Gastbeitrag von Dr. phil. Johannes Lierfeld, Köln: Im Jahr 2010 begann die Geschichte eines phänomenalen Internet-Spuks, der vom Wirkprinzip her – Kontamination mit gefährlichen Gedanken führt ins Verhängnis – an mediale Horrorfilme á la „The Ring“ erinnert und bis heute nichts von seiner Strahlkraft eingebüßt hat, wird „Roko´s Basilisk“ doch aktuell von Journalisten als „most terrifying thought experiment on the internet“ bezeichnet.
Das erschreckendste Gedankenexperiment des Internet wurde dabei ausgerechnet
Die Auswirkungen des Gedankenexperiments waren verheerend: rund 50 User des „lesswrong“-Forums waren suizidgefährdet, nachdem ihr Geist mit dem „gefährlichen“ Gedankengut kontaminiert worden war. Yudkowsky, seines Zeichens KI-Ethik-Pionier und eigentlich Visionär genug, um es besser zu wissen, nahm die Diskussionen um „Roko´s Basilisk“ aus dem Internet – und schuf damit einen Wiedergänger, vor dem es kein Entkommen gab. Das Internet vergisst nicht, und dementsprechend kehrte der Basilisk über diverse andere Foren umso machtvoller ins Internet zurück. Seine abschreckende Faszination ist derart ungebrochen, dass noch heute User von „lesswrong“ versuchen, ihre Daten von der Plattform zu löschen. Diese persönlichen Daten braucht der Basilisk nämlich, um in der Zukunft eine Simulation der zu bestrafenden Personen erstellen zu können.
Bei Licht besehen ist die Wahrscheinlichkeit, von einer solchermaßen entarteten KI simuliert und bestraft zu werden, freilich gleich Null. Dies liegt zum einen an der selbstimmunisierenden Konstruktion des Gedankenexperiments; wie eine Verschwörungstheorie fordert „Roko´s Basilisk“ unser kritisches Denken heraus und stellt uns vor die Wahl, zu glauben oder zu zweifeln. Aber die beschriebene KI, die auf effektiven Altruismus hin und zur Vermeidung existenzieller Risiken programmiert wurde, müßte alleine schon aufgrund der gigantischen Ressourcenverschwendung auf jede Form retrokausaler Sanktion verzichten. Insofern zeigt der durchschlagende Verstörungsgrad des Basilisken lediglich unsere Lücken in Rationalität und kritischem Denken auf – ironischerweise ausgehend vom Rationalitätsblog „lesswrong“.
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Kontaktdaten:
Dr. Johannes Lierfeld
E-Mail: [email protected]
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