefühlt täglich auf Trab hält, gab es schon diverse ethische Dilemmasituationen. Aktuell eskaliert der Konflikt an der (Un)Verhandelbarkeit von Seenotrettungsmaßnahmen, und ein uraltes Schema wird von den Populisten instrumentalisiert: einige Menschenleben zu opfern, um abzuschrecken und damit ein Fanal zu setzen; freilich ein Fanal der Unmenschlichkeit und Illegalität, denn die wissentliche Verweigerung von benötigter Hilfe ist unvereinbar mit der Gesetzgebung.

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Doch wo fängt der Anspruch des Beistands an? Seenotrettung ist die Behandlung des Symptoms, die unvermeidliche und unverhandelbare „Ultima ratio“, aber die Wurzel des Übels ist der Umstand, dass die westlichen Länder nicht nur zugesehen, sondern durch aktive Kriegstreiberei zu den Fluchtursachen beigetragen haben. Mit anderen Worten: we fucked up a long time ago!

In einer zunehmend menschenverachtenden Rhetorik wird auf Flüchtlinge, die aufgrund mangelnder Ausbildung eben keine Fachkräfte, sondern perspektivlose „Aliens“ in einem ihnen wiederum fremden System sind, gern herabgesehen. Der Vorwurf einer generellen Nutzlosigkeit und parasitären Attitüde ist dabei integraler Teil der angesprochenen Rhetorik.

Doch was passiert, wenn sich diese unterstellte „generelle Nutzlosigkeit“ und eine damit einhergehende „parasitäre Attitüde“ in weiten Teilen der gesellschaftlichen Mitte tatsächlich und objektiv realisieren und von dort epidemisch ausbreiten würde? Nichts anderes steht dem Großteil der heute gut ausgebildeten und solide qualifizierten Absolventen und Arbeitnehmern binnen der nächsten Dekaden bevor. Die Herausforderung der kommenden, umfassenden Obsoleszenz menschlicher Arbeitskraft, ausgelöst durch den sich immer mehr verfestigenden Schulterschluss zwischen künstlicher Intelligenz, Robotik und Automation, wird uns westliche Menschen in den Industrienationen nachhaltig unter Druck setzen. Wie umfassend und kränkend diese plötzlich eintretende, epidemische und objektive Nutzlosigkeit sein wird, kann erahnt werden, wenn nacheinander Anwälte, Mediziner, Börsenmakler und Architekten, Autoren und DJs, Handwerker und Unternehmensberater, später auch Politiker und CEOs durch entsprechende automatisierte Lösungen ersetzt werden und – sofern bis dahin keine Umverteilungslösung der massiven Gewinne durch Automation gefunden wurde – auf der Straße stehen.

Daraus leiten sich weitere ethische Fragestellungen ab. Ist es überhaupt vertretbar, weiterhin junge Menschen in Disziplinen studieren zu lassen, die absehbar von den Disruptionen der Automation betroffen sein werden? Wie können wir künftig die Würde des Menschen sicherstellen, ohne diese in irgendeiner Form an den Grad der Nützlichkeit, des geleisteten gesellschaftlichen Beitrags oder, schlicht gesagt, das „Statussymbol Arbeit“ zu koppeln? In diesem Sinne plädiere ich dafür, die aktuelle Flüchtlingskrise als Planspiel zu sehen für eine Zukunft, in der absehbar und unstrittig Millionen und Abermillionen von Menschen beruflich redundant geworden sind. Nur, wenn wir es jetzt schaffen, ethisch einwandfreie Lösungen zu finden, haben wir gute Perspektiven, auch die künftigen und wesentlich tiefgreifenderen Probleme meistern zu können!

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Seit über zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Manager/Innen. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

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